Gemässigtes Klingen-Kreuzen

Am Montagabend lud die Stadt Affoltern zum Podium zur 38-Stunden-Woche

Von links: Christoph Bader, Nachhaltigkeitsökonom und Forscher; Nermin Daki, Geschäftsleiter Stiftung Alterszentrum Region Bülach; Stadtpräsidentin Eveline Fenner; Moderator Christian Müller, Peter Feuz, Geschäftsleiter SHS Haustechnik; René Ammann, Präsident Gewerbeverein Affoltern, Thomas Naef, Präsident Arbeitgeberverband Bezirk Affoltern. (Bild lhä)

Es hätte noch freie Sitzplätze gehabt am Montagabend. 350 Stühle hatte die Stadt Affoltern für ihr Podium im Kasinosaal zur 38-Stunden-Woche bereitgestellt. Besetzt waren um 19.30 Uhr geschätzt etwas mehr als die Hälfte. Man wolle in den nächsten anderthalb Stunden die Grundlage für eine solide Meinungsbildung legen, erklärte der Moderator Christian Müller von der Kommunikationsagentur Dimedio.

Als erste Rednerin stieg Stadtpräsidentin Eveline Fenner in den Ring. Sie vertrat bei den beiden Kurzreferaten die Pro-Argumente und legte nochmals dar, was die Stadt zur 38-Stunden-Woche bewogen hatte: «In den letzten ­Jahren hat sich auf dem öffentlichen Arbeitsmarkt einiges getan», sagte sie «und wenn etwas knapp ist und begehrt, steigt in der Regel der Preis.» Die Stadt sei mit ihren Löhnen (für die begehrten Fachkräfte) nicht mehr konkurrenzfähig. Schon heute seien sie im Vergleich zu anderen öffentlichen Verwaltungen zwischen 5 bis 25 Prozent zu tief. Die Senkung der Arbeitszeit habe das gleiche Ziel wie eine Lohnanpassung, nur der Weg sei anders. «Wir glauben, dass diese Lösung nachhaltiger ist», so Fenner.

Das Kontra-Referat übernahm Peter Feuz, Geschäftsführer der SHS Haustechnik. Aus seiner Sicht bietet die ­öffentliche Verwaltung heute bereits Arbeitsbedingungen, von denen viele Privatbetriebe nur träumen könnten. Etwa mit Arbeitsplatzsicherheit, Sozialleistungen oder grosszügigen Dienst­altersgeschenken. Es sei egoistisch, nun mit einer Senkung der Arbeitszeit nachzudoppeln und das Gewerbe weiter in Zugzwang zu bringen. Auch zur Finanzierung äusserte sich Feuz: Wer als Privatbetrieb eine Senkung der Arbeitszeit wage, investiere sein eigenes Geld und könne das Experiment zeitnah abbrechen, falls es sich nicht bewähre. Anders ist das aus seiner Sicht bei der diskutierten Vorlage: «Es konnte mir noch niemand einen Weg zurück aufzeigen, falls sich die 38-Stunden-Woche in der Praxis nicht bewährt.»

Weniger Arbeit begünstigt Gesundheit

Nach den beiden Kurz-Referaten klinkten sich weitere Podiumsgäste in die Debatte ein. Christoph Bader erforscht an der Universität Bern die Auswirkungen von neuen Arbeitszeitmodellen. Nahezu alle Studien im In- und Ausland würden zeigen, dass sich die Reduktion der Arbeitszeit positiv auf die Gesundheit auswirke. Unabhängig davon, wie sich die reduzierte Arbeitszeit auf die Woche verteile. Auf der wirtschaftlichen Seite seien die Resultate gemischt: In England habe ein Pilotprojekt mit 61 Unternehmen und 3000 Angestellten gezeigt, dass die Produktivität gleich geblieben oder gestiegen sei. Von den 61 Betrieben hätten 56 die angepassten Arbeitszeiten weitergeführt. Bader wies allerdings darauf hin, dass der «Produktivitätssfokus» nicht in jedem Betrieb Sinn mache: So etwa in der Bildung oder im Pflegebereich, wo der Fokus mehr auf qualitativen Ansprüchen liege.

Einer, der mit der 38-Stunden-Woche bereits Praxis-Erfahrung vorweisen kann, ist Nermin Daki, Geschäftsleiter der Stiftung Alterszentrum Region ­Bülach. Er sagte, seit der Lancierung des neuen Arbeitszeitmodells würden die 350 Mitarbeitenden pro Tag 46 Minuten weniger arbeiten. Eine Reduk­tion der Arbeitstage sei finanziell nicht in Frage gekommen. Weil es gelungen sei, die Schichtpläne zu überdenken und die Arbeitszeiten sinnvoller zu staffeln, gebe es nun weniger Überschneidungen: Dank dieser Optimierungen habe es insgesamt lediglich drei zusätzliche Vollzeitstellen gebraucht, um die Senkung der Arbeitszeit auszugleichen. «Eine Rückkehr zum alten System ist für uns nicht mehr vorstellbar», sagte Nermin Daki, der zugleich betonte, dass eine 38-Stunden-Woche freilich nicht sämtliche Probleme lösen könne. ­«Wertschätzung und Führung dürfen trotzdem nicht vernachlässigt werden.»

