«Gnade und Treue finden zusammen; es küssen sich Gerechtigkeit und Friede»
Gedanken zu Weihnachten von Pfarrerin Susanne Sauder-Rüegg aus Bonstetten
Dieser Vers 11 steht im Psalm 85 im Alten Testament und gehört – so wird angenommen – in die Tempel-Liturgie der Israeliten. Rundherum um diesen Vers kommen weitere wohltuende Worte vor, die Zukunft eröffnen und Hoffnung schenken. Aber nur den Worten in diesem Vers haucht der Psalmdichter förmlich Leben ein: Gnade und Treue bewegen sich aufeinander zu und finden zusammen; Gerechtigkeit und Friede kommen sich so nahe, dass sie sich wohl umarmen und küssen.
Eine Besonderheit in der Bibel, dieser Vers, und ein eindrückliches Bild, wenn man es sich auszumalen versucht. Eine wunderschöne Vorstellung im Vergleich zu dem, wie es wohl in der damaligen (geografisch kleineren) Welt der Israeliten aussah und wie es in unserer heutigen weiten Welt da und dort zu- und hergeht. Ein eindrückliches Gegenbild zu einigen Realitäten im Leben vieler Menschen von nah und fern.
Gegenbotschaft zur Realität ...
Auch wenn dieser Psalm prophetische Aussagen enthält, steht er vermutlich in keinem direkten Zusammenhang mit dem viel später erst erwarteten und ersehnten Erscheinen des Messias und Erlösers. Und doch soll er dieses Jahr die Weihnachtsbotschaft ankünden. Denn auch die Erzählung zur Geburt des kleinen Jesus ist eigentlich eine Gegenbotschaft zu dem, was damalige (und heutige) Machthaber ausmachte: Da ist kein Königspalast und Pomp, kein Heer, das die Herrscherfamilie bewacht, kein Schlangestehen von anderen «Grössen» zum Gratulieren. Der Messias, der die Menschen in Liebe mit Gott verbindet, kommt als kleines Kind auf einem Feld im Gebiet des kleinsten judäischen Stammes Bethlehem zur Welt. So erzählt es der Evangelist Lukas. Sein vorläufiges, erstes «Zuhause» ist eine Futterkrippe für Tiere. Diejenigen, die zufälligerweise vor Ort sind, sind Hirten, einfache Menschen, mit ihren Tieren. Und vom Himmel her wird der Erde «Friede!» verkündet.
... für alle Menschen
Lukas setzt die Geburt Jesu in Bezug zur Weltgeschichte, das heisst in Bezug zur damals bekannten Welt. Er hat so gesehen einen universellen Blick und will der ganzen Welt, das meint Juden und Griechen, von Jesus erzählen. Sein Augenmerk legt er dabei besonders auf Verlorenes und Verschwundenes, von dem Jesus in Bildern redete: Nichts und niemand ist zu unwichtig oder zu unbedeutend, als dass es nicht «dë Wërt wäri», es zu suchen, und dann ausführlich darüber zu berichten, wie gross die Freude auf Erden und im Himmel beim Wieder-Finden war!
Die Botschaft lautet: Es kommt sehr wohl auf das eine Schaf (von 100) drauf an oder auf den einen Sohn, den man verloren glaubte. Nichts ist zu klein, zu unbedeutend! Jede und jeder ist wertvoll – eine Gegenwelt zu allem Grossen, Starken, sich Wichtig-Machenden; Gegenworte zu Herodes und allen anderen «Herodianern», die sagen: Wir sagen, wie es läuft, wer wichtig und wer unwichtig ist. Gewalt sichert Ordnung, Macht sichert Frieden und der Stärkere setzt sich durch! – Ja, wir wissen es seit vielen Jahrhunderten: Es gibt Gewalt, Krieg und Tod; auch nach Jesu Geburt. Auch wir selber haben manchmal unsere liebe Mühe mit dem Friedlich-Sein. So oft ist deshalb der Weg zu Zwist, Ab- und Ausgrenzung leider kürzer und scheint näher zu liegen.
«Friede auf Erden»
Doch mit der Geburt Jesu ist uns Frieden verheissen. Gelobt sei Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade. Frieden, Gerechtigkeit, Treue und Gnade haben keine Halbwertszeit. Sie bleiben frisch, beleben und bewegen uns Menschen seit Jahrhunderten. Wir brauchen diese Zuversicht und sehnen uns danach. Wir sind darauf angewiesen, immer wieder davon zu hören, zu lesen und auch selber zu versuchen, unseren Teil dazu beizutragen. So, wie es Erich Fried in der ersten Strophe eines seiner Gedichte zum Ausdruck gebracht hat:
Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein ...
(Erich Fried, «Bevor ich sterbe»)
Von Frieden sprechen, noch viele Male, immer wieder, das schenkt uns Hoffnung, macht uns seelisch stark und lässt uns trotz allem vertrauensvoll Weihnachten feiern. Es geht nicht darum, zu sagen: «Wir habens! Wir könnens!», sondern damit doch einige glauben: Das gibt es! Friede könnte werden ...
Fröhliche Weihnachten!
Pfarrerin Susanne Sauder-Rüegg






