Die Gegner schielen bereits aufs Stadtpräsidium

Die klare Absage an die 38-Stunden-Woche beflügelt beim Nein-Komitee Ambitionen auf eine bürgerliche Wende

Umkämpftes Terrain: das Stadthaus Affoltern. (Bild Livia Häberling)

In der hintersten Ecke des Restaurants Mela im Senevita Obstgarten schien am frühen Sonntagnachmittag ein kleines Fest stattzufinden. Das durchgehend männlich besetzte Nein-Komitee der 38-Stunden-Woche war nach dem Abstimmungserfolg an der Urne in Spendierlaune. Es gab Weisswein und Chips, in einer Vase standen orange Rosen für die Ehefrauen bereit. Doch dann kramte Hans Ruedi Haegi seine Notizen für die Ansprache hervor. Sie füllten eine A4-Seite. Spätestens da zeichnete sich ab, dass es an diesem Sonntag allein mit dem Vergnügen nicht sein Bewenden haben würde: Ehe man sichs versah, war das Festchen zu einer Sitzung mutiert.

Aber was gab es noch zu besprechen, nachdem das Komitee mit dem deutlichen «Nein» an der Urne seinen Zweck erfüllt hatte?

Offenbar besteht weiterhin Redebedarf. Hans Ruedi Haegis knapp achtminütige Ansprache war eine Kampfansage. Er formulierte sie mit offenem Visier und klarem Ziel: Gegen die Mitte-Links-Mehrheit im Stadtrat Affoltern. Seine beabsichtigte Marschrichtung versinnbildlichte Haegi mit einer Handwerker-Analogie: Mit dem Nein zur 38-Stunden-Woche habe sich das Komitee «eine sehr gute Note auf Stufe Lehrabschluss» verdient. Doch nun gehe es weiter: «Die Stadtratswahlen 2026 wären dann die Gesellenarbeit», und die Bestätigung des Wahlerfolgs, also die Sicherung der bürgerlichen Mehrheit, käme in Haegis Augen der «Meister­arbeit» gleich.

Man könnte das Fazit des Nachmittags so zusammenfassen: Alles gesagt ist aus Sicht des Nein-Komitees erst an jenem Tag, an dem die Bürgerlichen in der Politik am Bezirkshauptort wieder das letzte Wort haben.

Mitte-Links konnte seit 2018 schleichend zulegen

Die Unzufriedenheit der Bürgerlichen schwelt seit Längerem. Die politischen Kräfteverhältnisse in Affolterns Exekutive haben sich in den vergangenen sechs Jahren schleichend zu Gunsten von ­Mitte-Links verschoben. Bis im Frühling 2018 waren SVP und FDP mit je zwei Mitgliedern vertreten (Hans Finsler und Susanne Leuenberger sowie Markus ­Meier und Hermann Brütsch). Hinzu kam der parteilose Clemens Grötsch, der den bürgerlichen Sparkurs mittrug. SP (Martin Gallusser) und EVP (Markus Gasser) mit je einem Sitz. An den Gesamterneuerungswahlen 2018 verpassten allerdings sowohl Hans Finsler als auch Hermann Brütsch die Wiederwahl. Sie schieden als überzählig aus. Neu gehörte nun das Schulpräsidium zum Stadtrat. Diesen Sitz sicherte sich Claudia Spörri, die bisherige Primarschulpräsidentin. Damit konnte die SVP ihren Sitz halten. Jenen von der FDP übernahm die parteilose Eliane Studer, die im Wahlkampf vom Bündnis aus EVP, Grünen und SP unterstützt wurde.

Den nächsten Dämpfer erhielt das bürgerliche Lager im Juli 2019, als ­Susanne Leuenberger aus gesundheitlichen Gründen per sofort aus dem Stadtrat zurücktrat. Als nach dem ersten Wahlgang noch Antoinette Frey (SVP) und Claudia Ledermann (parteilos) im Rennen waren, entzog die FDP Affoltern der SVP im entscheidenden Moment das Vertrauen, indem sie für ihre Mitglieder Stimmfreigabe beschloss. Dass es ohne freisinnige Unterstützung für die SVP nichts zu holen gab, schien klar. In der Folge zog sich Antoinette Frey vorzeitig zurück. Die SVP reagierte verstimmt. «Offenbar steht der FDP Mitte-Links näher als ein bürgerlicher Stadtrat», keifte alt Nationalrat Toni Bortoluzzi im ­«Anzeiger». Claudia Ledermann, die in ihrem Wahlkampf auf die Unterstützung der Grünliberalen hatte zählen können, trat der Partei nach ihrer Wahl im Mai 2020 bei. Damit waren dem bürgerlichen Lager in rund zwei Jahren zwei Sitze abhanden gekommen.

