«Ich hatte Erfrierungen im Gesicht und konnte nicht mehr»

Bereits im Februar 2020 hat Jiri Zak den Weltrekord für den höchsten je mit einem Motorrad erreichten Punkt geholt. Nun hat er diesen Weltrekord mit genau 100 zusätzlichen Höhenmetern pulverisiert – in einer strapaziösen Fahrt in den chilenischen Anden.

Jiri Zak ruht sich auf einer ersten Anhöhe aus. Hinter ihm befindet sich der Salzsee Laguna Verde, bei dem das Basislager liegt. (Bild zvg.)
Jiri Zak ruht sich auf einer ersten Anhöhe aus. Hinter ihm befindet sich der Salzsee Laguna Verde, bei dem das Basislager liegt. (Bild zvg.)

Camp Laguna Verde, der Chilenische Salzsee, auf 4328 Metern über dem Meeresspiegel, 13. Dezember, 6 Uhr: Jiri Zak quält sich aus seinem Schlafsack und sofort in die im Schlafsack angewärmten Kleider. Draussen herrschen Temperaturen von -10 Grad und starke Winde. Wenigstens spürt er im Zelt nichts vom Wind. Angezogen geht er die zehn Meter zum Gruppenzelt – er konnte sich als Gast einer deutschen Wanderexpedition anschliessen – und stösst seine KTM 450EXC-F hinaus. Er muss das Motorrad während der Nacht im Zelt lagern, um es vor der Witterung zu schützen und zu verhindern, dass sich die Batterie aufgrund der Minusgrade entlädt.

Eine verhängnisvolle Entscheidung

Um 7 Uhr haben Jiri und der von ihm angeheuerte chilenische Wanderführer Cristian gefrühstückt und machen sich auf den langen Weg durch die Atacama-Wüste, zum Einstieg für die Erklimmung des Ojos del Salado, höchster aktiver Vulkan der Erde. Auf zirka 4800 m ü. M. trennen sich Jiri und Cristian. Jiri zieht später mit dem Motorrad auf dem von ihm ausgekundschafteten Weg hoch, Cristian fährt sogleich mit dem Toyota Hilux eine Schleife zum Refugio Tejos auf 5837 m ü. M und steigt anschliessend zu Fuss steiler auf. Jiri Zak weiss, dass Cristian fast eine Stunde länger brauchen wird, bis zum abgemachten Treffpunkt auf 6080 m ü. M. Er vertritt sich deshalb die Beine, um sich warmzuhalten, denn Kälte und Wind gehen auch hier durch Mark und Bein. Eine Stunde später, um 8.45 Uhr, trifft er die verhängnisvolle Entscheidung, bereits loszufahren. Diesen Teil der ­Strecke hat er vorgängig gut ausge­kundschaftet und kann in der eigenen Fahrrinne hochfahren. Er kommt viel zu schnell vorwärts und ist bereits um 9.20 Uhr am vereinbarten Treffpunkt auf 6080 Höhenmetern: «Wir hatten erst um 10 Uhr abgemacht und ich habe Cristians Präzision in allen Handlungen am Berg kennen und schätzen gelernt; ich wusste deshalb, dass er erst um 10 Uhr auftauchen würde. Der Wind war so frisch, dass ich mich unter einem überhängenden Felsen verkroch. Trotzdem kühlte ich empfindlich aus und verlor wichtige Energie.»

