Die Ehefrau misshandelt? - «Zu dünne Beweislage»

Obergericht hebt Urteil des Bezirksgerichts Affoltern auf

Tatvorwürfe gegen den Ehemann zu pauschal, schwammig und diffus: Das Obergericht sieht es anders als das Bezirksgericht Affoltern. (Bild Werner Schneiter)

Der 30-Jährige hat Wurzeln in Bosnien-Herzegowina. Er kam in einem Asylheim zur Welt, ist in der Schweiz aufgewachsen und inzwischen Schweizer Bürger, Elektromonteur und wohnt heute nicht mehr im Bezirk Affoltern. Seine Frau lernte er 2017 auf einer Dating-Plattform kennen. Er ging nach Sarajewo und holte sie in die Schweiz, wo es rasch zur Heirat kam – und ebenso schnell folgten Probleme, die in einer Anzeige der Frau mündeten. So soll er sie mindestens 100-mal in der Wohnung eingesperrt, jeweils während Stunden. Dazu soll er stundenlang auf sie eingeredet, sie geschlagen, beschimpft und sexuell genötigt haben.

Für die Staatsanwaltschaft ist der Sachverhalt erstellt. Sie gewichtet das Tatverschulden als «erheblich» und forderte eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten. Das Bezirksgericht Affoltern sah es ähnlich. Wegen mehrfacher Nötigung, mehrfacher Freiheitsberaubung, mehrfacher sexueller Nötigung und einfacher Körperverletzung kassierte der Mann im Januar 2022 vier Jahre und sechs Monate Gefängnis. Zudem wurde er verpflichtet, der Privatklägerin eine Genugtuung von 12 000 Franken zu zahlen (der «Anzeiger» hat berichtet).

Nur eine «Scheinehe»?

Vor Obergericht bestritt der Beschuldigte die Taten fast vollumfänglich – nur eine Ohrfeige räumte er ein – und sagte, was er schon bei der Vorinstanz zu Protokoll gab: Seine Frau habe die von ihm eingeleitete Trennung nicht akzeptiert, um zu verhindern, dass sie in ihr Heimatland abgeschoben werde. Derweil er Harmonie angestrebt und sie nie zu etwas gezwungen habe, habe sie sich respektlos und eifersüchtig verhalten und sich nicht integrieren wollen. Er habe sie unterstützt, auch finanziell. Als im Oberrichter Beat Gut Fotos mit Verletzungen der Frau zeigte, sagte er: «Keine Ahnung, woher diese stammen.» Sie habe ihm Geschenke gemacht, auch teure, und damit eine Scheinehe mit dem Ziel einer Einbürgerung angestrebt. «Sie hat auf der ganzen Ebene gelogen», sagte er im Rahmen der richterlichen Befragung und behauptete ausserdem, sie habe ihn in einem Fall im Bett geweckt und sexuell genötigt.

Auch sein Verteidiger bezeichnete die Vorwürfe der Frau als «weder glaubwürdig noch glaubhaft». Erst als der Entzug der Aufenthaltsbewilligung drohte, habe sie Anzeige gemacht. Für sie sei die Einreise in der Schweiz «wie ein Lottosechser» gewesen, und sie wollte auf keinen Fall zurück. Ihr Suizidversuch sei aus Angst vor ihren Eltern erfolgt, behauptete der Verteidiger. Das Bezirksgericht habe fast alles ignoriert, was für seinen Mandanten spreche und alles zulasten von ihm gewürdigt. Er sprach von «nicht überwindbaren Zweifeln» und forderte einen vollumfänglichen Freispruch sowie eine Genugtuung von 2000 Franken.

«Respekt, dass sie hier erscheinen»

Auch die Klägerin erschien vor Obergericht und sagte unter Tränen, sein Verteidiger habe ihr Dinge in den Mund gelegt, die nicht stimmten. «Meine Anwältin hat alles geprüft, bevor sie das Mandat annahm», sagte sie. Weil sie Frieden wollte, habe sie Geschenke gemacht. Sie betonte, dass sie nicht auf seine Kosten gelebt habe. Der Suizidversuch sei erfolgt, «weil ich ihm gefallen wollte». Wäre er einsichtig gewesen, so hätte sie auf eine Anzeige verzichtet. Seine Familie habe die Heirat verhindern wollen. «Weil sie ihn kannten.» In ihrer Familie sei sie – entgegen anderer Behauptungen – nie gezüchtigt worden. «Respekt, dass sie hier vor Obergericht erscheinen», sagte der Verteidiger des Beschuldigten, bestritt aber ihre Aussagen.

Das Obergericht hebt das Urteil der Vorinstanz auf, was einem Freispruch gleichkommt. Es sei vorliegend nicht möglich, einzelne Tatvorwürfe herauszunehmen und genau zu beurteilen, sprich: individuell zu beurteilen, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen. Diese Tatvorwürfe müssten in der Anklage genau umschrieben werden. Hier fehlten objektive Beweismittel; es handle sich um pauschale Vorwürfe mit «ganz dünner Beweislage». Behaupte die Klägerin pauschal, es sei alles schlimm gewesen, so reiche das nicht aus, sei nicht detailliert. Vorliegend sei alles schwammig, diffus, zu wenig individualisiert. «Die Anklage ist wie ein auf Sand gebautes Haus, ohne stabiles Fundament», so das Obergericht. Vieles sei vage geblieben, auch wenn es kaum vorstellbar sei, dass es in diesem Fall durchwegs um reine Erfindungen der Privatklägerin handle.

Neben der Einstellung des Verfahrens werden dem Beschuldigten 400 Franken Entschädigung für zwei Tage Haft zugesprochen; auf eine Genugtuung wird aber verzichtet. Die Verfahrenskosten – über 50 000 Franken – werden auf die Gerichtskasse genommen und Forderungen auf den Zivilweg verwiesen.

SB 220 514/DG 210 001, Urteil vom 6. November 2023, noch nicht rechtskräftig

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