Ein gewitzter Förderer tritt ab
In diesen Tagen begleitet Peter Landolt seine letzte Klasse durch das Ende der Schulzeit. Den Stoff zu vermitteln, war für ihn das eine. Vor allem aber wollte er seine Schülerinnen und Schüler darin bestärken, an sich und ihre Talente zu glauben.

Am Tag, bevor er in die Ferien fuhr, entschied Peter Landolt, Lehrer zu werden. Nach dem Wirtschaftsgymnasium hatte er eigentlich Jura oder Nationalökonomie studieren wollen. Bis er vom Lehrer-Studium las und spontan umschwenkte. Was ihn dort erwartete, wusste er nicht so genau. Er traute es sich einfach mal zu.
Peter Landolt sagt über sich, er sei ein optimistischer Mensch. Wenn er etwas ausprobiert habe, sei er meistens auf den Füssen gelandet. Was er seinen Schülerinnen und Schülern fürs Leben habe mitgeben wollen, lautet die Frage an ihn, an einem Junitag im Lehrerzimmer in Mettmenstetten. Und er sagt: «Dass sie denken: ‹Das schaff’ ich.›»
Den Stoff zu vermitteln – bei Peter Landolt sind das die naturwissenschaftlichen Fächer – sei für ihn im Lauf der Jahre immer weniger wichtig geworden: «Als ich angefangen habe, war der Lehrplan mein Heiligtum. Daran habe ich mich orientiert – und dabei die Schülerinnen und Schüler gar nicht so richtig gesehen.» Heute denkt er anders. Er ist überzeugt: Wenn es gelingt, die Jugendlichen zu motivieren, sie dort abzuholen, wo sie stehen, dann ergibt sich der schulische Erfolg häufig ganz von selbst.
«Lass uns ein Theater aufführen»
Diese menschliche Komponente ist es gewesen, die aus Peter Landolt einen Sek-, und keinen Gymilehrer gemacht hat. Aus fachlicher Perspektive, sagt er, hätte ihn die Arbeit am Gymnasium gereizt. Bloss hätte er die Jugendlichen dort als Fachlehrer nur wenige Stunden in der Woche unterrichtet, während er sie als Sek-Lehrer näher begleiten konnte.
So startet er nach dem Studium im Herbst 1981 in Horgen. Ein halbes Jahr später, im Frühling 1982, wechselt er nach Mettmenstetten. Zunächst wohnt er weiterhin in der Stadt Zürich, mag noch nicht in einem «Bauernkaff» leben. Ein Jahr später ist es mit dem Pendeln vorbei – Peter Landolt zieht nach Mettmenstetten.
Dort ist er zunächst ein ruhiger Lehrer, doch die Erfolgserlebnisse, die er nach und nach hat, ermutigen ihn. Da ist zum Beispiel das Theater. 30 Jahre ist es her, dass seine Stellenpartnerin Karin Niklaus, die seit vielen Jahren auch seine Lebenspartnerin ist, beim Schrankausräumen auf ein Skript stiess und spontan fand: «Lass uns ein Theater aufführen.» Seither schreiben die beiden für jede Abschlussklasse ein eigenes Stück. «Wir hatten null Ahnung und keinen Zugang zum Theater», erzählt Karin Niklaus am Telefon, «wir haben einfach mal gemacht.» Sie seien «frächi Sieche», stichelte Landolts Bruder, Mitglied einer Laien-Schauspielgruppe, ab und zu über so viel Kühnheit.
Für dieses Theater sind Karin Niklaus und Peter Landolt inzwischen bekannt. Lehrerkollegen erwähnen es, wenn man sich bei ihnen nach Peter Landolt erkundigt, und auch Ehemalige sind noch immer gerne Teil des Events. Sie klatschen im Publikum, schicken Video-Grussbotschaften oder kehren als Musiker zurück und begleiten den Abend ohne Gage.
