Als Telefonieren noch ein Vermögen kostete

Der frühere Fernmeldetechniker Martin Roth lud am Donnerstagnachmittag zur Besichtigung der alten, elektromechanischen Telefonzentrale in Rifferswil, die inzwischen ein Museum ist. Ein Rückblick in eine Zeit, als Telefonieren noch ein Luxus war.

Martin Roth am Hauptterminal der Rifferswiler Telefonzentrale vom Typ Rotary 7D3. Links hinter ihm sind die 600 Zählerblöcke der Abonnenten zu sehen; direkt hinter ihm unter Glas eine Batterie von neun elektromechanischen Drehwählern, die die Tele
Martin Roth am Hauptterminal der Rifferswiler Telefonzentrale vom Typ Rotary 7D3. Links hinter ihm sind die 600 Zählerblöcke der Abonnenten zu sehen; direkt hinter ihm unter Glas eine Batterie von neun elektromechanischen Drehwählern, die die Telefonverbindung herstellten. (Bild Martin Platter)

Kein anderer Alltagsgegenstand hat seit dem Zweiten Weltkrieg eine derart dynamische Entwicklung durchlaufen wie das Telefon. Noch 1970 verfügten erst 46 von 100 Haushalten in der Schweiz über einen Fernsprecher. Wollte man in jungen Jahren mit der Liebsten telefonieren, vereinbarte man zuvor eine Zeit für den Anruf, damit nicht «versehentlich» der Vater, die Mutter oder ein redseliges Geschwister den Hörer abhob, was zu sehr peinlichen Situationen führen konnte. Stand die Verbindung endlich, waren die Gebühren des Monopolisten PTT derart hoch, dass man gezwungen war, sich kurzzufassen, wollte man keinen Ärger mit den Eltern riskieren.

Der Rundgang mit Martin Roth in der alten Telefonzentrale an der Mettmenstetterstrasse in Rifferswil zeigte, weshalb die Preise fürs Telefonieren früher derart hoch gewesen waren. Gebaut als schmuckes Häuschen mit Läden und Satteldach – der Bund wollte zu dieser Zeit noch nicht, dass Infrastrukturbauten als solche zu erkennen waren – war die Telefonzentrale vom 23. Juni 1955 bis am 18. September 1984 in Betrieb.

Telefonieren konnte man in Rifferswil aber schon viel früher. Ab 1898 – 18 Jahre nach der Inbetriebnahme des ersten privaten Telefonnetzes der Schweiz in Zürich – wurden eine Handvoll Rifferswiler Abonnenten an die Zentrale in Affoltern angeschlossen. Eine eigene Vermittlungszentrale gabs in Rifferswil erst 1921. Das Dorf hatte damals lediglich 21 Telefonabonnenten, da Telefonieren extrem teuer war. Das hatte auch mit dem Personalaufwand zu tun. Zu dieser Zeit war noch eine Telefonistin für die Herstellung der Verbindungen nötig. Deshalb konnte auch nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit telefoniert werden, sondern nur während vorgegebener Betriebszeiten. Im Estrich über dem Postbüro im Restaurant Post erhielt Rifferswil 1931 eine automatische Telefonzentrale. Sie war für maximal 85 Anschlüsse ausgelegt. Die steigende Nachfrage nach privaten Telefongesprächen führte schliesslich 1954 vis-à-vis der Post zum Bau der Telefonzentrale, die zuletzt für 600 Abonnenten aus Rifferswil und Kappel ausgerüstet war.

Serviceaufwändig bis hin zum Ölwechsel

Kompetent erklärte Roth die Funktionsweise der Zentrale, die im Inneren auf den ersten Blick an einen Serverraum erinnert. Nur das beim Hauptterminal kein Bildschirm mit Tastatur, sondern ein Tableau mit Steckverbindungen, Kabeln, ein Voltmeter und ein Telefon mit Wählscheibe steht. Darüber prangt ein Schild mit der Aufschrift des Typs der Telefonzentrale und der Marke des Herstellers. Roth erklärt: «In den 1950er-Jahren gab es schweizweit nur drei Hersteller solcher Anlagen. Der Bund war für die Aufteilung der Aufträge an die drei Firmen zuständig.» Die Standard Telephon und Radio AG Zürich (heute Alcatel), die das Modell in Rifferswil liefern durfte, produzierte damals noch in der Roten Fabrik. «Die Anlage war sehr wartungsintensiv. Die Verbindung zu jedem Abonnenten musste einzeln eingelötet werden. Zügelte man aus dem Einzugsgebiet der Telefonzentrale, gabs deshalb eine neue Telefonnummer. Normale Telefonanschlüsse verfügten über zwei Drähte, die der Feuerwehrangehörigen über drei, da das Telefon bei einem Feuerwehralarm ununterbrochenem klingelte. Wechselten die Feuerwehrleute, wurden die Anschlüsse umgelötet. Einmal pro Monat mussten die Relais gereinigt und kontrolliert werden, damit es zu keinen Fehlfunktionen kam. Höhepunkt der Servicearbeiten war jeweils der Ölwechsel an den Wellenantrieben alle zwei Jahre, denn die 54 Drehwähler wurden über einen zentralen Gleichstrommotor angetrieben.»

Maximal neun Teilnehmer pro 100 Telefonanschlüsse konnten gleichzeitig telefonieren. Hängte jemand sein Telefon nicht richtig auf oder hob den Hörer absichtlich von der Gabel, um nicht gestört zu werden, blockierte das einen Drehwähler in der Zentrale, was bei längerer Dauer einen Alarm auslöste. «Das konnte dazu führen, dass wir dem Teilnehmer die Leitung trennten, um den Drehwähler wieder für alle freizugeben», erinnert sich Roth, der bei einem Alarm bei jeder Tages- und Nachtzeit ausrücken musste. Damals habe noch die Direktive der PTT gegolten, dass eine Telefonverbindung stets durchgehend drahtgebunden sein musste. Die Telefone funktionierten deshalb früher auch bei einem Stromausfall, denn die Zentralen verfügten über riesige Bleibatterien, die den Betrieb auch ohne Strom vom Netz für mindestens 24 Stunden sicherstellten. Ausserdem seien mobile Notstromgruppen zur Verfügung gestanden.

Umständlicher Fakturierungsprozess

Auch der Fakturierungsprozess für die Telefonrechnungen war aufwändig. Die Stände der mechanischen Zähler wurden einmal pro Monat fotografiert, um Ablesefehler zu vermeiden und bei Streitigkeiten mit Abonnenten einen Beweis zu haben. Anhand der Fotos wurden dann die Rechnungen geschrieben und per Post an die Telefonabonnenten versandt. «Da schwang keine Wehmut mit, als wir die Zentrale 1984 vom Netz nahmen», gibt Roth zu und sagt: «Wie die heutige Jugend waren wir begeistert von den neuen Technologien.»

Mit der Digitalisierung stieg das Telekommunikationsangebot rasant: Zwischen 1980 und 1996 hat sich das Volumen der Telefongespräche auf 9,0 Milliarden Taxminuten nahezu verdoppelt; bei den Auslandgesprächen sogar knapp verdreifacht auf 3,5 Milliarden. Dann kamen die Mobiltelefone. Zu erwähnen ist noch das Jahr 1998. Aus dem Monopolbetrieb PTT sind mit der «Swisscom AG» und «Die Schweizerische Post» zwei eigenständige Unternehmen entstanden und der Markt wurde endlich für Mitbewerber geöffnet. Damit sanken die Telekommunikationskosten massiv. Aus dem Luxusgut Telefonie wurde ein Allgemeingut, das sich heute jede und jeder leisten kann.

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