Die eigentliche Wende kam aber im März 2022 bei den Gesamterneuerungswahlen, die für den amtierenden Stadtpräsidenten Clemens Grötsch in einer herben Enttäuschung endeten. Das Stimmvolk zog ihm Eveline Fenner (EVP) vor – und zwar deutlich. Grötsch war mit seiner restriktiven Finanzpolitik in der Bevölkerung mehrfach angeeckt. Dass er zum Wohl der Stadtfinanzen bereit war, das Bezirksspital zu opfern, kam selbst bei den Bürgerlichen nicht gut an. Und auch Vereine klagten mehrfach, sich vom Stadtrat zu wenig unterstützt oder durch hohe Kosten gar gegängelt zu fühlen. Nun musste er den Sessel räumen. «Das hat sich nicht abgezeichnet, ich nehme es zur Kenntnis», kommentierte Clemens Grötsch, der das deutliche Resultat damals auf Absprachen zwischen den anderen Parteien zurückführte, die letztlich zu seinen Ungunsten ausfielen.

Die Politik des amtierenden Stadtrats, der das Sparen nicht mehr als oberstes aller Gebote lebt, begleiten die Bürgerlichen seither mit argwöhnischem Stöhnen. Wobei das vor allem auf SVP-nahe Kreise zutrifft. Von den Freisinnigen ist im Bezirkshauptort seit Längerem wenig zu hören. Schützenhilfe kommt dagegen von der Mitte Partei, (der mittlerweile auch Clemens Grötsch angehört) und – seit der Vorlage zur 38-Stunden-Woche – neuerdings auch von Gewerbe- und Arbeitgeberseite.

Haegi: «Präsidium gehört wieder in bürgerliche Hände»

Nach dem Erfolg gegen die 38-Stunden-Woche sieht das Nein-Komitee nun Chancen, um die politischen Kräfte im Stadtrat wieder zu Gunsten der Bürgerlichen zu drehen. 78 Prozent der Stimmenden hatten das Vorhaben an der Urne abgeschmettert. Diesen Rückenwind will man offenbar für sich nutzen.

Am Telefon bestätigt Hans Ruedi Haegi, was er bereits in seiner Ansprache verkündet hatte: «Wir wollen die Zusammenarbeit weiterführen. Nach dem Erfolg vom vergangenen Sonntag herrscht Aufbruchstimmung.» Im Hinblick auf die Gesamterneuerungswahlen 2026 gelte es nun, sich abzustimmen, um rechtzeitig mit passenden Kandidaten bereitzustehen. «Das Präsidium und die Mehrheit im Stadtrat gehören wieder in bürgerliche Hände», findet Haegi. «Ich bin zuversichtlich, dass wir uns finden und ein bürgerliches Ticket zusammenbekommen.» Ein solches würde auch der Gewerbeverein Affoltern unterstützen, wie René Ammann sagt. «Wir setzen uns dafür ein, dass das lokale Gewerbe stärker vertreten ist und vom Stadtrat unterstützt wird.»

Verfolgen die Mitglieder des Komitees längerfristig dieselben Ziele?

Doch finden die Mitglieder des Komitees auch noch einen gemeinsamen Nenner, wenn es nicht mehr ums Verhindern, sondern ums Gestalten geht? Wenn es also keinen gemeinsamen Gegner mehr gibt? Selbst bei der 38-Stunden-Woche, die man so geschlossen bekämpfte, gab es inhaltliche Differenzen: Während die SVP die Idee komplett ablehnte, war sie für die Mitte-Partei im Pflegebereich denkbar.

«Wir werden die Zusammenarbeit aufrechterhalten», bestätigt auch Toni Bortoluzzi. Weiter auf die Äste hinauslassen mag er sich noch nicht: Die Absicht, bei den nächsten Wahlen gemeinsam anzutreten, sei da. Ob das klappe, müsse sich aber noch weisen. «Bis im Herbst, wenn die Kandidaturen langsam konkret werden sollten, bleibt noch etwas Zeit.»

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