Ein Leben lang gearbeitet – im Alter arm

Altersarmut betrifft mehr Menschen, als man denkt

Nach der Pensionierung ist auch in der Schweiz bei vielen Menschen das Geld knapp. (Symbolbild Severin Bigler)

Nach der Pensionierung ist auch in der Schweiz bei vielen Menschen das Geld knapp. (Symbolbild Severin Bigler)

Den «Anzeiger» erreichten aus der Leserschaft folgende Fragen: «Wie altern pensionierte Menschen, die zu wenig Geld haben, also Menschen, die nur mit AHV- und Ergänzungsleistungen auskommen müssen? Wie gelingt dieser Bevölkerungsgruppe ein sinnvolles, zufriedenes und interessantes Leben, wenn Geldsorgen drücken?» Die Leserin hat sich informiert und Lösungsansätze gesucht. Laut Pro Senectute erhöht Altersarmut zudem das Gesundheitsrisiko, isoliert und macht einsam, und senkt die Lebenszufriedenheit.

Um bei aktueller oder potenzieller Altersarmut individuell definierte, gute Lebensqualität zu erhalten, rät die Leserin, sich folgende Fragen zu beantworten: «Wie will ich leben? Wie kann ich weiterleben und dabei gesund, zufrieden und einigermassen sozialverträglich bleiben?» Die Aussagen und Fragen der Leserin implizieren, dass es einerseits darum geht, wie man mehr Einkommen generieren könnte, anderseits, wie man sich mit wenig verfügbarem Geld sein Leben zufriedenstellend gestalten kann, ohne der Gesellschaft übermässig zur Last zu fallen.

Beratung und Situationsanalyse

Alinka Rüdin, Leiterin der Beratungsstelle für Alters- und Gesundheitsfragen der Pro Senectute im Bezirk Affoltern, erzählt ein typisches Beispiel für Fragen, die ihr gestellt werden: «Frau H., 75 Jahre alt, lebt allein und kann mit ihrer AHV-Rente sowie einer kleinen BVG-Zusatzrente ihre monatlichen Ausgaben nicht vollständig decken. In ihrer finanziellen Not wendet sie sich zunächst an die Beratungsstelle für Alters- und Gesundheitsfragen im Bezirk Affoltern. Diese überweist sie an die Sozialberatung von Pro Senectute Kanton Zürich, verantwortlich für den Bezirk Affoltern. Im Erstgespräch werden die Einkommens- und Ausgabensituation von Frau H. analysiert und ein Budget wird erstellt. Dabei zeigt sich, dass die laufenden Kosten ihre Einnahmen übersteigen. Die Sozialberaterin prüft mögliche Anspruchsleistungen.» Die bekanntesten sind Ergänzungsleistungen, kurz EL, AHV, Prämienverbilligung der Krankenkasse sowie kantonale und gemeinnützige Unterstützungsangebote. Zur Überbrückung akuter Engpässe kann zusätzlich kurzfristige Sozialhilfe in Anspruch genommen werden. «Die Sozialberaterin unterstützt Frau H. bei der Antragstellung und der Kommunikation mit relevanten Stellen, wie der Krankenkasse oder dem Vermieter, um Zahlungsvereinbarungen zu treffen. Ziel ist, drohende Betreibungen zu verhindern und die selbstständige Lebensführung langfristig zu sichern», so Alinka Rüdin.

Fakten und Zahlen

Die Situation betreffend Altersarmut in der Schweiz im Jahr 2024 war besorgniserregend: Fast 300000 Seniorinnen und Senioren leben an oder unter der Armutsgrenze, wobei Frauen stärker als Männer betroffen sind. Steigende Mieten und Lebenshaltungskosten sowie wachsende Krankenkassenprämien verschärfen die finanzielle Situation zusätzlich. Betroffene Menschen scheuen sich oft, Hilfe zu beanspruchen. Sie wollen es selbst schaffen, empfinden Schamgefühle beim Gang zu einer offiziellen Stelle und beim Beanspruchen von Leistungen durch soziale Institutionen.

