Der Alltag der Flüchtlinge
In Obfelden sind seit Anfang Mai Flüchtlinge aus Afghanistan untergebracht. Der «Anzeiger» war vor Ort in der Zivilschutzanlage Brunnmatt.
Wegen der Erhöhung der Asyl-Aufnahmequote im Juni im Kanton Zürich haben die Gemeinden Obfelden, Ottenbach, Hausen und Mettmenstetten eine gemeinsame Lösung gesucht. Mit der Zivilschutzanlage Brunnmatt in Obfelden wurde diese temporäre Lösung zur Unterbringung von Asylsuchenden gefunden.
Beim Augenschein des «Anzeigers» vor Ort sind aktuell vierzig Männer aus Afghanistan im Alter zwischen 20 und 40 Jahren einquartiert. Insgesamt ist die Anlage für 50 Personen ausgelegt. Zum Rechten schaut der Betriebsleiter Primus Kaiser. Er war schon 2015/2016 für die Betreuung von Flüchtlingen in Bonstetten zuständig und steht jetzt trotz Pension auch in Obfelden im Einsatz. «Unterdessen jeweils von Montag bis Freitag, einmal täglich», meint er zu seinem Pensum. Er sorgt für Nachschub von WC- und Küchenpapier oder Waschmittel. Dies wird den Bewohnern zur Verfügung gestellt.
Eine ständige Betreuung für die Flüchtlinge gibt es nicht. In den allgemeinen Bereichen sorgt Kaiser für Ordnung und einmal wöchentlich wird auch professionell gereinigt. «Im Schlafbereich müssen die Bewohner unterdessen selbst zum Rechten schauen», sagt der Betriebsleiter.
Wichtiger Deutsch-Unterricht
Probleme sind Kaiser keine grösseren bekannt. Mit den Nachbarn der Liegenschaft steht man im Austausch und erhielt bisher keine negativen Rückmeldungen. Im Gegenteil. Einige Nachbarn helfen als Freiwillige bei der Betreuung mit. So zum Beispiel Daniela Letizia. Sie unterstützt einige Flüchtlinge im Deutsch-Unterricht. «Ich erkläre zum Beispiel den Akkusativ und helfe bei den Hausaufgaben», sagt sie dazu.
Gleich nach der Ankunft starteten die jungen Afghanen einen intensiven, halbtägigen Deutschkurs, welche sie unterdessen fünf Mal pro Woche in Zürich besuchen. Es wird betont, dass das Erlernen der Sprache wesentlich für die Integration ist. So auch für den 27-jährigen Mahdi. Er ist seit sieben Monaten in der Schweiz und seit der Eröffnung vor zwei Monaten in Obfelden. Im gebrochenen Mix aus Deutsch und Englisch erklärt er gegenüber dem «Anzeiger», dass die Lernbedingungen jeweils schwierig sind. Im grossen Saal der Brunnmatt befindet sich der Aufenthaltsraum. Dank Spenden gibt es hier unterdessen Sofas, ein Tischtennis-Tisch, ein TV-Gerät und eine Playstation. Das sorgt aber natürlich für entsprechende Lärmbelästigung. Ein eigener Raum fürs Lernen ist nicht vorhanden.
An diesem späten Morgen sind noch wenige Bewohner zu sehen. Der Tagesablauf pendelt sich nur langsam ein. Oft herrscht bis in die Nacht hinein Betrieb, dafür wird dann länger geschlafen. Ein Nachtdienst sorgt jeweils für Ruhe oder wenigstens geschlossene Fenster.
Viele Freiwillige
Für Obfelden konnte man fast 20 Freiwillige gewinnen, welche je nach Aufgaben aufgeboten werden. Man organisiert sich in einer Whatsapp-Gruppe. Neben dem Deutsch-Unterricht benötigen die Bewohner aktuell aber keine grosse Unterstützung. Oft helfen sich die besser Englisch- oder schon Deutsch-sprechenden gegenseitig. Auch fürs Haare schneiden hat man sich selbst organisiert. Einer der Flüchtlinge beherrscht das Coiffeur-Handwerk und schneidet den anderen Personen die Haare.
