Die Pionierinnen aus Wettswil
Der Frauenverein Wettswil feierte sein 150-jähriges Bestehen im Schulhaus Ägerten

Vor 150 Jahren war Wettswil ein kleines Dorf mit 389 Bewohnerinnen und Bewohnern, verteilt auf 64 Bauernhäuser. Die Lebenserwartung in der Schweiz lag bei unter 60 Jahren, jedes vierte Kind starb bereits im Säuglingsalter. Frauen standen unter männlicher Vormundschaft, entweder der des Ehemannes oder der des Vaters oder Bruders. Ein Wahlrecht für Frauen war noch sehr weit entfernt vom Denkbaren.
«120 Frauen und Jungfrauen»
In diesem gesellschaftlichen Umfeld wurden im Frühling 1875 die Frauen der Ortschulpflege Wettswil angefragt, ob sie «auf geeignet scheinende Weise Schritte tun möchten, um wieder einen Frauenverein ins Leben zu rufen». Laut den Statuten war der Zweck des Vereins, die weibliche Arbeitsschule zu unterstützen. Jedes Mitglied verpflichtete sich, einen monatlichen Beitrag von 20 Rappen zu zahlen und die Arbeitsschule jährlich wenigstens zweimal zu besuchen. Es traten damals «Hundertzwanzig Frauen und Jungfrauen» dem neugegründeten Verein bei, was Rückschlüsse zulässt, sowohl auf die Fortschrittlichkeit der Männer – sie mussten einem Beitritt schliesslich zustimmen – als auch auf den Wohlstand von Wettswil. 2.40 Franken im Jahr waren für die damaligen Verhältnisse eine spürbare Haushaltsausgabe.
Der schweizerische gemeinnützige Verein wurde 1788 gegründet, 13 Jahre später als der Frauenverein der Wettswiler Pionierinnen. Der Verein konzentriere sich vor allem darauf, soziale Not im Dorf abzufedern. Staatliche soziale Sicherheit wie die AHV oder die obligatorische Krankenkasse gab es noch nicht, und so tätigte der Frauenverein Ausgaben wie «ein Paar Hosen» oder «Taschentücher» für Armutsbetroffene.
Für die Frauen selbst war der Verein aber auch sehr wichtig. Bot er doch die einzige Möglichkeit, sich ausser Haus zu treffen, sich gegenseitig zu unterstützen und überhaupt im öffentlichen Raum sichtbar zu werden. Heute ist das soziale Netz dichter, aber der Frauenverein übernimmt immer noch karitative Aufgaben wie Besuche zu Hause oder im Altersheim, Gratulationen zu runden Geburtstagen und die Organisation gemeinsamer Aktivitäten. Die Motive haben sich leicht verändert – statt «aus dem Haus dürfen» hört man heute «andere Frauen kennenlernen» oder «Vernetzung im Dorf». Mit rund 180 Mitgliedern, davon über 50 Ehrenmitgliedern, ist der Verein ein bedeutender Teil des Dorflebens. Die grosse Jubiläumsfeier bereitete ein engagiertes Organisationskomitee (OK) – Ruth Meierhofer, Karin Seeger, Corinne Signer und Ursula Nievergelt – über längere Zeit vor. Insbesondere die Recherche für die im Foyer der Schule gezeigte, historische Ausstellung band Ressourcen. Diese Erfahrung bewerteten alle Beteiligten im Nachhinein aber als sehr bereichernd. «Es war schön zu sehen, wie Jung und Alt schon vor 150 Jahren das Miteinander gepflegt haben», sagt Corinne Signer, und Ursula Nievergelt ergänzt: «Die Vorbereitung im OK war ein sehr bereicherndes Jahr und brachte uns dem Zweck des Frauenvereins wieder näher.» Für Ruth Meierhofer war die Recherche auch deshalb interessant, weil die Geschichte des Frauenvereins untrennbar mit der Geschichte der Frauen in der Schweiz verbunden ist: «Durch die Vorbereitung des Jubiläums bin ich tief in die Schweizer Frauengeschichte eingetaucht!»
Ein Festabend voller Höhepunkte
Unter dem Motto «150 Jahre Frauenverein – das feiern wir!» gestaltete das OK dann einen Abend, der neben Ansprachen auch Platz liess für das gesellige Zusammensein bei einem schönen Racletteplausch und musikalische Auflockerung durch das Laien-Duo Cecile und Urs Hanhart.
Karin Seeger, Vorsitzende des Frauenvereins, eröffnete den Festakt mit einem herzlichen Dank an alle Mitgliederinnen: «Der Verein lebt von Euch!» Die Gemeindepräsidentin Kathrin Röthlisberger würdigte das grosse Engagement des Vereins im Dorfleben.
Ein besonderer Höhepunkt war das Referat der Zürcher Autorin und Historikerin Verena E. Müller, die sich ungeachtet ihrer 85 Jahre weiterhin intensiv mit Themen der schweizerischen Frauenbewegung befasst. Für ihren lebendigen und unterhaltsamen Vortrag hat sie die Geschichte der Gemeinde Wettswil gründlich recherchiert, die eingangs zitierten Zahlen hat sie zusammengetragen. Mit einem Schmunzeln zeigte sie auf, dass bei der Volkszählung 1870 zwar die Zahl der Einwohner erhoben wurde, aber nicht der Anteil Frauen. Bei der Viehzählung hingegen wurde jedes einzelne Tier aufgelistet: «Man weiss, wie viele Säue es im Dorf gab – aber nicht, wie viele Frauen!», sagte sie und erntete Gelächter.
Zum Abschluss sprach Remo Buob, der Präsident des noch älteren Gemeindevereins (Gründung 1863) von Wettswil. Er betonte die Bedeutung eines lebendigen Vereinslebens und würdigte den Frauenverein als herausragendes Beispiel: «Tradition ist nicht starr, Tradition ist Bewegung mit Wurzeln. Und darum: Danke, dass ihr es immer wieder geschafft habt, die Freude am Verein, die Freude am Miteinander, die Freude am ‹Gutes-Tun› weiterzugeben.»
Der schöne Abend endete mit einem grossen Dessertbuffet – ein würdiger Ausklang eines Jubiläums, das die Geschichte und die Bedeutung des Frauenvereins Wettswil eindrucksvoll sichtbar machte.


