Pflanzen und Tiere werden unterschiedlich gezählt und kartiert
Sommerserie (6): Wie funktionieren eigentlich ... Naturzählungen?

«Biodiversität» ist in aller Leute Munde. Man will wissen, welchen Tier- und Pflanzenarten das Aussterben droht. Die Schweiz hat sich mit der Unterzeichnung der UN-Biodiversitätskonvention verpflichtet, die biologische Vielfalt langfristig zu überwachen. Zu diesem Zweck hat das Bundesamt für Umwelt Bafu das Biodiversitätsmonitoring BDM Schweiz eingerichtet. Dabei wurde ein systematisches Stichprobenraster aus drei Messnetzen definiert, die die ganze Schweiz überziehen.
Auf allen Untersuchungsflächen erstellt das BDM möglichst vollständige Artenlisten. Damit wird das wahrscheinliche Verschwinden einzelner Arten mit grosser Wahrscheinlichkeit erkannt. Die Feldmitarbeitenden des BDM besuchen nicht nur bekannte Biodiversitäts-Hotspots oder Fundorte von Raritäten, sondern zufällig bestimmte Orte, die sonst kaum untersucht würden – das gilt auch für das Knonauer Amt.
Bund und Kantone
Das Bundesamt für Umwelt, Bafu, unterhält zahlreiche Monitoring-Programme und -Projekte. Sie bilden beispielsweise die Basis für die Rote Liste der gefährdeten Tierarten. Detaillierte Informationen zu den verschiedenen Methoden des Biodiversitätsmonitorings findet man unter www.biodiversitymonitoring.ch.
Drei Varianten von Netzwerk-Zählungen erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen. Beim «Messnetz Landschaften» erfassen Feldmitarbeitende die Pflanzen, Tagfalter und Brutvögel auf einer Fläche eines Quadratkilometers. In der Regel schreiten sie dabei eine genau vorgegebene Strecke entlang von Wegen und Strassen ab.
Beim «Messnetz Fliessgewässer» erheben Feldmitarbeitende Gewässerwirbellose auf einem Abschnitt von 5 bis 100 Meter Länge – je nach Breite des Fliessgewässers. Die Tiere werden für die Bestimmung in spezialisierten Labors gesammelt.
Beim Messnetz «Landlebensräume» erheben Feldmitarbeitende ausgewählte Artengruppen auf einer Kreisfläche von zehn Quadratmetern. Die Gefässpflanzen, Pflanzen, die im Innern Wasser und Nährstoffe transportieren, erfassen sie direkt vor Ort. Moose und Gehäuseschnecken werden gesammelt und in Labors analysiert.
Aktivitäten im Knonauer Amt
Der Biologe Urs Bircher aus Hedingen wirkt aktiv beim Amphibienmonitoring mit. Er begleitet auch die Matura-Arbeit von Severin Blaser, der Feuersalamander-Larven in Bächen in Hedingen zählt. Der Sportfischer Mathias Aschwanden kann den Fischbestand des Türlersees grob abschätzen und beobachtet, wie sich die Anzahl der einzelnen Sorten im Lauf der Zeit entwickelt. Zudem werden die Fänge protokolliert. Die Muschelexpertin Anna Carlevaro kartierte die Muscheln im Türlersee. Eine Kartierung ist generell eine Erfassung des Inventars an Landschafts- und Artgruppen in einem definierten Gebiet.
Gianni Gliott
Gianni Gliott, der beim Natur- und Vogelschutzverein Bezirk Affoltern ornithologische Kurse leitet, hat aktiv an verschiedenen Zählaktionen teilgenommen. Auf dem Albis, einem Hotspot für Zugvögel, finden zweimal jährlich Vogelzählungen statt. Gianni Gliott: «Das ist keine Zählung wie auf dem Col de Bretolet, wo die Vögel beringt werden. Engagierte Ornithologen zählen und melden, was sie in einer bestimmten Zeit auf dem Albis gesehen haben. Die besten Tage zum Beobachten während der Zugsaison sind schöne Tage nach einer Schlechtwetterperiode, dann ziehen die Tagzieher.»
