Nicht Menschenrechte werden verletzt, sondern Menschen

Der Vortrag und das Podiumsgespräch zum Thema «Menschenrechte und Wirtschaft – (k)ein Zwiespalt?» wurden zu einem Plädoyer für die Konzernverantwortungsinitiative und zeigten den Zwiespalt, in der unser auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem steckt.

«Wir tragen die Menschenrechtsverletzungen auf der Haut», sagte Christine Kaufmann in ihrem Eröffnungsreferat des Zyklus «Wirtschaft und Werte» des Forums Kirche und Wirtschaft der katholischen Kirche des Kantons Zug am Donnerstagabend im Kappeler Gemeindesaal. Theologe Walter Ludin habe es in der Einstimmung auf den Punkt gebracht: Nicht Menschenrechte werden verletzt, sondern Menschen.

Anhand des simplen Beispiels eines T-Shirts erklärte die Professorin für öffentliches, Völker- und Europarecht an der Universität Zürich, die Schwierigkeit der Unternehmen, die Lieferketten ihrer Produkte frei von Menschenrechtsverletzungen zu halten. Die Textiler zählten zu den anfälligsten Branchen für Kinderarbeit, Ausbeutung und andere Menschenrechtsverletzungen, da sie auf der Welt sehr flexibel unterwegs seien. Kaufmann berief sich bei ihren Feststellungen unter anderem auf ein Treffen der Oecd (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa), das zwei Tage zuvor in Paris stattgefunden hatte. Thematisiert wurde da unter anderem die Tatsache, dass in Usbekistan Kinder unter übelsten Bedingungen als Baumwollpflücker ausgebeutet werden. «Das ist ein eklatanter Verstoss gegen die Oecd-Richtlinien», sagte Kaufmann. Als alle Appelle an die Verwaltungsräte der Kleiderfirmen, die ihre Baumwolle aus Usbekistan beziehen, nichts brachten, seien die Firmen in England wegen Menschenrechtsverletzung eingeklagt worden. Man habe sich dabei auf den Modern Slavery Act 2015 berufen, der eine Klausel beinhaltet, der die Sklaverei auch in ausländischen Zulieferketten adressiert. Kaufmann merkte an: «Es ist in vielen Unternehmen auf Druck der Öffentlichkeit ein Paradigmenwechsel im Gang von freiwillig zu verantwortungsvoll.» Ethisches Handeln in der Wirtschaft soll keine freiwillige Philanthropie mehr sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Die Konzernverantwortungsinitiative könne dieses Umdenken beschleunigen.

«Warte, luege, lose, laufe»

«Sogar die Schweiz hat ein Problem mit sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen beispielsweise von ausländischen Haushalthilfen», ist Kaufmann überzeugt. In Genf habe man deshalb eine Hotline eingerichtet, an die sich betroffene Angestellte wenden können. Die Rechtsprofessorin forderte die Hersteller, Distributoren und Kunden auf, die Herkunft von Kleidern und anderen Konsumgütern vor dem Kauf kritisch zu hinterfragen. Woher stammt die Baumwolle und unter welchen Bedingungen wurde sie gewonnen? Wo wurde das Kleidungsstück genäht? Sind die benutzten Substanzen wie Farbe und Bleichmittel umweltverträglich bzw. wurden die Arbeitnehmer im Herstellungsprozess genügend geschützt? Generell: Kamen die Arbeitnehmer zu ihrem Recht und wurden sie anständig bezahlt? Das sei so wie früher im Verkehrsunterricht der Primarschule: «Warte, luege, lose, laufe», schloss Kaufmann.

Im anschliessenden Podiumsgespräch unter der kompetenten Leitung von Kulturredaktor Christoph Keller zeigte sich dann der Zwiespalt, in dem sich unsere auf Gewinnmaximierung und schlanke Prozessabläufe optimierte Wirtschaft befindet.

Sowohl Liselotte Arni, bei der Grossbank UBS zuständig für den Bereich Umwelt- und Sozialrisiken, als auch Marius Lang, stellvertretender Bereichsleiter Sozialstandards bei Migros, bekräftigen ihre Sensibilität bezüglich Menschenrechtsverletzungen. Doch beide mussten einräumen, dass sie «blinde Ecken» in den Unternehmen haben, in der die Kontrolle nicht wie gewünscht funktioniert. «Beispielsweise, wenn sich die UBS in zweiter Reihe am Börsengang einer Saudischen Ölförderfirma beteiligt, was im harten Kontrast zum Klimaschutz steht?», wollte Keller wissen. Arni verteidigte das Engagement mit der guten Qualität des Saudischen Öls. Und damit, dass man das globale Wirtschaftssystem, das nun mal einen riesigen Hunger nach Rohöl habe, nicht einfach durch Umlegen eines Schalters von einem Tag auf den anderen ändern könne. Denn das würde zu einem Schock führen.

Kognitive Dissonanzen bei der Kundschaft

Ähnlich reagierte auch Lang auf das Ergebnis der spontanen Publikumsumfrage von Moderator Keller. Dieser wollte wissen, ob die Leute im Saal bereit wären, für ein T-Shirt ein paar Rappen mehr zu bezahlen, um die Arbeitskräfte in den Ursprungsländern besser zu entlöhnen, was unisono bejaht wurde. Lang kommentierte die Reaktion des Publikums als «kognitive Dissonanz», die Migros in ähnlichen Umfragen schon des Öfteren festgestellt habe. «Die Kunden hätten zwar gute Absichten. Letztlich führt im Laden dann aber doch der günstigere Preis zur Kaufentscheidung.» Der Sozialwissenschaftler Bernd Nilles, Leiter des Hilfswerkes «Fastenopfer», erklärte: «Wir haben ein Wirtschaftssystem geschaffen, das auf der Ausbeutung der entlegensten Gegenden dieser Welt beruht.» Unser Wohlstand dürfe aber nicht das Elend der Ärmsten zur Folge haben. Deshalb sei es wichtig, die Unternehmen und Sportverbände wie die Fifa auf die Missstände – zum Beispiel Wanderarbeiter beim Bau der Fussball-WM-Stadien in Katar, die wie Leibeigene gehalten werden – anzusprechen. Und darauf hinzuwirken, dass künftige WM-Vergaben an entsprechende Bedingungen geknüpft werden, damit sich derartige Missstände nicht wiederholten.

Generell schwinge in den Wohlstandsgesellschaften das Thema Menschenrechte bzw. deren Verletzung immer irgendwo mit. Die Leute seien sich dessen aber zu wenig bewusst. Das gelte es zu ändern. In der Schweiz seien die grossen Unternehmen der Welt zu Gast. Deshalb sei die Verantwortung der Schweiz auch so gross, schloss Nilles.

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