Eine Ersatzwahl gibt zu reden
Der Wahlkampf in Bonstetten wird immer hitziger – wieso kochen die Emotionen derart hoch?

Der Fachkräftemangel macht auch vor den lokalpolitischen Exekutiven nicht Halt. Ellenbogen-Kämpfe um freie Sitze? Fehlanzeige! Tritt in einem Gemeinderat ein Mitglied zurück, ist die Behörde in der Regel dankbar, wenn sich überhaupt jemand aufstellen lässt. Nicht selten kommt es in der Folge zu einer stillen Wahl. Wie etwa zuletzt im Herbst in Rifferswil oder in Maschwanden.
Meist erreichen amtliche Publikationen zu solchen Personalien den Status einer Randnotiz: Sie werden zur Kenntnis genommen, wenn überhaupt. Anders gelagert sind die Dinge aktuell in Bonstetten. Dort finden die Wahlen alles andere als unter dem Radar der Öffentlichkeit statt. Für die beiden freien Sitze stellen sich vier Kandidaten zur Verfügung, es gibt also keine stille Wahl. Und das Ausmass der Mobilisierung sprengt das, was man üblicherweise von Ersatzwahlen gewohnt ist. Der Wahl-Kampf macht seinem Namen alle Ehre. Und das nicht nur zum Besten der Beteiligten.
Orchestrierte Leserbrief-Wellen auf beiden Seiten
Im Forum des «Anzeigers» sind zur Ersatzwahl in Bonstetten bis heute zwei Dutzend Einsendungen erschienen. Die meisten beziehen sich auf die Kandidatur von Claude Wuillemin (SVP). Er hatte bereits von 2014 bis 2018 im Gemeinderat gesessen und an den Gesamterneuerungswahlen 2018 sowohl die Wiederwahl als auch die Wahl zum Gemeindepräsidenten klar verfehlt.
Es sind Briefe in adäquatem Tonfall und bejahendem Gestus darunter, klassische Wahlempfehlungen. Zu ihnen mischen sich aber auch Meinungen in ungewohnt bissigem Stil: Einsendungen, in denen Zweifel gestreut werden an der Eignung von Kandidierenden. Oder in denen explizit zur Nicht-Wahl aufgerufen wird. Passagen oder Briefe einzelner Schreiber verfehlten den Ton deutlich, sodass sie nicht veröffentlicht werden konnten. Bei manchen Briefen ist zumindest zweifelhaft, ob jene, die mit ihren Namen für die Inhalte geradestehen, auch die Verfasser sind. Solche orchestrierten Leserbrief-Wellen sind im Politbetrieb zwar keine Seltenheit. In der Regel werden die Fäden dabei allerdings von den Parteien gezogen, und weniger von Privatpersonen. Was ist los in Bonstetten?
Heinz Schlüchter: «Nicht der Richtige für dieses Amt»
Einer, der in den Leserbriefspalten öffentlich gegen Claude Wuillemin mobilisiert, ist Heinz Schlüchter (parteilos). Als Claude Wuillemin nach den Gesamterneuerungswahlen im April 2018 das absolute Mehr verpasste und es in Bonstetten zu einem zweiten Wahlgang kam, liess Schlüchter sich aufstellen, um Wuillemin zu verhindern. Was ihm gelang. Von 2018 bis 2022 sass er im Gemeinderat. «Eigentlich hatte ich mit der Politik abgeschlossen», sagt er am Telefon, «doch sollte es in Bonstetten wieder zu einem zweiten Wahlgang kommen, erwäge ich tatsächlich, nochmals zu kandidieren.»
Weshalb setzt sich ein Dorfbewohner so vehement dafür ein, um einen anderen Dorfbewohner in der Lokalpolitik zu verhindern? Werden hier private Querelen öffentlich ausgetragen, womöglich offene Rechnungen beglichen?
«Nein», betont Heinz Schlüchter, der findet, Claude Wuillemin sei in einem Gemeinderat schlichtweg am falschen Platz. Die Stimmung im Rat und in der Verwaltung habe während Wuillemins Amtszeit gelitten, so zumindest nahm es Schlüchter damals als Aussenstehender wahr. Es habe Intrigen, Indiskretionen und Krach gegeben. Die Situation sei «aus dem Ruder gelaufen», nicht zuletzt wegen Claude Wuillemin. Schlussendlich habe sich die Bevölkerung 2018 für einen Neuanfang entschieden. Dieser Schritt hat sich aus Schlüchters Sicht bewährt und zu einer deutlichen Entspannung geführt.
