«Geschichtsträchtiges» in der KommBox

Fabienne Dubs zeigt die Mode der Aeugsterinnen vergangener Zeiten

«Wie fühlt sich eine Schnürbrust, ein Korsett eigentlich an?» Diese Frage stellte und stellt sich kaum ein männlicher Historiker. Fabienne Dubs geht es bei ihrem Geschichtsverständnis weniger um spektakuläre Geschehnisse, welche die Weltordnung veränderten. Sie interessiert sich für das Alltagsleben vergangener Generationen, wie sie dachten, handelten – und vor allem auch fühlten. Entwicklungen und Zusammenhänge, welche die Welt weniger spektakulär, aber nicht weniger nachhaltig veränderten. «Für mich als Historikerin ist es spannend, mich – wenn auch nur körperlich – in die Menschen von früher hineinzuversetzen, indem ich trage, was sie getragen haben.» Und da man historische Kleider nicht vor der Stange bekommt, stellte sie sie selbst her. Dazu sammelte und studierte sie Fachliteratur, Modehefte und die Entwicklung verschiedener Textilien und deren Verarbeitung im 18. und 19. Jahrhundert.

Verena Conzett

«Das Reproduzieren der Kleider dient mir auch dazu, mich an historische Personen heranzutasten. Ich war von der Gesellschaft zu Fraumünster eingeladen, an ihrer Frauenehrung 2022 die Biografie von Verena Conzett vorzutragen», erzählt Fabienne Dubs anlässlich der Vernissage der Ausstellung von historischen Kostümen in der KommBox. Die Mitte des 19. Jahrhunderts geborene Zürcherin Verena Conzett war Gewerkschafterin, Unternehmerin und Frauenrechtlerin, die sich für Arbeiterfrauen einsetzte. Das Kostüm von Verena ­Conzett, mit dem Fabienne Dubs auch am Sechseläuten teilnahm, ist in der Ausstellung zu sehen.

«Es fasziniert mich, wie sich die Silhouetten mit der Zeit verändert haben, was wann als ‹schön› oder ‹ideal› galt. Auch die Techniken interessieren mich.»

Kleider erzählen Geschichten

Wie kleideten sich Aeugsterinnen im 18. und 19. Jahrhundert und was bekamen sie vielleicht im armen Bauerndorf Aeugst an Mode zu sehen? Fabienne Dubs stellt nicht nur Kleider aus vergangenen Zeiten detailgetreu mittels Techniken dieser bestimmten Zeit her, sie erzählt auch Geschichten. Sie zeigt beispielsweise die Kleidung einer Aeugsterin, die den Sprung aus dem Heimatdorf – vielleicht nach einer Schneiderinnenlehre – als Verkäuferin um 1890 in die Stadt geschafft hat, beispielsweise beim Modehaus Jelmoli.

«Über der praktischen Hemdhose, einer Kombination aus Chemise und im Schritt offenen Pumphosen, trägt sie ein Korsett. Damit die Proportionen stimmen, polstert sie ihre Oberweite mit einem dafür vorgesehenen «Kissen» aus. Das Korsett muss nicht täglich neu geschnürt werden, es hat vorne einen Metallverschluss», ist im Wandtext neben dem Kleid zu lesen. «Seit der Industrialisierung hat sich bis etwa 1890 gesellschaftlich und wirtschaftlich einiges verändert. In den Städten entstehen kurz vor der Jahrhundertwende Arbeitsplätze in ersten Kaufhäusern. Junge Frauen zieht es in die Stadt auf der Suche nach Arbeit – und einer Alternative zum Landleben.» Und schon hat man den Film vor Augen, wie an einem kalten Wintertag eine junge Frau ihre Familie besucht und wie die Dörfler – rund 500 Einwohner in dieser Zeit – über sie reden.

Geschichtenerzählerin

Fabienne Dubs ist eine begnadete ­Geschichtenerzählerin. Sie bietet auch Frauenstadtrundgänge in der Stadt ­Zürich an. Sie hat einen Bachelor in Kunstgeschichte, einen Master als ­Historikerin und absolviert zurzeit das CAS Curating an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.

In Aeugst aufgewachsen, arbeitete sie über 15 Jahre im Jugendtreff Aeugst. In ihrem Lebenslauf findet man die berufliche Funktion «Artothekarin», beschäftigt beim Kanton, später als stellvertretende Fachstellenleiterin der Kunstsammlung des Kantons. Während Bibliothekarinnen ursprünglich Bücher ausliehen, verleihen Arthotekare Kunstwerke, der Kanton seinen Mitarbeitenden als Büro-Schmuck. Heute betreut Fabienne Dubs die umfangreiche Kunstsammlung des Kantons Zürich als Kuratorin. Das Vermitteln, Zugänglichmachen von Geschichtsträchtigem scheint ihre Berufung zu sein. Sie ist auch ­Präsidentin der neuen «Kommission Aeugster Dorfgeschichte». (Der «Anzeiger» hat berichtet).