Die Flüchtlinge erhalten monatlich 450 Franken und müssen dann selbst für Kleider und Essen schauen. Alle sind unterdessen viel mit dem Velo unterwegs und um nach Affoltern zu kommen, erhalten sie auch ein ÖV-Ticket. Der Schulbesuch in der Stadt Zürich wird für sie ebenfalls finanziert. Auch eine Internetverbindung im Gebäude wird zur Verfügung gestellt. Daniela Letizia sagt dazu, dass die Bewohner ihre Familien auf der ganzen Welt verteilt haben. Und Primus Kaiser ergänzt: «Es ist einfach wichtig, dass der Kontakt nach aussen möglich ist. Ansonsten wäre die Situation noch schwieriger».
Dutzende Fahrräder im Einsatz
Mahdi nutzt seine Zeit auch zum Besuch eines Fitnesszentrums. Bei Zürich Hardbrücke gibt es eines, welches er gratis benutzen darf. Auch sonst wird bei den Männern mit Durchschnittsalter 25 Sport gross geschrieben. Im Eingangsbereich der Schlafplätze hängt ein grosser Boxsack, auf einem Plan vom Dorf ist gross der Sportplatz eingezeichnet und fast alle haben unterdessen ein Fahrrad. «Ich weiss bald nicht mehr wohin mit den Velos», erklärt der Betriebsleiter. Die Fahrräder stehen überall in der Anlage herum.
Für Sport und andere Aktivitäten sorgt auch die Jugendarbeit Obfelden-Ottenbach O2. Die Asylsuchenden können im Jugendtreff auch mal Billard spielen oder die Computer-Infrastruktur für einen Ausdruck nutzen. Primus Kaiser spricht in diesem Zusammenhang auch einen grossen Dank an die Gemeinde Obfelden aus: «Die Zusammenarbeit ist sehr gut».
René von Euw ist ein weiterer Freiwilliger. Er wollte seine Erfahrung als Klassen-Senior auch bei den Flüchtlingen einbringen. Nun unterstützt er beim Deutsch lernen. Die Bandbreite an untergebrachten Personen ist gross. Es gibt Afghanen, welche als Journalisten oder Programmierer gearbeitet haben, aber auch Leute ohne Schreib- und Lesekenntnisse. Gesprochen wird untereinander meistens «Dari», welches in Afghanistan eine gebräuchliche Bezeichnung für Persisch ist. Von Euw ergänzt, dass auch «Paschtu» zu hören ist. Das ist die zweite offizielle Amtssprache Afghanistans.
Die Bevölkerung ist neugierig
Im Untergeschoss der Zivilschutzanlage befindet sich der Schlafbereich und auch eine zweite, kleine Küche. In dieser kochen einige Bewohner gerade ihr Mittagessen. In der Mitte der Anlage stehen Tische und Stühle bereit, es duftet nach feinem Essen. Auch Brot wird selbst gebacken.
Der «Anzeiger» trifft hier auf Hameedullah. Er war in Afghanistan als Journalist tätig und spricht sehr gut englisch. Er berichtet, dass er zuvor in einem «Bunker» in Zürich untergebracht war und jetzt auch hier wieder. Kritisiert wird das aber nicht. Mitfühlen kann man trotzdem, dass bald ein Jahr in Zivilschutzanlagen zu leben nicht angenehm ist. Seine Erfahrungen in Obfelden sind positiv. «The people are very interested», erklärt er. Die Leute im Dorf interessieren sich sehr für sie. Oft werden sie draussen beäugt oder auch angesprochen. Er selbst setzt sich auch für minderjährige Flüchtlinge ein und steht als Englisch-Lehrer in Zürich im Einsatz. Zudem ist er weiter als Journalist tätig.
Für ein Foto in der Schlafunterkunft wird noch schnell besser aufgeräumt. Die Menschen wirken trotz der schwierigen Situation sehr locker und zufrieden. Das ist auch der Eindruck von Primus Kaiser. Am Tag der offenen Tür vor der Eröffnung der Anlage gab es viel Besuch, aber auch kritische Stimmen. «Der Anlass war sehr wichtig für die Bevölkerung und ermöglichte schwierige Themen direkt anzusprechen».
Die baldige Mittagszeit sorgt für ein nun emsiges Treiben im schmalen Gang. Erste Speisen werden aufgetischt und kleine Gruppen nehmen ihre Plätze ein. Gemütlich ist anders, aber das Möglichste wurde in dieser Anlage für die Asylsuchenden sicher getan.