Solange sie aber bei ihm zur Schule gehen, zeigt sich die Wertschätzung der Schülerinnen und Schüler zunächst noch etwas subtiler. Es sind die kleinen Gesten. Man grüsst sich morgens, gab sich die Hand, als man noch durfte, blickt sich in die Augen, wenn man miteinander redet. Und selbst wenn Peter Landolt mal wieder das Gefühl beschleicht, das Vis-a-vis sei im Gespräch nicht ganz so präsent gewesen, dann stellt er später häufig kleine Verhaltensänderungen fest.
Ein schlagfertiger Sprücheklopfer
«Er ist ein guter Sprücheklopfer», sagt Hans Walti, der selber seit mehr als 40 Jahren an der Sekundarschule Mettmenstetten unterrichtet. Und Karin Niklaus sagt, die ersten Scherze fielen, noch bevor er im Schulzimmer stehe. Im E-Mail, in dem man das Treffen vereinbart, erfährt er, dass man nach dem Gespräch noch ein Foto knipsen werde. Und antwortet: «Nehmen Sie die Kamera ruhig mit. Ich konnte gerade noch einen Termin beim Schönheitschirurgen buchen.»
Die Spässe gehören auch zu seinem Unterricht dazu. Je älter die Schülerinnen und Schüler werden, desto mehr adaptieren sie seinen Stil, bieten ihm die Stirn. Immer öfter kommt ein Spruch zurück – «Das find’ ich dann ganz gut!»
Er sei nahe an seinen Schülern, sagt Peter Landolt, lebe während drei Jahren «ganz mit ihnen mit». Zwischen Chef- und Kumpeldasein verlaufe eine Grenze, die die Schüler haargenau kennen würden. Meistens jedenfalls: Hin und wieder antworte er auf einen Spruch, der sei jetzt «echli unter dä Gürtellinie» gewesen. Oder er merkt, dass er selbst über das Ziel hinausgeschossen ist und entschuldigt sich. Mit seinen Witzen möchte er die Kommunikation zu den Jugendlichen stärken. Sind Jugendliche eher zurückhaltend, ist er es auch. «Ich will niemanden vor den Kopf stossen.»
Elterngespräche im Wohnzimmer statt in der Schule
Wenn die Sechstklässler am sogenannten «Wellentag» in der Sek zum Schnuppen kämen, nehme er sie noch nicht wahr, sagt Peter Landolt. «Bis zum letzten Schultag interessiert mich nur meine aktuelle Klasse.» Dann sind die Sommerferien um, die Neuen kommen, «und ich bin voll auf sie fokussiert». Für ihn und Karin Niklaus heisst das auch, plötzlich in verschiedenen Mettmenstetter, Maschwander und Knonauer Stuben zu sitzen. Sie bieten den Eltern an, für das erste Gespräch zu ihnen nach Hause zu kommen. Peter Landolt ist es wichtig, die Schüler in ihrer natürlichen Umgebung zu erleben: «Für mich ist es ein riesiger Unterschied, ob jemand Geschwister hat oder nicht, ob er auf einem Bauernhof aufwächst oder in einem Block.» Es sind Details, die im Gesamtbild eines Schülers vielleicht die entscheidenden Farbtupfer sind.
«Opferfreudig» auf allen Spielfeldern
Wenn eine Schülerin in einem Theater mitspielt, besucht er auf Einladung auch mal eine Aufführung. Oder das Radquer in Mettmenstetten, wenn ein Schüler dort an den Start geht. Der Sport hat ihm über all der Zeit besonders am Herzen gelegen. Über viele Jahre hat er den Schulsport im Bezirk Affoltern geleitet, nahm mit seinen Schülerinnen und Schülern an Turnieren teil, in der Freizeit, und stoppte auf dem Rückweg auch mal am McDrive, wenn sie mal wieder gewonnen hatten.
