Gegengewicht zum Schwergewicht
Die Bibliothek Hausen durfte den hochrespektierten Autor und Kabarettisten Franz Hohler zu einer Lesung im voll besetzten Gemeindesaal begrüssen. Geschichten und Gedichte aus seinen neuesten Werken erfreuten die Gemüter.
«Ausverkauft» steht auf dem Plakätli mit dem Konterfei des offensichtlich allseits beliebten Autors und Kabarettisten Franz Hohler. Der Hausemer Gemeindesaal – sympathisch im Halbkreis gestuhlt – ist erfüllt von angeregten Gesprächsfetzen. Vereinzelt werden noch freiwillig Masken getragen, generell geniessen Auftretende aus allen Kunstrichtungen sowie deren Publikum, dass das Kulturleben wieder frei stattfindet.
«Viele von uns hat er seit unserer Kindheit und Jugend begleitet», begrüsst Katrin Tandler, Leiterin der Bibliothek Hausen, welche zusammen mit den Buchhandlungen Scheidegger und Nievergelt den Anlass ermöglicht hat, den willkommenen Gast. Und Hohler betont, dass er die friedliche ÖV-Fahrt von Oerlikon nach Hausen genossen habe, dass solch schöne Aussichten und Kultur ganz allgemein – damit zitiert er die Haltung der Dadaisten – doch etwas Gegengewicht zu den gleichzeitigen Höllen, die in der Welt geschehen, herstellen sollen. Er hat dazu auch ein konkretes Kulturkonzept: Er wünscht sich auf der Titelseite jeder Zeitung und in der Tagesschau täglich eine Kinderzeichnung, die «als Nachricht, die nicht berichtet von dem, was war, nein, die berichtet von dem, was sein will oder könnte, damit wir endlich sehen lernen, damit wir endlich träumen lernen, damit wir endlich wägen können das Gewicht der Welt.» Dieser Wunsch stammt aus dem Gedichtband «Alt?», aus dem er wunderbar lautmalerisch auch das Äussere und das Innere einer Feldenkrais-Übung beschreibt. Das Fragezeichen im Titel des Buches ist ihm dabei sehr wichtig.
Überraschende Wendungen zur geistigen Wendigkeit
«Es sind die unscheinbaren Risse im alltäglichen Gefüge, von denen Franz Hohler so meisterhaft pointiert wie abgründig erzählt – jede seiner Geschichten ein kleines Wunder, das den Blick auf das Leben reicher macht», so die Beschreibung im Klappentext seines neuen, im Luchterhand Verlag, der seine Werke seit über 50 Jahren herausgibt, erschienenen Bandes «Enkeltrick», aus dem er nun die Titelgeschichte und die zweite Erzählung «Der Geburtstagskalender» liest. Es ist ein Genuss, der Stimme dieses etwas verwitterten und geistig so beweglichen, sympathischen Mannes zuzuhören, mitzugehen mit dem Lauf der Handlung, die durch ihre überraschenden Wendungen die eigenen Erwartungen in den Gedanken auflöst. Je länger der Abend dauert, desto allgegenwärtiger ist dieses Kitzeln im Bauch, das rundum Lacher ausbrechen lässt, kleine, grosse. Er enthält so viele Triggerpunkte, der Spiegel, der im Blick auf das Typische in uns, angesammelt durch das Aufwachsen und Leben in diesem Kleinstland mitten in Europa, unsere Verhaltenheit, kleine Peinlichkeiten, unsere zeitweise schräge Logik, den Anspruch auf unsere rot-weiss karierte, heile Welt, aufdeckt. Mit Selbstironie darf man hier, ertappt und gleichermassen amüsiert, schmunzeln oder laut rausprusten. Das Publikum ist gerne dazu bereit, geniesst die erfrischende und befreiende Wirkung.
In Hausen zwitschern
Die Schlange der aus dem ganzen Bezirk Hergereisten mit Signierwunsch ist lang und auch beim Anstehen wird fröhlich geredet. Franz Hohler hat es geschafft, mit seiner Lesung das Gegengewicht zu setzen: Leichtigkeit hat Einzug gefunden in den Saal voller Menschen mehrheitlich reiferen Alters, die sich doch ansonsten verpflichtet fühlen, den immerwährenden «Ernst der Lage» in der Welt mitzutragen. Nicht dass der Autor unernst wäre: «... Doch schliess ich die Augen / lauern sie unter den Lidern / die Bilder / und bleiben / als ungebetene Gäste / bei mir.» Hohler signiert geduldig Buch um Buch, der 79-Jährige wirkt nun etwas müde, seine Tournee dauert schon etliche Monate, und er ist froh, dass er heute bequem nach Oerlikon heimchauffiert wird. Hausen wurde beschenkt mit einem bereichernden Literaturanlass – und mit auf der Herfahrt an diesem 6. April spontan gedichteten Zeilen: «Ein Amselmann aus Adliswil, dem war’s im Frühling dort zu kühl. Er sprach: ‹Das Kaff liegt so im Schatten, wie soll man da ein Weib begatten? Ich fliege los, ich will nach Süden!› Doch fing er bald an zu ermüden. Kam auf dem Albis schon ins Keuchen und konnte nicht mehr weiterfleuchen. Da liess er halt den Süden sausen – und zwitscherte fortan in Hausen.»