Hexerei-Verfolgung im Knonauer Amt
Berührende Gedenkfeier am Freitag in Aeugst für die Opfer
Zahlreiche Flurnamen im Knonauer Amt weisen auf den Teufel und auf Hexen hin. Am bekanntesten ist der Hexengraben beim Türlersee. Die Gemeinnützige Gesellschaft GGA erstellte im Jahr 2000 den Ämtlerweg und bestückte ihn mit 22 Info-Tafeln. Im Hexengraben wurde auf der Tafel die Geschichte der bösen Witwe Vrene erzählt. Sie hatte sich mit den Nachbarn zerstritten und soll einen Grenzstein versetzt haben. Sie hegte den Plan, auf den Rat des Teufels das Wasser des Türlersees gegen Herferswil abzuleiten, um den Weiler zu ertränken. Schliesslich liess der Teufel sie auf dem Stiel ihrer Schaufel in die Berge wirbeln. So wurde Vrene zur Hexe und Berg zum «Vrenelis Gärtli».
Die Sagen, die um das Vrenelis Gärtli ranken, sind zahlreich und unterschiedlich.
Tief in das Thema eintauchen
Katharina Müller war die am Türlersee erzählte Fassung der Vrene-Sage ein Dorn im Auge. Denn sie erkannte in der Sage die Klischees rund um Hexen. Sie suchte Gleichgesinnte, und es war, als hätte sie einen Stein in den Türlersee geworfen. Die kreisrunden, konzentrischen Wellen breiteten sich aus, Projekte entstanden. Immer mehr Menschen liessen sich von der brutalen Hexenverfolgung in unserem Bezirk berühren. Das Thema «Hexen im Knonauer Amt» wurde auf unterschiedliche Weise aufgenommen. Am Türlersee steht nun eine neue Tafel. Sie erinnert an die acht Ämtler Opfer und regt an, die tradierte Türlersee-Sage über Vrene kritisch zu lesen – sogar neu zu erzählen. Es fand eine Hexenführung in der Stadt Zürich explizit für Teilnehmende aus dem Knonauer Amt statt, eine Gedenkfeier wurde zelebriert und eine Kunstausstellung in der reformierten Kirche Affoltern organisiert. Zudem findet ein Anlass der Volkshochschule statt.
Unter die Haut gehend
Vom Thema Hexenverfolgung liess sich die Historikerin Fabienne Dubs ansprechen und vertiefte sich in die historischen Fakten. Die Sängerin und Bühnenaktivistin Olga Tucek schuf einen Film, komponierte Musik und schrieb Liedtexte, Pfarrerin Selina Zürrer machte sich Gedanken zur Rolle der Kirche in der Hexenverfolgung – und schliesslich entstand unter der Regie einer Gruppe engagierter Frauen die Gedenkfeier für die Opfer der Hexenverfolgung im Knonauer Amt, die am vergangenen Freitag mit grossem Erfolg in Aeugst über die Bühne ging. Unterstützt wurde die Gruppe von der GGA und der reformierten Kirche Knonauer Amt.
Rund hundert Personen hatten bei grauem Regenwetter den Weg in den Kulturraum der Schule Aeugst gefunden. Den Abend eröffnete Olga Tucek mit ihrer phänomenalen Stimme und mit Akkordeonklängen – niemand blieb emotional unberührt. Ihre Musik, ihre Lieder mit und ohne Worte, prägten den Abend und gaben ihm eine Tiefe und Schwere, die bewegte, lange nicht mehr losliess.
Fabienne Dubs, Historikerin
Es gibt Protokolle von 225 Hexenprozessen im Kanton Zürich. In den Jahren von 1487 bis 1701 wurden 85 Todesurteile gesprochen, 5 Opfer waren männlich, 80 weiblich. Hinter diesen Zahlen steht unendliches physisches und psychisches Leiden. Im Knonauer Amt waren acht Frauen angeklagt und gefoltert worden, sechs wurden hingerichtet. Die Vergehen waren das Verhexen von Menschen und Tieren, Beischlaf mit dem Teufel, Flüge mit Besen und Teilnahme an Hexentreffen, das Beeinflussen der Manneskraft bei Männern, Kinderlosigkeit von Frauen, Verursachen von Unwettern, Hagel und Lawinen und das Verderben von Ernten oder anderen Gütern – generell das Herbeiführen von schädlichen Ereignissen.
Gründe, die zur Anschuldigung von meist Frauen führten, waren abweichendes Verhalten, Ausgrenzung aus der Gemeinschaft, Anderssein, Neid und Missgunst. Die Anklagen basierten auf abergläubischen Vorstellungen. Die Verdächtigen wurden befragt und grausam gefoltert, bis sie ihre Verfehlungen zugaben. Die Strafe – wenn Beischlaf mit dem Teufel unter Folter gestanden wurde – war der Tod durch Verbrennen bei lebendigem Leib, sonst wurde geköpft oder ertränkt. Eine der Ämtler «Hexen» wurde begnadigt, das heisst, sie wurde vor dem Verbrennen geköpft. Zwei Ämtler Frauen hielten der Folter stand, beispielsweise aufgehängt werden an den im Rücken zusammengebundenen Händen und mit Gewichten an den Füssen. Sie gestanden nicht und beschuldigten niemand anders. Sie wurden freigesprochen – hatten aber grausamen Schaden an Leib und Seele erlitten. Fabienne Dubs erläuterte die «Kultur der Hexenverfolgung» aus historischer Sicht. Die Zuhörenden reagierten mit leiser Betroffenheit, Abscheu, Unverstehen, Trauer.