Rote Köpfe bei den Gewerblern

René Ammann, Präsident des Gewerbevereins Affoltern hakte argumentativ beim Referat von Peter Feuz ein. «Bei vielen Gewerblern hat die 38-Stunden-Woche für rote Köpfe gesorgt», sagte er. «Sie kämpfen ums Überleben und sind froh, wenn sie die Rechnungen bezahlen können, während die Stadt ein neues Lohnsystem einführt und das Gewerbe unter Zugzwang bringt.» Und auch Thomas Naef, Präsident des Arbeitgeberverbands Bezirk Affoltern, erinnerte daran, dass es Betriebe im Bezirk gebe, für die bereits eine 41-Stunden-Woche ausser Reichweite liege.

Nachdem die erste Stunde des Podiums den Inputreferaten und dem moderierten Gespräch gewidmet war, schlug um halb neun Uhr die Stunde des Publikums: Wer Fragen hatte, war nun gebeten, ans Mikrofon zu treten, das in der Mitte des Saals zwischen den Stuhlreihen aufgebaut worden war. Sieben Männer und zwei Frauen nutzten die Chance, um sich Gehör zu verschaffen, mal freundlich, mal ein wenig energischer. Und nicht alle von ihnen adressierten auch eine Frage.

So interessierte sich ein Votant für das Arbeitsklima auf der Stadtverwaltung. Davon oder von der Anzahl geschaffener (Teilzeit-)Stellen erfahre man nichts. «Und einfach noch ein kleiner Tipp», meinte er schliesslich und erzählte von einem Tag der offenen Türe für Wiedereinsteigerinnen, mit dem man damals, in den 80er-Jahren, das Problem rasch gelöst habe. «Dafür brauchen wir keine 38-Stunden-Woche.» «Ich erlebe ein gutes Arbeitsklima», entgegnete Stadtpräsidentin Eveline Fenner auf die Frage von Moderator Christian Müller, der das Anliegen des Votanten nochmals aufnahm. «Ich habe lange im öffent­lichen Dienst gearbeitet», sagte sie, «und der Output, den ich in der Stadt Affoltern Tag für Tag sehe, ist für mich ausser­ordentlich und beeindruckt mich immer wieder.»

Ein Votant kritisierte die 38-Stunden-Woche als «Giesskannenprinzip». Zudem wollte er wissen, weshalb die Stadt das Geld für die Einführung der 38-Stunden-Woche im Budget nicht anderswo einzusparen versuche. 
Wenn man die Löhne systematisch anhebe, entspreche das letztlich auch fast auch einer Giesskanne, konterte Eveline Fenner. Erfahrungsgemäss halte die Wirkung von Lohnerhöhungen ­allerdings nicht lange, während eine Verkürzung der Arbeitszeit längerfristig mehr Lebensqualität biete. Zum Thema Einsparungen sagte sie, der Stadtrat sei fortlaufend am Prüfen von Einspar­möglichkeiten.

Ohne Personal entstehen Wartezeiten

Auch der Affoltemer Kantonsrat Daniel Sommer (EVP) trat ans Mikrofon und erkundigte sich, welche Dienstleistungen der Stadtverwaltung betroffen wären, sollte es nicht mehr gelingen, gute Mitarbeitende zu halten oder offene Stellen zu besetzen. «Die fehlen uns in allen Bereichen», erklärte Fenner. Wo möglich, habe man die Engpässe bisher noch einigermassen kaschieren können. Doch wo Stellen unbesetzt blieben, werde in ­Zukunft grundsätzlich alles länger dauern: Das Baugesuch werde später bewilligt, die Steuerrechnung später verschickt. Für genau diese Dienstleistungen versuchte wiederum eine andere Votantin eine Lanze zu brechen: Sie sei je länger je mehr davon überzeugt, dass die 38-Stunden-Woche die Stadt attraktiver mache. Zwar sehe sie auch die ­Gefahr, die für das Gewerbe ausgehe. Als Steuerzahlerin sei es ihr aber auch ein wichtiges Anliegen, dass die öffentlichen Dienstleistungen erledigt werden. «Sonst sind wir nicht mehr attraktiv. Auch für Neuzuziehende.»

Nach einer halben Stunde wurde die Diskussionsrunde geschlossen und die Anwesenden gingen zum Apéro über.

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