Erfolgt eine Verurteilung in Abwesenheit kurz vor der Verjährung?
Sexuelle Handlungen mit einem Kind: Marokkaner bleibt der Verhandlung fern

Zum zweiten Mal erschien der heute 63-jährige Marokkaner nicht am Bezirksgericht Affoltern, wo er sich wegen sexueller Handlungen mit einem Kind verantworten muss. Die in der Anklage aufgelisteten Taten gehen ins Jahr 2010 zurück; 2023 ist der Mann in sein Heimatland zurückgekehrt. Nun droht noch in diesem Jahr die Verjährung. Das Bezirksgericht hat in der Verhandlung vom letzten Mittwoch sein erneutes Fernbleiben als «entschuldigt» taxiert und muss jetzt noch im Dezember zum dritten Mal eine Verhandlung ansetzen.
Laut Anklage hat der mit einer Schweizerin verheiratete Mann im Sommer 2010 ein damals zwölfjähriges Mädchen sexuell missbraucht. Anfänglich ging es beim «Gute-Nacht-Sagen» um Zungenküsse, dann auch in mehreren Fällen um Berührungen und Handlungen im Intimbereich, wodurch das Mädchen Schmerzen erlitt. Weil sich das Opfer wehrte, setzte der Mann verbalen Druck auf. «Diese Versuche endeten erst, als die Mutter der Geschädigten plötzlich die Wohnung betrat und der Beschuldigte die sexuellen Handlungen beenden musste», heisst es in der Anklageschrift.
Anzeige erst 2023
Zur Anzeige kam es allerdings erst im Jahr 2023. «Sie haben vollkommen richtig gehandelt», sagte der Staatsanwalt am Rande der Verhandlung zum Opfer. Der Beschuldigte sass im Frühjahr 2023 einen Tag in Untersuchungshaft und setzte sich dann im Sommer in seine Heimat Marokko ab, wo er seither lebt. Zum ersten Gerichtstermin am 2. Oktober 2025 erschien er nicht, und auch am letzten Mittwoch «glänzte» er mit Abwesenheit. Sein Pflichtverteidiger präsentierte ein auf den 18. November datiertes Zeugnis eines marokkanischen Arztes, dazu existiert offenbar ein zweites Zeugnis. Daraus gehe hervor, dass sein Mandant aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, ein Flugzeug zu besteigen. Und zudem hätte er in Marokko zwei Giftanschläge überlebt. Er sei bestrebt, an einer Verhandlung teilzunehmen. Mit ihrer jetzigen Durchführung werde ihm verwehrt, sich zur Wehr zu setzen. Es handle sich um ein Vier-Augen-Delikt. Deshalb sei hier die Verhandlung abzubrechen und neu anzusetzen. Ausserdem müsse auch seine in der Schweiz lebende Ehefrau befragt werden, so der Anwalt des Beschuldigten. Er machte ausserdem geltend, dass sein Mandant die Vorladung zur jetzigen Verhandlung nicht erhalten habe, und die Verhandlung sei auch nicht amtlich publiziert worden. «Vier-Augen-Delikt» im Abwesenheitsverfahren durchzuführen gehe nicht, schloss sein Verteidiger.
Urkundenfälschung geht zu weit
Der Staatsanwalt setzt hinter diese nicht im Original vorliegenden zwei Arztzeugnisse ein grosses Fragezeichen und zweifelt auch, dass zu diesem Arzt ein direkter Kontakt besteht. Die beiden Giftanschläge taxiert der Ankläger als «unglaubhaft», die Aussagen des Beschuldigten als «lebensfremd». Die Opfervertreterin nannte sein Fernbleiben «abstrus begründet». Aus den Arztzeugnissen gehe nicht hervor, ob der Mann tatsächlich reiseunfähig sei. Der Mann sei nun zum zweiten Mal unentschuldigt ferngeblieben, die Verhandlung sei also durchzuführen. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten, wobei sie den Beschuldigten 18 Monate im Gefängnis sehen will. Dazu ist eine Landesverweisung von zehn Jahren beantragt.
Auch der Gerichtspräsident hegt Zweifel an der Echtheit der Arztzeugnisse, und er ist überzeugt, dass der Beschuldigte den Gerichtstermin kannte. «Dies aber als Urkundenfälschung zu bezeichnen, geht dem Gericht zu weit», hielt er fest. Aus diesem Grund wird sein Fernbleiben als «entschuldigt» taxiert und die Verhandlung ein drittes Mal angesetzt. Um die 15-jährige Verjährungsfrist, die bei sexuellen Handlungen mit Kindern ab zwölf Jahren gilt, zu umgehen, muss nun das Gericht den Verhandlungstermin noch dieses Jahr ansetzen. Erscheint der Mann erneut nicht vor Gericht, wird das Urteil in Abwesenheit gefällt.