Avenir Suisse relativiert: «Im Jahr 2023 kamen 92 Prozent der Neurentner nach der Pensionierung finanziell gut über die Runde, während acht Prozent auf Ergänzungsleistungen angewiesen waren. Von diesen zählten drei Viertel bereits vor der Pensionierung auf Sozialhilfe oder Leistungen der Invalidenversicherung. Nur etwa zwei Prozent der Neurentnerinnen und Neurentner wurden erst nach der Pensionierung bedürftig. Das Armutsrisiko in der Schweiz hängt also nicht primär vom Alter ab, sondern von anderen Faktoren wie Bildungsstand, Nationalität oder Behinderung, die bereits vor der Pensionierung bestanden.»

Aktiv werden

Für Betroffene sind diese Zahlen nicht tröstlich. Was man aber aus allem schliessen kann: Es gilt, sich bereits lange vor der Pensionierung mit der Finanzierung des Lebens im Alter zu beschäftigen. Vielleicht macht es Sinn, über die Pensionierungsgrenze hinauszuarbeiten und sich so das Altersguthaben aufzustocken. Vielleicht macht ein Teilzeitjob Sinn, nicht nur betreffend Einkommen, sondern auch als Faktor zur Lebenszufriedenheit. Beliebte Bereiche sind Dienstleistungsberufe, handwerkliche Tätigkeiten wie Hausmeisterei oder Gartenarbeit, Hilfe im Haushalt, Fahrdienste, Kinderbetreuung sowie administrative Unterstützung oder juristische Beratung. Es gibt beispielsweise spezielle Jobbörsen für Seniorinnen und Senioren.

Entschädigung für «Hilfslose»

Die Möglichkeit von Hilfslosenentschädigung ist allgemein zu wenig bekannt. Diese erhalten Menschen, die bei Alltagstätigkeiten wie Ankleiden, Essen oder Körperpflege regelmässig auf Hilfe angewiesen sind. Der Anspruch auf Hilfslosenentschädigung und Intensivpflegezuschlag wird immer individuell abgeklärt, unter anderem durch einen Hausarzt – und dies dauert seine Zeit. Im Unterschied zur Ergänzungsleistung wird die Hilfslosenentschädigung unabhängig von Einkommen und Vermögen ausgerichtet. Mit dem erhaltenen Geld kann eine Person entschädigt werden, welche die Hilfsdienste übernimmt. Dies kann ein Familienmitglied sein, muss aber nicht.

Entlastungsdienst und Information

Kim Böhlen von Entlastungsdienst Schweiz beantwortet folgende Fragen: Werden Einsätze entlöhnt? Wenn eine Frau regelmässig ihrer Nachbarin hilft, aufzustehen, sich anzukleiden und sie bei einfachen Haushaltsarbeiten unterstützt – kann sie dies dann als Entlastungsdienst deklarieren und sich entlöhnen lassen?

«Es existiert keine generelle Finanzierung für Unterstützungsleistungen bei nahestehenden Personen. Der Entlastungsdienst Schweiz organisiert individuelle Betreuung für Menschen mit Unterstützungsbedarf im Alltag. Die Betreuung wird durch Betreuungspersonen geleistet, die im Stundenlohn bei uns angestellt sind. Die Löhne variieren je nach Kanton. Die Einsätze werden von kantonalen Vereinen organisiert. Grundsätzlich kann sich jede Person bewerben, es braucht keinen pflegerischen Hintergrund. Um die Qualität der Einsätze sicherzustellen, müssen Betreuungspersonen vorgängig einen Strafregisterauszug einreichen und sind verpflichtet, an internen Schulungen teilzunehmen. Jede Person mit Unterstützungsbedarf kann unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Je nach Situation variieren die Finanzierungsmöglichkeiten seitens der betreuten Personen.» Und die Spitex Knonaueramt formuliert auf ihrer Webseite dazu: «Wir suchen fortlaufend motivierte Betreuer und Betreuerinnen für den Entlastungsdienst.»

Die Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation bei Altersarmut sind komplex. Es gilt, sich mutig frühzeitig zu informieren, wie man seine aktuelle oder vorhersehbare Altersarmut rechtzeitig verhindern oder abschwächen kann. Auf alle Fälle soll man sich nicht scheuen, die Beratungsstelle Alters- und Gesundheitsfragen Bezirk Affoltern oder die Fachstelle Alter und Gesundheit der Stadt Affoltern zu kontaktieren.

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