Würdigung der sechs Ämtler Opfer
Es waren Frauen, oft alleinstehende Frauen, die in unserer Region Opfer waren. Ihre Geschichten wurden am Anlass in Aeugst von sechs Frauen erzählt. Dabei wurden die Opfer direkt angesprochen: «Du wurdest gefoltert und verbrannt.»
Das erste Opfer war Margaretha Schöni. Sie litt grosse Not und Hunger. Der Teufel versprach Erlösung vom Mangel. Ihr wurde vorgeworfen: Beischlaf mit dem Bösen, Gottesverleugnung, Schadenszauber gegen Menschen und Vieh, Wetterzauber. Wurde tags und nachts an «ungewöhnlichen Orten» angetroffen; seit Jahren sprach man im Dorf «argwöhnisch» über Margaretha. Keine Folter protokolliert. Tod durch das Feuer 1577.
Vier weitere Frauen fanden im Jahr 1592 den Tod auf dem Scheiterhaufen: Verena Kurtz, Affoltern; Margaretha Widmer, Uerzlikon; Barbara Götschi, geb. Stehli, Ottenbach und ihre Tochter Verena.
Im selben Jahr wurden freigesprochen: Anna Usteri, Obermettmenstetten, nach sechs Streckungen, davon vier mit Gewichten, und Elsbetha Köppli, Affoltern, nach drei Streckungen, davon eine mit Gewichten.
Catharina Bumann, Maschwanden, wurde als letzte Hexe 1660 enthauptet und danach verbrannt.
«Wir wollen nicht vergessen, wir wollen nicht verschweigen, wollen eure Leben erzählen ...»
Olga Tucek
Die Aeugster Pfarrerin Selina Zürrer stellte sich der Frage nach der Rolle der Kirche. «Die Kirche hatte Anteil an diesem dunklen Kapitel der Geschichte.» Sie verschwieg nicht die frauenverachtende Haltung der Kirche über Jahrhunderte. Sie betonte aber, dass diese Haltung nicht den wahren Lehren von Jesus entspreche. Und schlug die Brücke in die Gegenwart und zur globalen Situation der Frauen. Sie wünscht, dass mit mehr Mut statt Angst gegen Ausgrenzung gehandelt wird.
Der stimmige Film von Olga Tucek war ein Mix von Landschaftsbildern, gelesenen Protokollauszügen von Hexenprozessen und von filmischen Porträts der Künstlerinnen, die ab 30. September Werke zum Thema «Hexen» in der reformierten Kirche in Affoltern präsentieren. Die emotionale musikalische Untermalung der Filmsequenzen verstärkte die visuelle Wirkung. Bescheiden meinte Olga Tucek: «Ich bin keine professionelle Filmemacherin, sondern herzblutige Amateurin.» Vielleicht deshalb ging ihr Film, eine «Femmage», direkt unter die Haut. Die Sängerin überzeugte mit ihrer treffenden, kreativen Sprache. Beispiel: «Wir waren schockverliebt, als wir die Werke der ausstellenden Künstlerinnen sahen.»
Playbacktheater Bumerang
Den Schluss des abwechslungsreichen Abends bildete das Playbacktheater Bumerang unter der Leitung von Fra Zeller und mit den Spielerinnen Esther Tobler, Manu Kleiner, Gabriele Kaes – und Olga Tucek. Fra Zeller erfragte Emotionen und Meinungen aus dem Publikum, fasste diese zusammen und übergab deren «Zurückspielen» den drei improvisierenden Spielerinnen. Sie gestalteten frei, mit Körpersprache, Mimik, wenig Geräuschen und Worten. Traurigkeit, Ungerechtigkeit und Brutalität wurden beeindruckend umgesetzt. Warum du? Diese Frage wurde szenisch erschütternd umgesetzt. Die Chancenlosigkeit der als Hexen verfolgten Frauen wurde szenisch interpretiert. Das Sich-allein-Fühlen in der heutigen Welt wurde aufgenommen und zeigte die verzweifelte Gleichgewichtssuche einer Spielerin. Es geht nur miteinander, erkannte man aus dem Spiel ohne Worte. Was kann man machen? Kleine Schritte in den Alltag einbauen, die zu Gerechtigkeit beitragen.
Es braucht starke Frauen, die nicht gehorchen, authentisch sind, sich nicht scheuen, auch an gesellschaftlichen Regeln und Gesetzen zu rütteln. Und eine Frau meinte ergänzend: «Und es braucht Männer, die solche Frauen lieben.»
Als Frau gelebt – als Hexe gerichtet: Ausstellung in der Kirche Affoltern vom 30. September bis 22. Oktober. Vernissage mit Live-Performance, Musik und Apéro am 30. September um 19.30 Uhr. Besichtigung täglich von 9 bis 18 Uhr. Führungen am 11. Oktober um 17 Uhr und am 16. Oktober um 19.30 Uhr. Finissage mit Künstlerinnengespräch und Musik am 22. Oktober um 19.30 Uhr.
Volkshochschule im Knonauer Amt
Hexenverfolgung im Knonauer Amt – zwischen Aberglaube und Macht. Fabienne Dubs und Olga Tucek. Donnerstag, 23. Oktober, 19.30 Uhr, Mehrzweckraum des Spitals Affoltern