«Die Kritik war berechtigt – und sie hat gewirkt»

«Wir sind hier» – unter diesem Motto lud das MNA-Zentrum Lilienberg am Samstag zum Fest. Die AOZ war sichtlich bestrebt, die erreichten Verbesserungen aufzuzeigen und die Jugendlichen trugen massgeblich zum Kulturerlebnis bei.

Am Lilienberg-Fest, von links: Zentrumsleiter Micha Portmann, AOZ-Leiterin Lucie Rehsche, AOZ-Präsidentin Regula Ruflin und Felix Fürer, Stadtrat Affoltern.

Am Lilienberg-Fest, von links: Zentrumsleiter Micha Portmann, AOZ-Leiterin Lucie Rehsche, AOZ-Präsidentin Regula Ruflin und Felix Fürer, Stadtrat Affoltern.

Interessiertes Publikum im vollen Festzelt.

Interessiertes Publikum im vollen Festzelt.

Beste Stimmung bei Musik und Tanz. (Bilder Thomas Stöckli)

Beste Stimmung bei Musik und Tanz. (Bilder Thomas Stöckli)

Im MNA-Zentrum Lilienberg über Affoltern bringt die Stadt Zürich Jugendliche unter, die ohne erwachsene Begleitung in die Schweiz geflüchtet sind. Für die mangelnde Betreuung und die verlotterte Infrastruktur vor Ort musste die verantwortliche Asyl-Organisation Zürich (AOZ) letztes Jahr massiv Kritik ein­stecken. Zu Recht, wie Verwaltungsratspräsidentin Regula Ruflin am Samstag unumwunden zugab.

Berüchtigt und aussergewöhnlich

Vom «berüchtigten Lilienberg» sprach Lucie Rehsche, die per 1. Juni interimistisch die Leitung der AOZ übernommen hat, Bezug nehmend auf die schwerwiegenden Vorwürfe gegen die Institution, die letztes Jahr laut geworden waren. Aber auch vom «aussergewöhnlichen Lilienberg», weil es schweizweit kaum vergleichbare Zentren gebe, da sich hier engagierte und kreative Mitarbeitende tagtäglich einsetzen, um Jugendlichen einen guten Start in der Schweiz zu ­ermöglichen. Aussergewöhnlich sei das MNA-Zentrum auch, so Rehsche weiter, weil man nach der «kalten Dusche» die offensichtlichen Probleme tatkräftig angepackt und bereits diverse Verbesserungen umgesetzt habe. «Noch sind wir nicht am Ziel», so die neue Direktorin der AOZ, «aber das Zentrum hat sich verändert und weiterentwickelt.» Als Beispiele nannte sie die neuen Aufenthaltsräume, die durch den Umzug der Schule in den neuen Pavillon im Ennetgraben frei wurden, aber auch die Aufwertung des Haupthauses durch diverse Sanierungsmassnahmen. Unter anderem an der Aussenfassade, beim Eingangsbereich, in der Küche, im Esssaal und bei den sanitären Anlagen – gegen 200000 Franken wurden investiert. Zudem wurden die Stellenprozente aufgestockt von rund 2500 auf 3700, verteilt auf mehr als 45 Personen. Bei der «Schlüssel­gruppe» Sozialpädagogik beträgt der Aufbau ­sogar knapp 60 Prozent, auf aktuell rund 1800 Stellenprozente.

Nach wie vor überbelegt

Nichts geändert hat sich an der Überbelegung. Nach wie vor sind 90 Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren in den Zweier- bis Viererzimmern des ­«Lilienbergs» einquartiert. Erklärtes Ziel ist es, auf maximal 60 Jugendliche zu reduzieren. In der Stadt Zürich wurden dieses Jahr zwar zwei neue Aussenstellen eröffnet, doch angesichts des Grossandrangs von Flüchtenden brachten diese dem «Lilienberg» nicht die erhoffte Entlastung. Noch nicht: «Uns ist es ein Anliegen, dass man dranbleibt, auf 60 Plätze zu reduzieren», so Felix Fürer, Affoltemer Stadtrat Soziales und Gesellschaft. Schliesslich wirke sich das auf die Befindlichkeit der Jugendlichen aus.

