«Ein kleines Spital kann sehr viel leisten»

Mitte Dezember verliess Matthias Wiens, Chefarzt Chirurgie, schweren Herzens das Spital Affoltern. Während 25 Jahren hat er viele Hochs und Tiefs miterlebt und ist immer mit Überzeugung dem Spital treu geblieben. Er berichtet von den Anfängen seiner Tätigkeit und seinen heutigen Aufgaben.

Matthias Wiens hat das Spital Affoltern verlassen und orientiert sich neu. (Bild Marianne Voss)
Matthias Wiens hat das Spital Affoltern verlassen und orientiert sich neu. (Bild Marianne Voss)

«Anzeiger»: Herr Dr. Wiens, wann kamen Sie als Arzt ans Spital Affoltern?

Dr. Matthias Wiens: Das Spital ­Affoltern lernte ich durch meine Schweizer Frau kennen, da sie dort tätig war. Ich kam 1993 mit ihr und unserem Sohn von Deutschland in die Schweiz und arbeitete zuerst im Spital Limmattal. Dann verlor ich als Arzt ohne Schweizer Staatsexamen die Arbeitserlaubnis. Dr. Martin Christen, der damalige Chefarzt Chirurgie und ärztliche Leiter des ­Spitals Affoltern, setzte sich für mich ein und bewirkte, dass ich hier eine Oberarztstelle antreten konnte. Die Bedingung war, dass ich die Schweizer Bürgerschaft annehmen und das Schweizer Staatsexamen nachholen musste. Ab 1996 arbeitete ich mit zwei Jahren Unterbruch in Affoltern. Das sind nun ­insgesamt 25 Jahre.

Wann wurden Sie Chefarzt der Chirurgie?

Dr. Martin Christen wurde 2003 ­pensioniert. Ich wurde zuerst Co-Chefarzt, dann 2005 Chefarzt der Chirurgie.

Welche Operationen führten Sie vor­wiegend aus?

Die häufigste geplante Operation war der Leistenbruch, das war übrigens auch meine letzte OP in Affoltern. ­Zudem habe ich Operationen am Darm, der Gallenblase, bei Krampfadern, ­Hämorrhoiden wie auch an Händen durchgeführt. Oftmals stand ich auch in der Notfall- und Unfallchirurgie im Einsatz und operierte zum Beispiel ­Knochenbrüche. Mir war bei anspruchsvolleren Operationen immer wichtig, keinen falschen Ehrgeiz zu haben, die Grenzen des kleinen Spitals wahrzunehmen und die technischen Möglichkeiten seriös abzuklären. Sehr stolz bin ich darauf, mitgeholfen zu haben, die akutgeriatrische Abteilung zu etablieren, indem wir mit ihr von Anfang an sehr enge Zusammenarbeit pflegten. Das ist eine tolle Einrichtung.

Wie ging es Ihnen, als Sie von der ­Schliessung der Chirurgie erfuhren?

Schon der erste Entscheid im ­Frühling war für mich enttäuschend, doch ich hatte noch den Horizont von drei Jahren vor mir. Der Beschluss im Sommer war ein überraschender Schlag ins Kontor. Es ging dann alles plötzlich schnell. Im Juni erhielt ich die ­Kündigung, Ende September wurde der OP geschlossen.

Was haben Sie seither noch getan?

Es gab noch Nachkontrollen von Operationen, Hilfestellungen für ­Patienten anderer Abteilungen, und ich operierte im Kantonsspital Zug. Zudem überlegte ich, was ich bis zur Pensionierung noch tun möchte.

Und? Was werden Sie tun?

Ich bin fürs Leben gerne Chirurg. Ich arbeite gerne im Team und schätze den Kontakt mit Patientinnen und ­Patienten. Daher habe ich mich neu orientiert und nicht frühpensionieren lassen. Ich werde am 1. Februar im Spital Zofingen die Tätigkeit als ­leitender Arzt Chirurgie aufnehmen. Natürlich wäre ich viel lieber in vier Jahren aus einem blühenden Spital Affoltern in Pension gegangen.

Wenn Sie zurückblicken auf die 25 Jahre, was kommt Ihnen in den Sinn?

Es war eine Berg- und Talfahrt. Ich denke an die politischen Querelen, an das Bangen vor Abstimmungen, an die Auflösung des Zweckverbands, aber auch an die zahlreichen Wechsel in der Spitalführung. Es war aber insgesamt eine gute Zeit. Ich war gerne hier und ging schweren Herzens weg.

Sie standen immer ein fürs Spital Affoltern. Warum?

Ich hatte immer den Wunsch, das kleine Spital mit einem breiten Angebot zu erhalten. Ich bin nach wie vor ­überzeugt, dass ein kleines Spital sehr viel leisten kann, meist viel kostengünstiger als ein grosses. Ich bringe meinen PW ja auch nicht in die Rennwagenwerkstatt für einen Reifenwechsel.

Mitte Dezember haben Sie Ihr Büro ­geräumt und sich offiziell verabschiedet.

Ja, ich habe allen «Tschüss» gesagt. Aber mein eigentliches Abschiedsfest fand Ende September nach der letzten OP statt. Da haben wir im Operationssaal gefeiert, mit Musik und Essen, so eine Art «Usrüchete». Jetzt ist der OP bereits ausgeräumt und sieht traurig und verlassen aus.

Werden Sie noch Kontakt haben zum ­Spital Affoltern?

Ja, und darüber freue ich mich. Seit Januar 2023 bin ich im Stiftungsrat der Stiftung Spital Affoltern tätig und setze mich so weiter für das Spital ein.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie fast immer mit dem Velo zur Arbeit kamen.

Ich habe pro Jahr etwa 5000 Kilometer Arbeitsweg mit dem Velo zurückgelegt. Mein Zweirad hatte einen ­eigenen angeschriebenen Parkplatz nahe meinem Büro. Das Schild habe ich nun abmontiert. Ich werde aber weiterhin sportlich unterwegs sein, mit dem Velo oder auch zu Fuss in den Bergen, die ich so liebe. Und wenn ich es ruhiger nehmen möchte, geniesse ich unseren Garten, höre Musik oder lese Bücher.

«Ich bin fürs Leben gerne Chirurg. Ich arbeite gerne im Team und schätze den Kontakt mit Patientinnen und ­Patienten.»

«Seit Januar 2023 setze ich mich im Stiftungsrat der Stiftung Spital Affoltern weiter für das Spital ein.»

«Die häufigste geplante Operation war der Leistenbruch, das war auch meine letzte OP in Affoltern.»

 

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