«Ich bin kein Star, ich bin ein Briefträger»

Bereits bei der ersten Hürde der Talentshow «The Voice of Switzerland» bekam Michael A. Williams Standing Ovations von Jury und Publikum. Auch in der zweiten Runde, der sogenannten «Battle», siegte der 58-jährige Postbote.

Trotz dem Erfolg arbeitet Michael A. Williams mit viel Engagement als Briefträger - und ist abends nach getaner Arbeit müde. (Bild Regula Zellweger)
Trotz dem Erfolg arbeitet Michael A. Williams mit viel Engagement als Briefträger - und ist abends nach getaner Arbeit müde. (Bild Regula Zellweger)

«Zu alt», lautete das niederschmetternde Urteil vor neun Jahren, als sich Michael A. Williams bei «MusicStar» bewarb. Auf Grund der eingesandten CD wurde er nun bei «The Voice of Switzerland» eingeladen und konnte zwei Lieder singen. Hier dreht sich alles um die Stimme der Kandidatinnen und Kandidaten – und damit haben auch ältere Jahrgänge eine Chance.

Dann begann erstmals das Warten. Danach wurde er ein zweites Mal eingeladen und nun dauerte das Warten ewig. Michael A. Williams lacht sein typisches Lachen, als er erzählt, dass seine Vorgesetzten und Kollegen längst von der definitiven Einladung zur Show wussten, und eisern dicht hielten, bis Williams in der Post vor versteckten Kameras den Brief mit der Einladung öffnete.

Begeisterte Juroren

Ein bisschen komisch seien sie vorher schon gewesen – aber Williams ist ein Mensch, dem Respekt über alles geht – also hat er nicht nachgefragt, sondern hingenommen. «Es war eine Katastrophe.» Mit Katastrophe meint er seine Reaktion, als er plötzlich ein Mikrofon vor dem Gesicht hatte und Kameras ihn von zwei Seiten filmten. Die Tränen liefen ihm über das Gesicht. «Alle haben es gewusst, nur ich nicht!»

Die vier Coaches, vier Stars der Schweizer Musikszene, konnten die Sänger bei den «Blind Auditions» zunächst nur hören, weil sie mit dem Rücken zur Bühne sassen. Es zählt der auditive Eindruck. Gefiel einem Coach, was er hört, drückte er seinen Buzzer und drehte den Stuhl. Wer mindestens einen Coach überzeugen konnte, kam weiter. Bereits nach wenigen Sekunden drehte Coach Marc Sway begeistert seinen Stuhl, die drei anderen folgten, erhoben sich und klatschten voller Begeisterung. Nun durfte Williams «seinen» Coach wählen. Nicht zuletzt aufgrund der Empfehlung seiner 20-jährigen Tochter entschied er sich für Marc Sway.

«Wenn ich singe, vergesse ich alles»

In der nächsten Runde sang Williams ein Duett mit einer Sängerin aus der Westschweiz – und die Entscheidung der Jury fiel zu seinen Gunsten aus. «Ich habe einfach alles gegeben», erklärt er, «wenn ich singe, vergesse ich alles rund um mich herum.»

Wie es weiter geht, ist noch nicht ganz klar, aber er ist im Halbfinal. Es geht weiter, und dies freut den Briefträger. «Wenn ich nicht noch weiter komme, dann bleiben schöne Erinnerungen. Ich geniesse den Moment – und schliesslich ist die Post ja immer noch da», lacht er. «Mein Leben geht weiter. Mir genügt es, wenn mich die Leute so in Erinnerung behalten, wie ich vor dem Fernsehauftritt war.»