Erfreut zeigte sich Fürer von der Präsenz der «Lilienberg»-Jugendlichen auf dem Schulareal Ennetgraben. Dorthin pendeln sie wie andere Schüler auch, was die Motivation fördert und Austausch ermöglicht. Auch im Jugendtreff ergeben sich vermehrt interkulturelle Kontakte. Sein Wunsch sei es, so Fürer, dass die lokale Bevölkerung den Mut habe, auf die Jugendlichen vom «Lilienberg» zuzugehen und diese an der Gesellschaft teilhaben zu lassen.

Bewegende Bilder und Literatur

Diesen interkulturellen Austausch hat auch «Lilienberg»-Leiter Micha Portmann in seiner Begrüssung angesprochen. Und er wurde am «Lilienberg»-Fest zelebriert, mit Musik und Tanz, Literatur und Kulinarik. Im Dokumentarfilm «Wir sind hier» bot sich Gelegenheit, mehr über die Institution «Lilienberg» und ihre Bewohner, die an der Produktion beteiligt waren, zu erfahren. Bei der Vorführung im Esssaal wurde viel ­gelacht, zuweilen herrschte auch betroffenes Schweigen, angesichts der nur angedeuteten, unvorstellbaren Flucht-Erlebnisse. Zum Schluss der Vorführung durften sich die anwesenden Filme­macher über tosendem Applaus freuen. Dazu wurden ­einige der Jugendlichen in einer Fotoausstellung in Szene gesetzt, im Handstand, am Klavier oder mit Basketball. Daneben waren die ­Resultate ­eines Schreibworkshops zu bestaunen. Unter Anleitung des afghanischen Exil-Schriftstellers Hussein ­Mohammadi hatten die jungen Afghanen Erlebnisse und Wünsche in ihrer Muttersprache zu Papier gebracht und durch MNA-Mitarbeitende übersetzen lassen. Einer schrieb von seiner Flucht-Odyssee über den Iran, die Türkei, Griechenland, Albanien, Montenegro, Bosnien, Kroatien, Italien, Frankreich, Belgien und Deutschland. Andere von ihren Zielen und Träumen, von Familie, Haus mit Garten, Auto und einem Beruf im Gesundheitswesen. Aber auch von der Verpflichtung, die zurückgelassene Familie zu unterstützen und stolz zu machen.

Zukunft ungewiss

Es ist noch nicht alles gut im «Lilienberg», aber schon einiges besser, das machten die Eindrücke vom Fest deutlich. Ob das MNA-Zentrum an der ­Mühlebergstrasse 100 eine Zukunft hat, das steht noch in den Sternen. Der Leistungsauftrag läuft nur noch bis Ende Februar 2024. Für einen nächsten muss sich die AOZ wieder bewerben. «Wir hoffen natürlich, den Auftrag wieder zu ­bekommen», so Regula Ruflin. «Ich ­wünsche mir das für die Jugendlichen und für die Mitarbeitenden.»

Weitere Artikel zu «Bezirk Affoltern», die sie interessieren könnten

Bezirk Affoltern16.05.2024

Sie schenken ihrem Dorf ein Fest

Zum Stalliker Fest-OK gehören 15 Personen. Darunter auch Christian Vonow. Ihn verbindet mit dem Dorfjubiläum eine besondere Geschichte
Bezirk Affoltern16.05.2024

Viel Wohlwollen für das geplante Werkgebäude in Knonau

An der Informationsveranstaltung wurden auch Sorgen zu den Gemeindefinanzen laut
Bezirk Affoltern16.05.2024

Tage der Sonne

Vielfältiges Programm im Säuliamt