Funkelndes aus der Durchschnittlichkeit
Schriftsteller Pedro Lenz und Pianist Simon Ho traten am Freitagabend in Affoltern auf

Zum Auftakt kam der Storch. «Baby, Baby, Baby», raunte Pedro Lenz am Freitagabend in der Regionalbibliothek Affoltern ins Mikrofon, «Baby, Baby Baby, Baby». So viele Geburtstafeln an Balkonen und Geländern, so viele Lias und Leas und Luans und Noahs, für die irgendjemand irgendwo auf dem Land ein Schild aufgestellt hat. Vielleicht freut sich da und dort ein Mensch mit. Oder es kommt eines Tages einer wie Pedro Lenz daher und schreibt eine Anekdote darüber. Baby, Baby, Baby, Baby.
«Zärtlechi Zunge» heisst Pedro Lenz’ neustes Werk. Es ist ein Mundart-Buch, bestückt mit Geschichten aus der Schweizer Durchschnittlichkeit, im besten Sinn: Sie handeln von Dramen auf dem Spielplatz und wandermüden Kindern, von der feinen Trennlinie, die die sozial Auffälligen von den Unauffälligen unterscheidet, von Hemmungen in der Beiz und davon, was passiert, wenn sie fehlen, nach dem einen Bier zu viel. Oder von jenen, die in den sauer verdienten Ferien in ferne Länder reisen, um dort ihre Alltagstroutine weiterzuleben. Es stimmt eben doch: Sich selbst entkommt man nicht.
Gold waschen
«Ich werte nicht», sagte Pedro Lenz im Herbst 2024 gegenüber Radio SRF. «Ich will Geschichten aufsaugen wie ein Schwamm, und wenn ich dann am Schreibtisch sitze, schaue ich, was davon wieder auftaucht.» Häufig erzähle er das Erlebte zuerst seiner Frau oder einem Freund. Mit jedem Mal schärft sich die Anekdote um Nuancen. «Es ist für mich, wie wenn man Gold wäscht und schüttelt und schüttelt und schüttelt: Am Schluss bleiben, wenn man Glück hat, ein paar Goldkörnchen in der Pfanne.»
Am Freitagabend gab es für die Gäste Goldkörnchen humorvoller Natur: Etwa die Anekdote aus dem Schultheater, wo sich im Kleinen vorzeichnet, was sich später im Grossen wiederholen wird: Nicht jeder, der gerne schauspielert, spielt auf der grossen Bühne eine Hauptrolle. Manche erleben ihren Zenit als Schneeflocke. Oder als Geranium.
Andere Anekdoten unterlegte Simon Ho, Musiker und langjähriger Freund von Pedro Lenz, an seinem Piano mit einem nachdenklicheren Klangboden: etwa jene zum Thema Sterben: «Zum go und zum cho / söttsch chönne lo go, / s isch liechter eso.»
Leichter als auch schon war diese Lesung übrigens für KulturAffoltern und die Regionalbibliothek, die den Anlass gemeinsam organisierten. Innert Kürze war der Abend ausverkauft. Wenn es nur jedes Mal so einfach wäre, Baby, Baby, Baby, Baby.
«Zärtlechi Zunge», Hardcover, 2024, 136 Seiten,Der gesunde Menschenversand