Das Steuersystem revolutionieren?

Was die Initianten einfach, fair, transparent und effizient nennen, ist für die Gegner in weiten Teilen das pure Gegenteil: Eine Mikrosteuer auf bargeldlosen Zahlungsverkehr, wie sie nun ein Initiativkomitee auf den Weg bringen will, war Thema im «LaMarotte» in Affoltern.

Erste öffentliche Diskussion über die Mikrosteuer im Kulturkeller LaMarotte in Affoltern, von links: Hans-Ulrich Bigler, Marco Salvi, Urs P. Gasche (Moderator), Felix Bolliger und Marc Chesney. <em>(Bild Werner Schneiter)</em>
Erste öffentliche Diskussion über die Mikrosteuer im Kulturkeller LaMarotte in Affoltern, von links: Hans-Ulrich Bigler, Marco Salvi, Urs P. Gasche (Moderator), Felix Bolliger und Marc Chesney. <em>(Bild Werner Schneiter)</em>

«Sie erleben heute eine Schweizer Premiere», kündigte Gesprächsleiter Urs P. Gasche den zwei Dutzend Interessierten an. Tatsächlich wurde erstmals kontradiktorisch über die Mikrosteuer diskutiert. Auf der einen Seite zwei Mitglieder einer Gruppe, deren Initiative derzeit bei der Bundeskanzlei in finaler Prüfung ist: der ehemalige Banker und Vermögensverwalter Felix Bolliger sowie der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney. Sie standen zwei dezidierten Gegnern einer solchen Steuer gegenüber: Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes aus Affoltern und nicht mehr gewählter FDP-Nationalrat, sowie Marco Salvi von Avenir Suisse.

Direkte Bundessteuer, Mehrwert- steuer und Stempelsteuern ersetzen

Mit der Einführung einer Mikrosteuer würde das Steuersystem auf eidgenössischer Ebene völlig ändern. Sie wäre geradezu revolutionär und würde die Mehrwertsteuer, die direkte Bundessteuer und die Stempelsteuer ersetzen. Auf kantonaler Ebene würde sich nichts ändern; Kantone behalten ihre Steuerhoheit und erheben nach wie vor Einkommens- und Gewinnsteuern.

Laut Initiativtext würde der Bund bei einer Mikrosteuer auf jeder Belastung und Gutschrift des bargeldlosen Zahlungsverkehrs einen einheitlichen Steuersatz von maximal 5 Promille erheben. Marc Chesney beziffert das Volumen der elektronischen Transaktionen in der Schweiz auf 100000 Milliarden Franken. Allein mit einer Mikrosteuer von 1 Promille ergäbe das 100 Milliarden Franken Steuereinnahmen – also etwa das Doppelte des jetzigen Systems auf Bundesebene. Wer also am Bankomaten 100 Franken abhebt, dem würde ein Rappen davon als Mikrosteuer abgezogen. «Diese Steuer ist einfacher, günstiger, gerechter und reduziert die Bürokratie», glaubt Chesney, der die Mikrosteuer als Antwort auf die weiter fortschreitende Digitalisierung sieht. Für Felix Bolliger ist sie die Antwort auf die Finalisierung der Wirtschaft durch Technologien. «Da fliessen heute ganz andere Geldmassen.»

Mit diesem System weltweit allein

«Mein erster Eindruck: eine gute Idee, weil die Steuerbasis breit und der Steueransatz tief ist», sagte Hans-Ulrich Bigler und liess sogleich ein Aber folgen: Die Gefahr, dass die Mikrosteuer Ausweichmöglichkeiten für Transaktionen begünstige, sei nicht von der Hand zu weisen. Ihn stören die leichten Umgehungsmöglichkeiten und die Tatsache, dass die Steuerpolitik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Oecd) mit der Umsatzbesteuerung in eine ganz andere Richtung geht. «Die Schweiz stünde mit diesem System weltweit allein da und käme wohl wieder auf die schwarze Liste», schob Bigler nach. Ihm fehlt bei der Mikrosteuer die Progression, ein gesellschaftspolitisch wichtiger Punkt. Auch Salvi sieht darin Abwanderungsgefahr der Finanzwirtschaft. «Das wollen wir nicht.» Bolliger erkennt in der Mikrosteuer die Chance, unnötige Transaktionen zu bremsen. Er sieht die Banken, hoch spezialisiert in Gebührenbelastung, quasi als ideale Steuereintreiber mit Selbstdeklarationspflicht, die für ihre Aufwendungen mit 10 Prozent entschädigt werden sollen. «Das würde wieder zu grösserem administrativem Aufwand führen», entgegnete Bigler. 100 Milliarden Steuereinnahmen – «jemand muss das zahlen – das sind Sie», ergänzte Salvi, der bei der Mikrosteuer ein enormes Abweichungsproblem sieht: «Mal sind es 100, mal 80 oder 60 Milliarden Einnahmen.»

Ist die Mikrosteuer gerecht?

Anders die Initianten: Sie glauben daran, dass die Mikrosteuer eine stabilere Situation ergäbe und Anreiz sei, in der Schweiz zu arbeiten. Sie sind sogar überzeugt, dass andere Länder dieses neue System kopieren würden. Die Mikrosteuer würde nach ihrer Ansicht nicht nur die Zahl der Transaktionen reduzieren, sondern sie sehen darin auch ein Mittel gegen die Spekulation. Dem könne man mit dem Ändern von Börsenregeln begegnen, entgegnete Salvi und erntete beim Thema Steuergerechtigkeit Widerspruch für die Behauptung, wonach Millionäre nicht mehr Transaktionen tätigen als weniger Reiche.

Ja, ist die Mikrosteuer gerecht? Auch hier scheiden sich die Geister. Chesney behauptete, dass die Progression auch bei der Mikrosteuer spielt. Wer mehr Transaktionen tätigt, zahlt mehr Steuern. Warum die Mikrosteuer nicht auf die Finanzwirtschaft beschränken? «Damit wäre das Substrat zu gering», so die Initianten. «Steuern müssen nach Leistung erfolgen. Entscheidend ist das Steuerportfolio in der Schweiz. Im Gesamten spielt heute bei den Steuern die Solidarität in unserem Land», sagte Bigler.

Die Initiative, zu deren «Vätern» auch der ehemalige Bundesratssprecher Oswald Sigg gehört, liegt nun laut Felix Bolliger bei der Bundeskanzlei zur finalen Prüfung. «Wir wollen im Januar 2020 mit der Unterschriftensammlung beginnen», sagte er am Rande der Veranstaltung im «LaMarotte».

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