«Die Kirche am Bahnhof hat grosses Potenzial»

Letzten Sommer hat Antonio Lee das Pfarramt der katholischen Kirchgemeinde Sankt Mauritius übernommen. Nach einer hektischen Zeit mit Kirchen-Neubau, dem abrupten Abgang seines Vorgängers und Querelen in der Gemeinde soll wieder Ruhe einkehren.

Als Sohn eines Nordkoreaners und einer Südkoreanerin ist Antonio Lee in der 10-Millionen-Stadt Seoul aufgewachsen. Seit einem halben Jahr ist er Pfarrer der katholischen Pfarrei Sankt Mauritius im Unteramt. <em>(Bild Thomas Stöckli)</em>
Als Sohn eines Nordkoreaners und einer Südkoreanerin ist Antonio Lee in der 10-Millionen-Stadt Seoul aufgewachsen. Seit einem halben Jahr ist er Pfarrer der katholischen Pfarrei Sankt Mauritius im Unteramt. <em>(Bild Thomas Stöckli)</em>

«Anzeiger»: Seit einem halben Jahr sind Sie Pfarrer in Bonstetten. Was war Ihr erster Eindruck?

Antonio Lee: Ich habe am 1. August angefangen und es war Ferienzeit. Die Gemeinde war sehr ruhig. Erst später ist mir aufgefallen, dass viele Kinder und Familien kommen. Es ist eine sehr junge Gemeinde.

Vorher waren Sie in Wetzikon. Was ist anders?

In Wetzikon gibt es 9000 Katholiken, zwei Kirchen, 120 Ministranten und sehr viele Mitarbeiter. Die Kirchen waren sehr gut besucht. In den drei Gemeinden Bonstetten, Stallikon und Wettswil haben wir 3600 Katholiken – und bereits 13 Ministranten gewonnen. Hier ist alles kleiner, bescheidener – aber sehr nett. Jünger und mit viel Hoffnung.

Ein sichtbares Ergebnis dieser Hoffnung ist die neue Kirche. Was bedeutet Ihnen diese?

Das alte Kirchengebäude habe ich nicht gekannt, aber es war wie ein normales Haus. Jetzt haben wir ein richtiges Kirchengebäude, unmittelbar am Bahnhof. Mit einem Kirchenturm, der ein Markenzeichen für die Gemeinde ist. Einerseits ist das gut, weil wir im Zentrum sind. Andererseits ist es auch eine Herausforderung: Was machen wir mit diesem Potenzial? Wir haben ein schönes Gebäude, aber ich will nicht das Gebäude in die Mitte stellen, sondern das Gemeindeleben stärken. Darauf setze ich meine Priorität. Dazu ist das Gebäude ein gutes Mittel – jetzt und in Zukunft.

Ihr Vorgänger Bernhard Herzog hat ja ganz kurzfristig demissioniert. Konnten Sie überhaupt noch eine Übergabe machen?

Nein, das konnten wir nicht. Nach seinem Abgang ist Franz-Xaver Herger (Diakon im Ruhestand aus Aeugst, Anm. d. Red.) gekommen. Er hat eine gute Brücke gemacht. Mit ihm habe ich noch regelmässig Kontakt. Aber das war nur ein halbes Jahr im 30-Prozent-Pensum. So musste ich von Null auf alles selber lernen. Dabei haben mich die Mitarbeiter mit Leib und Seele unterstützt und die Gläubigen brachten mir sehr viel Geduld entgegen.

Was waren Ihre ersten Änderungen nach dem Amtsantritt?

Die erste betraf die Liturgie, die heilige Messe. Die ist für uns Katholiken wie der Herzschlag: Lebensnotwendig. Früher war die Messe sehr beliebig. Mal fand sie statt, mal nur ein Wortgottesdienst und mal fiel sie ganz aus.

Die zweite ist meine Präsenz. Der Pfarrer muss vor Ort sein, damit die Leute ihn erreichen können.

Was sind weitere Ziele?

Ich bin froh, dass immer mehr Leute in den Gottesdienst kommen. Das bereitet mir grosse Freude. Ich lege allerdings nicht Wert auf Quantität, sondern auf Qualität. Ich möchte ein Gemeindeleben, das den Menschen Freude bereitet und sich wie eine Familie anfühlt. Ältere Gläubige erzählen mir von Pfarreireisen, von Ausflügen und Wanderungen. Das sind Schlüsselelemente, die im Laufe der Zeit leider eingeschlafen sind. Solche Sachen gehen schnell verloren, sie wieder zu beleben ist aufwändiger.

Immer wieder hört man auch, dass die Ökumene im Unteramt in den vergangenen Jahren gelitten habe.

Letzten September haben wir am «40er-Fäscht» gemeinsam mit Matthias Ruff (ref. Pfarrer Wettswil, Anm. d. Red.) gefeiert. Leider war die Ökumene zuvor tatsächlich eingeschlafen. Am 10. März machen wir einen ökumenischen Fastengottesdienst, gemeinsam mit den reformierten Kirchen von Bonstetten und Stallikon-Wettswil. Das freut mich sehr: Wir sind wieder alle in einem Gebäude für den Herrn. Wir Katholiken können viel lernen, auch von den Freikirchen. Etwa, wie sie ihre Überzeugung als Christen zum Ausdruck bringen.

In der Kirchenpflege gab es vor den Wahlen auch Querelen. Wie hat sich da die Situation entwickelt?

Die Wahlen waren noch vor meiner Ankunft. Der neue Präsident Sebastian Mundo führt die Kirchenpflege sehr gut. Er ist selber praktizierender Katholik. Es geht voran, es wird ruhiger und es wird wieder mehr gelacht. Das macht mich stolz.

Wie verstehen Sie Ihre eigene Rolle in der Gemeinschaft?

Bisher habe ich mich als Lückenbüsser verstanden: Wenn eine Kirche jemanden brauchte, bin ich eingesprungen. In Bonstetten habe ich nun zum ersten Mal die grosse Verantwortung übernommen. Das ist ein gewisser Druck. Ich verstehe mich allerdings nicht als Chef, sondern als Vermittler. Früher hat jede Gruppe in ihrem Bereich gearbeitet und es gab kein Netzwerk. Diese Gruppen will ich nun in Einklang bringen.

Wie schaffen Sie Akzeptanz für Veränderungen?

Viele Neue machen den Fehler, alles auf den Kopf stellen zu wollen. Ich bin jung und ungeduldig und muss mich oft selber bremsen. Ich bin an einem neuen Ort und will erst lernen. Vermitteln, Lücken schliessen und in Einklang bringen.

Vorerst sind Sie als Pfarradministrator hier. Nach einem bis zwei Jahren muss sich die Kirchgemeinde definitiv entscheiden. Beschäftigt Sie das?

Daran denke ich nicht. Ich erledige meine Arbeit aus Freude. Die Zukunft bereitet mir keine grosse Sorge. Ich weiss: der Herr hat immer eine Aufgabe für mich. Ich bin glücklich, hier zu sein und sehe dies als grosse Chance. Die Kirche am Bahnhof hat grosses Potenzial. Nun stellt sich nur noch die Frage, wie wir dieses erschliessen.

 

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