Das «Billett» zur Unabhängigkeit
Im Juni kam es im Bezirk Affoltern zu drei Auto-Unfällen, die durch Seniorinnen und Senioren verursacht wurden. Wie ist umzugehen mit dem Bedürfnis nach Mobilität im Alter?

5. Juni: Eine 78-Jährige erwischt mit ihrem Auto eine 14-jährige Mofa-Lenkerin, die in Affoltern aus einer Strasse links abbiegen will. Die junge Frau wird bei der Auffahrkollision verletzt.
22. Juni: Eine 78-jährige Autolenkerin kollidiert in Ottenbach mit einem Inselschutzpfosten und einem Baum. Sie und ihr 80-jähriger Ehemann werden mit Verletzungen ins Spital gebracht.
23. Juni: Ein 94-Jähriger verliert an einem Dorffest in Zwillikon beim Rückwärtsfahren die Kontrolle über sein Auto. Zwei Männer werden verletzt; einer davon schwer.
Im Juni ist es im Bezirk Affoltern zu drei Verkehrsunfällen mit Seniorinnen oder Senioren am Steuer gekommen. Die Ereignishäufung ist eine lokale Momentaufnahme, sie taugt nicht als Indiz für einen Trend. Erwiesen und von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) vielfach thematisiert ist dagegen, dass Seniorinnen und Senioren ab 65 Jahren im Schweizer Strassenverkehr die meistgefährdete Altersgruppe sind: Einerseits haben Unfälle für sie öfter schlimme Folgen als bei jüngeren Personen (hochgerechnet auf 1000 Unfall-Verletzte zu Fuss, mit E-Bike oder Auto sterben durchschnittlich 33 Seniorinnen und Senioren, während es etwa bei den 25- bis 44-Jährigen 7 Personen sind). Gleichzeitig nehmen ihre kognitiven Fähigkeiten mit dem Alter ab. Es fällt ihnen schwerer, Geschwindigkeiten und Distanzen einzuschätzen und das Gehirn braucht länger, um Informationen zu verarbeiten, sodass sie am Steuer selbst überdurchschnittlich viele Unfälle verursachen.
Gemäss BFU haben Lenkerinnen und Lenker ab 65 Jahren auf derselben Strecke ein doppelt so hohes Risiko, einen schweren Autounfall zu verursachen wie jene zwischen 25 und 64 Jahren. Bei Personen ab 75 Jahren steigt das Unfallrisiko um das Fünffache. Mit dem soziodemografischen Wandel dürfte die Zahl der Unfälle weiter steigen.
Medizinische Checks bringen nichts
Nie besassen in der Schweiz so viele Erwachsene einen Führerausweis wie heute. Es sind 83 Prozent aller Volljährigen, wie das Bundesamt für Statistik im April in seiner Mobilitätsstudie festhielt. Dass dieser Wert im Vergleich zu 1994 um sieben Prozentpunkte gestiegen ist, lässt sich ebenfalls auf den soziodemografischen Wandel, also die Überalterung der Gesellschaft, zurückführen: Die Zahl an Seniorinnen und Senioren hat in der Schweiz deutlich zugenommen – und mit ihnen die Zahl jener mit gültigem Billett. Im Jahr 2000 war mit 53 Prozent noch rund die Hälfte im Besitz eines Fahrausweises gewesen. Im Jahr 2021 waren es bereits 73,6 Prozent, also rund drei Viertel.
Sie alle müssen ihre Fahrtauglichkeit zweijährlich medizinisch überprüfen lassen. Ihr Hausarzt prüft dabei neben dem Sehvermögen auch die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit der Autofahrenden.
Zunächst hatte die Alterslimite für diese Checks während Jahrzehnten bei 70 Jahren gelegen. 2019 wurde sie auf 75 Jahre gelockert. Zuletzt kam nun eine Studie der BFU zum Schluss, dass die medizinischen Checks keinen positiven Einfluss auf die Verkehrssicherheit haben. Diese Ergebnisse decken sich mit internationalen Studien.
Wie also umgehen mit dem Bedürfnis nach Mobilität im Alter? In drei weiteren Beiträgen erzählen eine Hausärztin, eine Fahrlehrerin und ein Ehepaar von ihren Erfahrungen.