Mannshohe, messerscharfe Eispyramiden

Bis 6472 Höhenmeter kommen sie gut voran und Cristian kann sogar teilweise auf dem Sozius Platz nehmen und sich ausruhen. Doch dann erreichen sie eine Senke, die bis zum Abgrund von Büsser­eis gesäumt ist. Büssereis besteht aus bis zu drei Meter hohen, messerscharfen Eispyramiden, die bei trockener Luft in kalten Höhenlagen mit viel Wind durch Sonneneinstrahlung entstehen, wenn das Eis nicht regelmässig schmelzen kann. Hier gibt es kein Durchkommen. Jiri Zak entscheidet sich, den grossen Gletscher zu queren und in der Bergflanke entlang dem Gletscher zu traversieren und später zu probieren von einer anderen Seite des Berges aufzusteigen. Doch als er die Flanke erreicht, merkt er, dass sie zu steil für das Motorrad ist. Er würde zwangsläufig in den zerklüfteten Gletscher abrutschen und unten in weitere Büssereisfelder geraten: «Mit dem Motorrad ins ausgeprägtes Büsser­eis zu geraten wäre lebensgefährlich und fast auswegslos. Denn die Eispyramiden haben der gesamten Länge nach messerscharfe Kanten, die oben zu einer Pfeilspitze zusammenlaufen.»

Minus 20 Grad und Wind

Jiri bleibt nichts anderes übrig, als den Aufstieg auf einer losen Geröllhalde des Westhangs zu probieren, an der er schon mehrfach gescheitert war. Zu seinem Glück hatte es über Nacht einige Schneeflocken gegeben, die am Boden gefroren waren und den Halt für die Reifen minimal verbesserten. Meter für Meter kämpft sich Jiri im Zickzack auf dem Rand eines rauchenden Kraterrandes hoch, der die Geröllhalde begrenzt. Immer wieder fährt sich sein Hinterrad fest und er muss es ausgraben. Auf Cristians Hilfe kann er auf dieser Höhe nicht zählen: «Die Luft am Ojos del Salado ist aufgrund der geografischen Lage im Gipfelbereich auf 6893 Metern so dünn, dass sie mit einem kleinen 8000er im ­Himalaya vergleichbar ist. Ab 6000 ­Metern wird jeder Schritt zur Qual und jede Anstrengung treibt den Puls hoch und die Blutsäurewerte steigen viel zu schnell an.»

Aufzugeben ist für Jiri Zak keine Option. Seinen eigenen Weltrekord hatte er zwar bereits mehr als egalisiert, doch dank schierer Willenskraft und dem Fakt, dass er trotz Rückschlägen und voranschreitender Erschöpfung vorwärtskommt, treiben ihn weiter an. 140 Höhenmeter kämpft er sich so mühsam hoch, bei mittlerweile -21°C und Windböen um 100 km/h: «Das Zeitfenster von fünf bis sechs Stunden, die man bei zu schnellem Aufstieg maximal in extremer Höhe verbringen sollte, war schon lange nicht mehr einzuhalten. Trotzdem machte ich weiter, denn ich bin gut akklimatisiert und weiss, dass ich die Höhe deshalb gut vertrage.»

Weltrekord

Dieses Mal ist es Cristian, der sich an einen Fels kauert und auf Jiri wartet. Als dieser das Flachstück auf 6640 m ü. M. erreicht, ist er völlig entkräftet und traut sich in seinem Zustand eine steile Traverse in der Bergflanke, weiter Richtung Gipfel des Ojos del Salado, auf 6893 Höhenmetern, nicht mehr zu. Er unternimmt einen letzten Versuch, gibt noch einmal mechanisch Gas, als die Bergflanke an einer relativ ungefährlichen Stelle steiler wird, verliert er den Schwung und kommt zum Stillstand. Das GPS zeigt 6646 m ü. M.: ein neuer Weltrekord in der Kategorie Motorrad.

Jiri Zak hat jedoch keine Zeit, sich zu freuen. Er ist völlig entkräftet, hat Erfrierungen im Gesicht und will einfach nun noch absteigen, um den Rucksack zu holen, den er beim grossen Gletscher unter der Geröllhalde deponiert hat. Dort ist auch seine Daunenjacke für den Abstieg drin. Als er die Daunenjacke unter der Motorradkleidung angezogen hat, wärmt er sich langsam auf und weiss, dass er den Abstieg schaffen wird und er weiss auch, dass er wiederkommen wird. Denn Weltrekord hin oder her: «Mein Ziel ist der Gipfel.»

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