Hat er seine Ex eingesperrt und ihr Pizza in den Mund gedrückt?

Bezirksgericht Affoltern: Freispruch wegen Freiheitsberaubung

Das Bezirksgericht Affoltern hatte sich am vergangenen Mittwoch mit einem speziellen Fall zu befassen. (Bild Raphaël Dupain)
Das Bezirksgericht Affoltern hatte sich am vergangenen Mittwoch mit einem speziellen Fall zu befassen. (Bild Raphaël Dupain)

Es lässt sich nicht zweifelsfrei klären, ob der Mann seine damalige Freundin eingesperrt und ihr Pizzastücke in den Mund gesteckt hat. Das Bezirksgericht Affoltern sprach ihn vom Vorwurf der Freiheitsberaubung frei und stellte das Verfahren wegen Nötigung ein. Somit entfallen die von der Staatsanwaltschaft geforderte unbedingte Gefängnisstrafe von acht Monaten sowie der Landesverweis von fünf Jahren.

Die Geschichte beginnt, wie sie schon tausendfach begonnen hat: Der heute 35-jährige Mann, ein in der Schweiz aufgewachsener Kosovare, trennt sich von seiner Frau und geht dann eine neue Beziehung ein. Diese dauerte drei Jahre, wobei die beiden die letzten eineinhalb Jahre zusammenwohnten. Sie endete vor exakt zwei Jahren und fand nun am Mittwoch am Bezirksgericht Affoltern den mutmasslich juristischen Schlusspunkt.

Eine halbe Stunde eingesperrt?

Laut Anklageschrift kam es Ende September 2023 in der gemeinsamen Wohnung, wo die aus einer anderen Gemeinde her gezügelte Frau nur Kleider und Dinge des täglichen Bedarfs deponiert hatte, zu einer Auseinandersetzung. Als Zeugin vorgeladen, sagte sie, ihr Ex-Partner sei immer aggressiver geworden und habe das Geschenk für seinen am Vortag gefeierten Geburtstag beschädigt, auch den Ring und anderes in den Garten geworfen und ihr Handy eingesteckt. Laut Anklage hat er sie aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Er habe aber die Türe verriegelt und während einer halben Stunde verhindert, dass sie die Wohnung verlassen konnte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm hier Freiheitsberaubung vor – und dazu Nötigung. So habe er eine Pizza bestellt und als sie nicht davon essen wollte, habe er ihr einen Teil davon in den Mund gedrückt. «Ich erlitt Prellungen und trug blaue Flecken davon. Ich fühlte mich machtlos, weil ich keinen Wohnungsschlüssel besass, und war psychisch angeschlagen», sagte die Frau vor Gericht. Einen Teil der Fragen des Verhandlungsleiters konnte (oder wollte) sie nicht beantworten, machte auch Erinnerungslücken geltend. Immerhin gestand sie ein, ihren vermeintlichen Peiniger nach diesen Vorfällen noch mehrmals getroffen zu haben. «Es waren halt noch Gefühle da, und ich wollte nicht wahrhaben, was da geschehen ist», gab sie zu Protokoll.

Der Beschuldigte schilderte diesen Tag Ende September 2023 völlig anders. Er habe sie nicht eingesperrt und ihr auch kein Pizzastück in den Mund gedrückt. Stattdessen habe er ihr geholfen, ihre Sachen zu packen, damit sie die Wohnung verlasse. Worauf sie emotional reagiert habe. Die Wohnung sei zu keinem Zeitpunkt abgesperrt gewesen. Man sei zusammen und in Begleitung ihrer hinzugekommenen Schwester in den Garten gegangen, um die aus dem Fenster geworfenen Sachen einzusammeln. Er machte auch geltend, dass es – auch bei verschlossener Wohnungstüre – ohne Weiteres möglich sei, aus einem der drei Fenster ins Freie zu gelangen – bei Höhen von 1,20 bis 1,80 Meter. Auch der Beschuldigte erinnert sich nicht mehr an Details, aber auch er sagte, man habe sich nach dem Vorfall versöhnt und weiter getroffen.

Wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Verletzung von Verkehrsregeln (Tempoüberschreitungen) fordert die Staatsanwaltschaft den Widerruf einer Geldstrafe und eine unbedingte Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie einen Landesverweis von fünf Jahren.

Desinteresse-Erklärung missachtet

Die Verteidigerin des Beschuldigten verlangt bei Freiheitsberaubung und Nötigung eine Verfahrenseinstellung sowie einen Freispruch vom Vorwurf einer groben Verkehrsregelverletzung, in einem Fall eine Bestrafung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung und die Sistierung eines Widerrufs. Von einer Landesverweisung sei abzusehen.

Vorliegend sei der Versuch unternommen worden, eine strafbare Handlung zu konstruieren. Sie kritisierte die Staatsanwaltschaft, weil diese eine Desinteresse-Erklärung für ein Strafverfahren von der Ex-Partnerin des Beschul-digten missachtet habe. Es sei der Anklagegrundsatz verletzt worden und unverständlich, dass keine Verfahrenseinstellung erfolgt sei. Die Ex-Partnerin habe bei der Befragung den Sachverhalt jedes Mal anders geschildert, ihre Aussagen seien – im Gegensatz zu jenen ihres Mandanten – inkonsistent, ihre Darstellungen subjektiv. «Es gibt kein einziges objektives Beweismittel», sagte die Anwältin. Ein Landesverweis hätte für ihren Mandanten verheerende Folgen. Er sei wie seine drei Geschwister in der Schweiz aufgewachsen, spreche kaum kosovarisch und habe zu seiner Frau wieder ein Vertrauensverhältnis aufgebaut – etwas, was der Beschuldigte im Laufe der Verhandlung mehrmals betonte. Sie begleitete ihn an die Verhandlung. Er sehe die beiden (noch nicht mündigen) Kinder regelmässig, unternehme viel mit ihnen. Er habe in der Gemeinde viele Freunde und sich inzwischen selbstständig gemacht. Eine Ausweisung sei unzumutbar, hier liege ein klarer Härtefall vor, so die Verteidigerin.

Freispruch und Verfahrenseinstellung

Die Ex-Partnerin des Beschuldigten hat in ihrer zweiten Befragung laut Gericht die Geschehnisse anders geschildert als in der ersten – auch, was die Zeitangaben betrifft und bei der Frage, wann und ob die Wohnungstüre offen oder geschlossen war. Etwas verwirrend und fraglich, sagte der Richter bei der Urteilsbegründung. Aber es sei auch nach so langer Zeit schwierig, sich genau zu erinnern – zu wenig also für einen Schuldspruch wegen Freiheitsberaubung. Das Verfahren wegen Nötigung wurde insbesondere deshalb eingestellt, weil die Frau ihr Desinteresse schon während bestehender Lebensgemeinschaft geltend gemacht und bis zur Verhandlung daran festgehalten hat – auch eine Voraussetzung für die Einstellung des Verfahrens wegen Nötigung. Nach diesem Urteil ist der von der Staatsanwaltschaft geforderte Landesverweis von fünf Jahren nicht mehr möglich.

Schuldig gesprochen wurde der Mann wegen einfacher Verkehrsregelverletzung, von schwerer Verkehrsregelverletzung wurde er jedoch freigesprochen. Die Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 80 Franken bleibt bedingt. Und auch das Lernprogramm «Training» für risikobereite Verkehrsteilnehmende muss er nicht absolvieren. Das Gericht hat ihm aber eine Busse von 500 Franken und ausserdem für einen Fünftel der Verfahrens- und Anwaltskosten (gesamthaft gut 20 000 Franken) aufgebrummt.

Urteil GG 250 003 vom 17. September 2025, noch nicht rechtskräftig

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