Die Jugendgruppe Natrix organisiert jährlich eine Exkursion, wobei Vögel gezählt werden, die den Albispass überfliegen. «Uns erwarten Finken in grossen Massen, Staren- und Ringeltaubenschwärme sowie Heidelerchen und Fichtenkreuzschnäbel in kleineren Trupps. In den letzten Jahren haben auch ornithologische Überraschungen wie Mauerläufer, Fahlsegler und Spornpieper den Weg über den Pass gefunden.»
Mathias Aschwanden
Mathias Aschwanden, Jäger und Präsident des Sportfischervereins Türlersee, weiss viel über die Natur – nicht nur über Fische: Es gibt verschiedene Techniken, um die Tierpopulation abzuschätzen. «Es ist immer nur eine Bestandsschätzung. Beim Rot- und Rehwild wird mittels Zählung mit Wärmebildkameras und Scheinwerfern eine möglichst genaue Anzahl Tiere erfasst. Dies erfolgt innerhalb der Jagdreviere in festgelegten Routen, um Doppelzählungen zu vermeiden. Die Rotwildzählungen werden seit letztem Jahr koordiniert durch die Kantone durchgeführt. In Patentkantonen wird die Zählung durch die Wildhut und in Revierkantonen durch die jeweiligen Jagdpächter durchgeführt.»
Der Bund koordiniert die Zahlen aus den Kantonen. Die Statistiken sind unter www.jagdstatistik.ch und www.fischereistatistik.ch abrufbar. Hier erkennt man Tendenzen: Die Zahl der gefangenen Äschen hat beispielsweise dramatisch abgenommen. Den Hechten scheint es gut zu gehen, während die Felchen eher am Verschwinden sind. Bachsaiblinge werden in den letzten Jahren markant mehr gefischt.
Urs Bircher
Der Hedinger Biologe Urs Bircher wirkt als Freiwilliger an drei Amphibienprojekten mit. Im Rahmen des Amphibienmonitorings des Kantons Zürich war er und mit seiner Frau Regula Schmidt an Hediger Weihern unterwegs. Zuerst lauschten sie nach Rufen der Amphibien. «Dann geht man das Ufer jedes Gewässers möglichst vollständig ab, bestimmt die Arten und zählt Tiere, Kaulquappen und Laichballen.»
Severin Blaser unterstützte ihn dieses Jahr im Rahmen seiner Matura-Arbeit beim Feuersalamander-Monitoring. Dabei suchten die beiden im Auftrag der Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz, karch, von Ende April bis Anfang Juni dreimal Larven. Die Zahl der Tiere hielten sie mittels einer Strichliste fest. Rund 1600 Larven zählten sie dieses Jahr. Sie untersuchten zudem die Wasserqualität und die Qualität der Bachumgebung.
Seit zehn Jahren betreut Urs Bircher zusammen mit Regula Schmidt das Amphibienprojekt Hedingen (www.amphibien-hedingen.ch) an der Frohmoosstrasse in Hedingen. Zusammen mit freiwilligen Helfenden zählen sie Erdkröten, Grasfrösche, Berg- und Fadenmolche und Feuersalamander. Am von der Gemeinde erstellten Amphibienzaun sammeln sie abends ab 21 Uhr und am Morgen Tiere ein und bringen sie über die Strasse und hoch zu den Gerhauweihern. Urs Bircher erzählt stolz: «In Spitzennächten wandern bis gegen 2000 Tiere. Dieses Jahr zählten wir insgesamt 7031 Tiere. Ein schönes Geschenk zum 10-Jahre-Jubiläum!»
Und der Sinn von Naturzählungen generell? Die erhobenen Zahlen sagen viel darüber aus, welche Arten vor dem Aussterben bedroht sind. Dann gilt es, sie zu schützen, ihren Lebensraum zu erweitern und zu optimieren. Es weist darauf hin, wo beispielsweise Tunnels gebaut werden müssen, einerseits, um vor Unfällen zu schützen, anderseits, um Inzucht vorzubeugen, diese erfolgt, wenn Tiere nicht mehr weit wandern können. Naturzählungen in grösserem Rahmen erfordern den Einsatz von Freiwilligen – jede und jeder kann dazu beitragen.
Bisher erschienen: «Wie funktioniert eigentlich ...?»: «ein Volg-Laden» (15. Juli); «eine Deponie» (18. Juli); «eine Abwasserreinigungsanlage» (22. Juli); «ein Strom-Unterwerk» (25. Juli); «eine Lichtsignal-anlage» (31. Juli)