Sicheres Autofahren im Alter
Realistische Selbstwahrnehmung ist unabdingbar
Frau F. flucht nie. Ausser beim Autofahren. Wieder einmal fährt ein Auto vor der 75-Jährigen zu langsam, immer zehn Stundenkilometer weniger als erlaubt. «Schon wieder so ein alter Sack», knurrte sie. Endlich kommt eine gerade Strecke. Sie kann gefahrlos überholen und blickte beim Überholmanöver wütend ins Wageninnere. «Der ist ja viel jünger als ich», denkt sie erstaunt lächelnd.
Herr D. erholte sich nach einem Schlaganfall erstaunlich schnell und gut. Einiges musste er wieder neu lernen. Beispielsweise Fahrrad fahren. Dies gelang gut. Bevor er sich aber wieder ans Steuer setzt, bucht er bei einer Expertin ein paar Fahrstunden. Sie soll seine Fahrtauglichkeit überprüfen und ihm bestätigen, dass er weder für sich noch für andere eine Gefahr im Strassenverkehr bedeutet.
Diese Beispiele zeigen, worum es geht, wenn man im Alter weiterhin sein Auto nutzen möchte: um realistische Selbsteinschätzung und um das Bewusstsein, dass alters- oder krankheitsbedingte Veränderungen dazu führen können, dass man am Steuer Schwierigkeiten bekommen könnte.
Bundesamt für Unfallverhütung
Fakt ist: Für andere Verkehrsteilnehmende geht von den meisten Seniorinnen und Senioren kein überdurchschnittlich hohes Risiko aus. Es sind eher die Seniorinnen und Senioren selbst, die bei Unfällen besonders gefährdet sind, weil sie verletzlicher sind. Es ist verständlich, dass für viele Menschen die Mobilität, die ein Auto bietet, ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit bedeutet, insbesondere für Personen, die an einem Ort wohnen, wo das Nutzen des öffentlichen Verkehrs aufwendig oder unmöglich ist.
Ab 75 Jahren müssen sich alle, die den Führerausweis behalten wollen, einer obligatorischen medizinischen Untersuchung unterziehen. Diese Untersuchung muss alle zwei Jahre wiederholt werden. Die Untersuchung ist kostenpflichtig.
Das Bundesamt für Unfallverhütung BfU rät: «Fahren Sie grundsätzlich nur, wenn Sie sich wohlfühlen und besuchen Sie bei medizinischen Problemen einen Arzt. Wenn Sie Medikamente einnehmen: Besprechen Sie mit einer Ärztin oder einem Apotheker, ob diese Auswirkungen auf das Autofahren haben. Frischen Sie Ihre Fahrkompetenzen in einem Kurs auf. Auf einfachen und bekannten Strecken sind Sie sicherer unterwegs.» Diese Ratschläge gelten für Verkehrsteilnehmende generell, sollen aber im Alter konsequenter befolgt werden. «Machen Sie den FahrsicherheitsCheck – noch vor der obligatorischen Untersuchung ab 75», schlägt das BfU vor und verweist auf folgende Webadresse: www.fahrsicherheitscheck.ch. Da die körperliche und mentale Fitness mit den Jahren immer wichtiger wird, soll man den Check jährlich wiederholen.
Insbesondere Sehkraft und Hörfähigkeit können im Alter nachlassen. Ältere Menschen verarbeiten Informationen langsamer, ihre Reaktionszeit verlängert sich und die Konzentrationsfähigkeit kann sich vermindern, zudem kann sich die Beweglichkeit reduzieren.
