So steht es um die türkischen Erdbebenopfer

Sinan Kovan arbeitet im Restaurant Papaya in Affoltern – bei einem Treffen erzählt er über sein jetzt zerstörtes Heimatdorf.

Sinan Kovan (Bild oben rechts) zeigt Eindrücke aus seiner zerstörten Heimatstadt Balyan. (Bilder zvg.)
Sinan Kovan (Bild oben rechts) zeigt Eindrücke aus seiner zerstörten Heimatstadt Balyan. (Bilder zvg.)

Sie sind bedrückend. Die Bilder, die ­Sinan Kovan auf dem Handy zeigt. Ein Toter, der aus einem Schutt ragt. Leichen, die notdürftig mit Decken und Plastiksäcken zugedeckt sind. Häuser in Schutt und Asche. Vor mehr als einem Monat, am 6. Februar, hinterliessen zwei verheerende Erdbeben in der Türkei rund 45800 Tote. Auch das Heimatdorf von Sinan Kovan, der hier in Affoltern als Geschäftsführer des China­restaurants Papaya arbeitet, wurde fast ganz dem Erdboden gleichgemacht.

Aufgewachsen ist der Kurde in ­Balyan – ­Yaylakonak heisst es auf Türkisch. Im Dorf mit seinen rund 1700 Einwohnern stehen von den zuvor 288 Häusern nur noch 15. «Wir haben dort 105 Tote zu beklagen», erklärt der 34-Jährige. Auch seine Grossmutter sei beim Erdbeben umgekommen. Nähere Verwandte seien ansonsten glücklicherweise nicht gestorben. In der Nähe liege die Stadt Adiyaman, die ebenfalls zu über 80 Prozent zerstört wurde. «Auch ich bin als Kind mit regelmässigem Beben der Erde aufgewachsen. Wir haben uns ­daran gewohnt – aber so stark wie jetzt, hat es in unserer Region zuletzt vor 600 Jahren gebebt», sagt Sinan Kovan.

Frau weckte ihn weinend

Seit 2005 lebt Sinan Kovan hier in der Schweiz. Inzwischen ist er verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern. «Zuerst wollte ich direkt in Türkei fahren, um zu helfen. Aber meine Frau überzeugte mich, dass ich vor Ort nur einer von vielen gewesen wäre und ohne Spezialausrüstung gar keine wichtige Hilfe hätte leisten können.» Als das Unglück gegen 4.17 Uhr in der Türkei passierte, war es bei uns hier in der Schweiz 2.17 Uhr. «Meine Frau weckte mich weinend, weil sie vom Erdbeben erfahren hatte, und erzählte mir, dass meine Grossmutter gestorben sei», erzählt Kovan.

Eisige Kälte am Unglücksmorgen

In seinem Dorf seien vor allem Kinder und Frauen gestorben, die im Schlaf vom Erdbeben überrascht wurden. «In Balyan gab es vor allem alte Steinhäuser, die ohne Beton gebaut waren. Sie fielen beim Beben in sich zusammen.» Auch von seinem Geburtshaus sei nur noch ein Schutthaufen übrig.

Wer konnte, floh aus seinem Haus. In den frühen Morgenstunden des Unglückstages sei es sehr kalt gewesen – bis zu minus 15 Grad. Würdevolle und starke, alte Männer hätten plötzlich Frauenkleider getragen – sie hätten einfach alles angezogen, was sie fanden, um sich gegen die Kälte zu schützen. «Das hat mir ein Kollege später erzählt. Dieses Bild hat mich lange beschäftigt.» Schon zwei Tage nach dem Unglück hätten Kurden in der Schweiz zusammen mit den vom Unglück betroffenen Landsleuten eine WhatsApp-Gruppe gegründet. So wurde Soforthilfe vor Ort organisiert. «So konnten wir sofort einen Wassertransport in das Unglücksgebiet sicherstellen.» So sei es ihm auch ­gelungen, ein Zelt für seinen Cousin zu organisieren. Auch über Instagram und Twitter sei die Hilfe organisiert worden. «Die sozialen Medien haben viele Leben gerettet», erzählt der «Papaya»-Geschäftsführer. Nach der Katastrophe seien die Menschen in seinem Dorf auf sich alleine gestellt gewesen – erst rund eine Woche später sei überhaupt Hilfe seitens des Staates eingetroffen.

Und wie sieht die Situation vor Ort derzeit aus? Es gebe wieder Strom und auch genügend Wasser – das vor allem, weil von Balyan aus eine grosse Quelle entspringe. Auch Lebensmittel gebe es derzeit genug. Gebraucht würden aber noch Zelte, in denen dann mehrere ­Familien zusammen leben. Geheizt würden diese mit Holzöfen, wobei Holz aus den Trümmern verbrannt ­werde. Sein Dorf sei vor allem bekannt wegen der Tabakproduktion, die vielen Familien vor Ort ein regelmässiges Einkommen gesichert habe.

Im Sommer will er in die Türkei

«Jetzt fangen alle bei Null an – besser gesagt bei Minus», betont Sinan Kovan mit trauriger Stimme. Vor allem der Wiederaufbau werde wohl Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Dafür will er sich einsetzen – spätestens im Sommer will er in die Türkei fliegen und helfen. Derzeit sammelt ein Verein seiner Kollegen Geld, mit dem vor Ort in der Türkei Hilfsgüter eingekauft werden. Wer Hilfe leisten will, kann auch direkt im Restaurant Papaya bei Sinan Kovan nachfragen, was er tun kann. Nachfragen hilft.

Hier können Spenden für die Hilfsbedürftigen in Balyan und Umgebung eingezahlt werden: Bankkonto: IBAN CH45 0028 8288 1126 86M1 Q. Twint: +41 79 954 33 03.

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