Am liebsten hat er auch selber einen Fuss oder eine Hand im Spiel. «Er ist ein Gambler», sagt Karin Niklaus über ihren Partner. Pausen-Aufsichten seien schwierig mit ihm. Sehe er einen Ball – schwupps! – sei er weg. Er selber ortet bei seinen Mitspielern inzwischen gewisse Verhaltensänderungen: «Fiel ich in früheren Jahren hin, haben die Schüler gelacht. Heute kommen sie und fragen: ‹haben Sie sich wehgetan?›»
Auch Hans Walti streicht am Telefon Peter Landolts grosses Engagement hervor, im sportlichen Bereich, aber nicht nur. Er habe ihn als engagierten, hilfsbereiten Kollegen kennengelernt, dem auch das Miteinander ein Anliegen gewesen sei. Mehrmals nahm das Lehrerteam am Grümpi in Affoltern teil, mit Peter Landolt im Tor. Dort sei er allerdings ein bisschen verletzungsanfällig gewesen, verrät Walti: «Drei Mal hat er sich bei einer Parade das Handgelenk gebrochen.» Und Peter Landolt? Sagt: «Aber ich habe gehalten.»
Als «opferfreudig» wird Landolt auch auf anderen Spielfeldern wahr-genommen. «Er ist keiner, der nur Chlötzli hin- und herschiebt», sagt Harry Oesch, der mit ihm seit vielen Jahren Schach spielt. «Er ist ein fantasievoller Spieler. Man muss bei ihm auf alles gefasst sein.»
«Scheitern, was ist das?»
Das Schach, das Töfffahren, das Golfen. Seine Hobbys würden sicher für einen Ausgleich zum Beruf sorgen, sagt er, wobei er das Unterrichten häufig nicht als Arbeit empfinde, «weil es mir so Spass macht.»
Auf die Frage, wie er es schaffe, trotz seines Einsatzes nicht auszubrennen, antwortet er: «Da hilft es mir, dass ich manchmal fast ein bisschen ein übersteigertes Selbstbewusstsein habe.» Er sage sich: «Das geht schon, das reicht, so kann ich das machen.» Dadurch gerate er weniger in Versuchung, alles «pingelig vorzubereiten».
Er sei pünktlich, aber nicht früher da als nötig, sagt Karin Niklaus. Sie sei diejenige, die morgens zuerst im Schulzimmer sei. Und ihn dann höre. Ihn und die «discomässige Musik», die dabei manchmal ertöne, wenn er noch schnell seinen Kaffee trinke.
«Vielleicht kommt dieses Selbstbewusstsein nicht überall gleich gut an», sagt Peter Landolt. Sogar seine Partnerin sage ihm hin und wieder: «Bleib auf dem Boden.»
Auf die Frage, ob er niemals Angst vor dem Scheitern habe, sagt er im Gespräch lachend: «Scheitern, was ist das?» Man kann diese Antwort nun als ironischen Beitrag einordnen – oder sich daran erinnern, was er zuvor übers Spässe-Machen reflektiert hatte: «In jedem meiner Sprüche liegt ein Körnchen Wahrheit.»
Als Schulleiter vermisste er bald die Schülerinnen und Schüler
Einige seiner ehemaligen Schüler sind über die Jahre zu Freunden geworden. Manchen begegnet er im Dorf heute noch, andere hat er nie wieder gesehen. Oder sie einfach nicht mehr erkannt, wenn sie die Schule als «Büebli» verliessen und ihn Jahre später irgendwo in Zürich als «Chaschte» mit «Hoi Peter» grüssten.
39 Jahre und 13 Klassenzüge hat Peter Landolt in Mettmenstetten geführt. Viereinhalb Jahre war er nebenbei in einem Teilzeitpensum als Schulleiter tätig. Dann gab er das Amt wieder ab, weil er seine Schülerinnen und Schüler vermisste. Das Lehrersein, sagt Karin Niklaus, sei seine Passion, die Schülerinnen und Schüler sein Elixier.
Im November wird Peter Landolt 65, die jetzige Abschlussklasse ist seine letzte. Sie frage sich schon, wie es sein werde, ohne Klasse, ohne den Austausch mit den Jugendlichen. Sie habe sich extra geachtet, ob sie an ihm eine Veränderung feststelle, jetzt auf den Endspurt hin. «Nada, nichts», sagt Karin Niklaus.
Vermutlich weiss er, der Optimist, heute noch nicht so genau, was ihn als Pensionär erwartet. Er traut es sich einfach mal zu.