Fahrschule für Ältere
Siw Hasler-Chresta hat eine fundierte medizinische Grundbildung als Medizinische Praxisassistentin. Sie führt Nothelferkurse durch, ist als «First Responder» fähig, in kürzester Zeit Erste Hilfe zu leisten und bildet sich im Gesundheitsbereich stetig weiter. Bei einer Fahrschule in Affoltern ist sie die Spezialistin für ältere Kundschaft. Das heisst, sie führt Kontrollfahrten durch, entweder auf Initiative eines Arztes oder auf Wunsch von älteren Fahrzeuglenkerinnen und -lenkern, die ihre Fahrtüchtigkeit aktiv und eigenverantwortlich erhalten wollen. «Frühzeitiges Training kann helfen, den Führerausweis länger zu behalten», ist sie überzeugt. «Dabei gilt es auch, die aktuellen Verkehrsbestimmungen zu kennen.» Die Fahrlehrerinnen helfen auch, die Einstellungen von Sitz und Spiegeln zu optimieren.
Sie empfiehlt, sich als Seniorin auch mal von einer Vertrauensperson begleiten, beobachten und beraten zu lassen – allerdings ist Kritikfähigkeit die Voraussetzung. Hausärzte, die Personen ab 75 medizinisch untersuchen und ihnen Fahrtüchtigkeit bescheinigen sollen, können empfehlen, eine Doppelstunde bei der Fahrschule zu buchen, um die Aspekte abklären zu lassen, die sich eher im Strassenverkehr und weniger in der Praxis beobachten lassen.
Empfehlenswert ist auch das stressfreie, sichere Nutzen des Fahrsimulators in der Fahrschule, wo beispielsweise die Reaktionsgeschwindigkeit getestet werden kann.
Siw Hasler-Chresta empfiehlt, nach 65 eher nicht neu Auto fahren zu lernen. «Eine Frau wollte mit 65 den Führerschein machen, um mit ihrer Katze ins Tessin fahren zu können. Sie schaffte es nach 170 Fahrstunden.» Die Fahrlehrerin macht zudem aufmerksam, dass E-Bikes deutlich schneller fahren als die herkömmlichen Velos, was die Unfallgefahr erhöht. Deshalb macht es vielleicht Sinn, sich auch als E-Biker praktisch schulen und auf den neusten Stand der Verkehrsregeln bringen zu lassen.
Was kann man tun?
Generell macht es Sinn, sich geistig und körperlich fit zu halten – beispielsweise die Beweglichkeit der Halswirbelsäule zu trainieren. Es gilt, das Fahrverhalten situativ anzupassen, beispielsweise möglichst bei Tageslicht und gutem Wetter zu fahren und Stosszeiten oder Fahrten in der Dämmerung und Dunkelheit zu meiden. Auf bekannten und vertrauten Strecken fühlt man sich sicherer. Längere Fahrten sollen gut geplant werden, mit regelmässigen Erholungspausen. Es ist darauf zu achten, dass die Sicht optimal ist, also Scheinwerfer, Scheiben und Spiegel sauber halten. Moderne Fahrassistenzsysteme können das Fahren erleichtern. Es gilt, diese zu verstehen und gezielt zu nutzen. Fahrassistenzsysteme sind elektronische Helfer, die Fahrerinnen und Fahrern helfen, die Sicherheit zu erhöhen. Sie reichen von der automatischen Notbremsung und dem Spurhalteassistenten über den Totwinkelassistenten und Müdigkeits- und Aufmerksamkeitswarner bis zu Einpark- und Rückfahrhilfen und zur Abstandsregelung.
In der Schweiz gibt es keine gesetzliche Pflicht, den Führerausweis bei Erreichen eines bestimmten Alters abzugeben. Das Alter ist nicht entscheidend. Vor allem der allgemeine Gesundheitszustand und die Fahrerfahrung tragen zum sicheren Autofahren bei. Wer aber die Einsicht hat, aus Altersgründen nicht mehr fahrtüchtig zu sein, kann den Ausweis freiwillig beim Strassenverkehrsamt abgeben.
Für Bezugspersonen ist es schwierig, wenn sie den Eindruck haben, ältere, nahestehende Personen fahren zunehmend schlechter – insbesondere, wenn diese darauf angesprochen keine Einsicht zeigen. Dann ist Einfühlungsvermögen gefragt. Vielleicht hilft es, Alternativen zum Autofahren aufzuzeigen und Fahrdienste anzubieten.