Selber hatte Heinz Schlüchter der Politik nach einer Amtszeit wieder den Rücken gekehrt. Wenn er in den Zusammenkünften der Sozialvorsteher auf problematische und für ihn unzulängliche Vorgänge hingewiesen habe, sei bei ihm der Eindruck entstanden, dass sich gewisse Gemeinderäte in irgendeiner Weise verpflichtet gefühlt hätten und kein Interesse an einer Anpassung der kritisierten Prozesse gezeigt hatten.
Tendenzen dieser Gefälligkeitspolitik befürchtet Schlüchter bei einer allfälligen Wahl Wuillemins erneut, auch in Bonstetten. Sie zeichne sich bereits ab – «am Theater mit den Leserbriefen», die in Wahrheit Gefälligkeitsschreiben seien. Etwa an jenem Votum einer Leserin, die in der Verwaltung jener Baugenossenschaft arbeitet, die Claude Wuillemin präsidiert. «Jeder Gemeinderat, der Nährboden für diese Art von Politik bietet, ist für Bonstetten, aber auch generell für den Bezirk, einer zu viel», findet Heinz Schlüchter.
Claude Wuillemin: «Die Differenzen von damals sind bereinigt»
Für Claude Wuillemin kommen diese Anti-Voten nicht aus heiterem Himmel. «Ich habe im Vorfeld zu meiner Kandidatur damit gerechnet, dass jene Leute, die damals meine Wiederwahl verhinderten, womöglich nochmals mobilisieren.» Mit Kritik könne er umgehen, sagt Wuillemin, Verunglimpfungen dagegen lasse er nicht auf sich sitzen. «Den Vorwurf, dass ich während meiner Zeit als Gemeinderat Indiskretionen begangen haben soll, wie es in einem der Leserbriefe hiess, weise ich zurück.»
Sein Verhältnis mit der Gemeindeverwaltung während seiner Amtszeit bezeichnet er als «ausgezeichnet». Dass es in der damaligen Gemeinderat-Konstellation Unruhe gegeben habe, sei bekannt. Dabei habe es sich allerdings um zwischenmenschliche Unstimmigkeiten gehandelt. «Bei den Sachgeschäften gab es keine Differenzen und an meiner Amtsführung keine Kritik.»
Persönliche Differenzen seien inzwischen bereinigt, sagt Claude Wuillemin. Von seinen damaligen Ratskollegen ist bald niemand mehr im Amt (die abtretende Christina Kappeler ist die letzte). Und Wuillemin zeigt sich optimistisch, dass es mit dem neuen Gremium menschlich passt – von beiden Seiten, wie er betont: «Ich habe mich mit drei aktuellen Gemeinderatsmitgliedern ausgetauscht, und alle haben mir signalisiert, dass sie sich eine Zusammenarbeit gut vorstellen könnten. Das stimmt mich zuversichtlich.»
Dass es sich bei den Leserbriefen um Gefälligkeitsschreiben handle, die mit Erwartungen einhergingen, weist Wuillemin ebenfalls zurück: «Ich habe im Rahmen meines Wahlkampfs 100 Telefonate getätigt. Daraus sind auf freiwilliger Basis verschiedene Unterstützungsangebote hervorgegangen.»
Frank Rutishauser bezieht Stellung – und schweigt
Eine überraschende Wortmeldung kam dieser Tage von alt Gemeindepräsident Frank Rutishauser. Er hatte von 2014 bis 2018 gemeinsam mit Claude Wuillemin im Gemeinderat gesessen. Unbelastet blieb die Beziehung der beiden nicht: Knapp 100 Tage, nachdem Frank Rutishauser im Frühjahr 2017 das Amt als Gemeindepräsident angetreten hatte, ging beim Bezirksrat eine Beschwerde gegen ihn ein. Er sei charakterlich nicht für das Amt geeignet, hiess es darin unter anderem. Mitunterzeichnet hatte die Beschwerde Claude Wuillemin, der Rutishauser zuvor in der Präsidiumswahl unterlegen war.
Es blieb nicht die einzige Querele. Im März 2018, einen Monat vor den Gesamterneuerungswahlen, trat Frank Rutishauser zurück. Gegenüber dem «Anzeiger» sagte er damals, er habe sich von nahezu allen Ratskollegen «unfair behandelt» gefühlt.
Im Forum des «Anzeigers» bezog Frank Rutishauser nun überraschend Stellung – für Claude Wuillemin. «Auch wenn wir uns im Streit getrennt haben, war Claude immer engagiert für Bonstetten und leistet mit seiner zupackenden Art Positives für das Dorf», so sein Votum. Auf Anfrage möchte Rutishauser sich gegenüber dem «Anzeiger» nicht zu seinem Leserbrief äussern.