Mode erzählt Geschichte

Fabienne Dubs zeigt in der kleinen, feinen KommBox die Kleidung einer Aeugsterin im Herbst um 1740, die sie für ihre Mutter geschneidert hat. Die Sommerkleidung einer Aeugsterin um 1780 mit einer bestickten Tasche, die Robe einer Zürcher Ratsfrau, die an einem Frühlingstag das Ämtler Dorf besucht, die Winterkleidung der aus Aeugst stammenden Modeverkäuferin sowie ein Kleid von 1780 mit Pierrot-Jacke und Haube trägt sie selbst.

Interessant sind ihre Ausführungen auf den Tafeln zur Ausstellung. Texte zur Ehrenrettung des Korsetts, zur Entstehung einer Schnürbrust und zu historischer Unterwäsche sind zugleich interessant und amüsant.

Was ist eigentlich Fischbein und wie kommt man heute zu entsprechendem Material? Fischbein kommt von den Walfischen – heute vom Tierschutz angeprangert. Fabienne Dubs erzielt mit kostengünstigen Kabelbindern eine ähnliche Wirkung – denn die Stäbe sind, ins Korsett eingearbeitet, nicht zu sehen. Wo kamen Kissen und Polsterungen zum Einsatz, um die Idealfigur der Frau in ihrer Zeit zu simulieren. «Damals war man sich klar, dass der Körper einer Frau darunter von Natur aus anders aussieht», erklärt Fabienne Dubs, «heute ist aber der ideale Körper der Frau in Werbung und Film so dargestellt, als wäre er von Natur so – und nicht in Fitnesscentern, von Schönheitschirurgen und mittels rigider Ernährung oft gesundheitsschädigend geformt.»

Ein Teil der Frage «was trägt Frau darunter» wird Fabienne Dubs anschaulich während der Finissage am 18. Januar 2024 um 19 Uhr klären. Spätestens dann sollten Mode-Fans und kulturhistorisch Interessierte die Ausstellung besuchen und staunen, was Fabienne Dubs in unzähligen Stunden erforscht, genäht, gestickt, formuliert und präsentiert hat.

Stabübergabe in der KommBox

Mit dieser 10. Ausstellung wurden ­Christina Gilles und Sonja Furrer als Leiterinnen der KommBox von Gemeindepräsidentin Nadia Hausheer verabschiedet. Sie gab einen kurzen Rückblick auf die thematisch vielfältigen Ausstellungen und lobte die herausragende Qualität der Ausstellungen. «Gefallen hat mir auch immer wieder eure persönliche Einführung, die ihr sehr gefühlvoll und individuell auf die entsprechende Ausstellung abgestimmt habt.»

Sie dankte den beiden Aeugsterinnen auch im Namen der Aeugster Bevölkerung für ihr kulturelles Engagement in der KommBox. Neu übernehmen Barbara Hesse und Christina ­Hoffmann die Leitung der KommBox, auch sie, wie ihre Vorgängerinnen, sind Nachbarinnen. Beide wohnen im Seidenhof im Aeugstertal. Die Berlinerin ­Barbara Hesse zog vor zwei Jahren von Zürich ins Aeugstertal. Sie ist selbstständig als Kommunikations- und Präsentationscoach tätig.

Christina Hoffmann hat deutsche und griechische Wurzeln und lebt seit 2017 im Aeugstertal. Sie ist ebenfalls selbstständig mit ihrer Firma Brandmind und zudem Künstlerin. Sie stellte ihre Kunstwerke bereits in Barcelona, Dubai und in der Schweiz aus. Beide bringen also bestes Rüstzeug für ihre neue Aufgabe in ihrem Dorf mit.

Ausstellung «Geschichtsträchtiges», Kleidung aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Von Fabienne Dubs.

KommBox im Gemeindehaus Aeugst, Dorfstrasse 22, 5. Oktober 2023 bis 19. Januar 2024. Öffnungszeiten: Montag, 8 bis 11.30 Uhr und 16 bis 18.15 Uhr; Dienstag, 8 bis 11.30 Uhr; Mittwoch, 8 bis 11.30 Uhr und 14 bis 16.30 Uhr; Donnerstag, 8 bis 11.30 Uhr

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