Authentizität, eine gewisse Bescheidenheit und die Offenheit, mit der er über seinen tiefen christlichen Glauben spricht, machen, dass ihm die Herzen zufliegen, egal ob er auf der Bühne steht oder bei seiner Arbeit die Leute mit seinem strahlenden Lächeln erfreut. «Wenn ich singe, geht es um umfassende Liebe.» Was bei jemand anderem vielleicht seltsam klingen würde, kommt bei ihm ganz einfach und emotional an. Er strahlt Wärme, Liebe, Respekt, Verständnis aus. Dies ist keine «Mache», es ist das Ergebnis eines intensiv gelebten – und auch manchmal erlittenen – Lebens.

Kindheit in St. Petersburg, Florida

Alles begann vor 58 Jahren in St. Peterburg, Florida. Der kleine Michael wuchs mit seinen drei Geschwistern unter dem strengen Regiment der Mutter auf. Die Familie war auf Sozialhilfe angewiesen – und für farbige Jungs zu dieser Zeit in den USA standen nicht viele Karrieremöglichkeiten offen. Mit 17½ Jahren trat er in die Army ein, die ihm wie ein sicherer Hafen erschien. Das war 1972 – der Vietnamkrieg sollte 1975 enden. «Hier lernte ich noch mehr Disziplin als schon zu Hause, oft war dies schmerzhaft.»

Vierzehn Jahre US-Militärdienst in vielen Ländern und Kulturen haben ihn geprägt. «Wir Amerikaner haben angeklopft, die Türen wurden uns geöffnet, und wir sind gleich mit dem Möbelwagen vorgefahren.» Er spricht von Wertschätzung, von Gastrecht, vom Respekt anderen Kulturen gegenüber. «Ich bin nicht wie viele Amerikaner, die denken, sie seien besser als andere.»

Später arbeitete er als Bodyguard und kam schliesslich vor beinahe zwanzig Jahren in die Schweiz. Trifft man heute den Briefträger Michael A. Williams auf seiner Tour, geht die Sonne auf. Jedem schenkt er ein freundliches Wort, ein Lächeln, und manchmal kann man ihn auch singen hören.

Fanpost brachte Computer, IPad und Handy zum Abstürzen

Bereits seine Konzerte mit seinem Gospelchor in Bremgarten und Wohlen hatten ihm seine Tochter, die bei der Mutter aufgewachsen ist, wieder näher gebracht. Darüber ist er sehr glücklich. Seine ältere Tochter lebt in St. Petersburg, Florida, und hat ihn bereits zwei Mal zum Grossvater gemacht. Seine jüngere Tochter war mit ihm in der Show, hat mitgefiebert und mitgefeiert. Doch nicht nur in der Familie war sein Erfolg durchschlagend – die Fanpost brachte Computer, iPad und Handy zum Abstürzen. «Alle Mails und SMS waren positiv. Menschen haben mir geschrieben, dass sie zu Tränen gerührt waren, weil meine Stimme sie berührt hat. Ich habe aber eigentlich nur gesungen, weil mir dies Freude bereitet, ich will niemanden zum Weinen bringen», schmunzelt er. Morgens um halb sieben begann er Mails zu beantworten und abends um neun war er noch immer dran.

«Ich kann es noch gar nicht fassen, überall angesprochen zu werden. Eigentlich bin ich nur dankbar für meine Stimme – diese möchte ich mit den Menschen teilen. Michael, der Superstar, wer so denkt, hat mich nicht verstanden. Ich geniesse den Erfolg sehr, aber er ist nicht meine Hauptmotivation. Ich möchte auch junge Menschen ermuntern, zu singen. Vielen fehlt es aber an der Geduld und am Selbstvertrauen. Sie richten sich nach den Reaktionen der anderen, statt sich selbst zu sein.»

Zukunftsperspektiven

Die Show geht weiter, am 23. Februar, am 2., 9. und 16. März, und Michael A. Williams ist mit Begeisterung dabei. «Ich werde aber weiterhin morgens um halb sechs dieselben Kleider anziehen, mich in mein Auto setzen, meinen Job machen und abends müde zu Hause auf meinem Sofa sitzen», sagt er.

Ein weiteres Gospelkonzert ist für 2014 geplant – der Erlös kommt wie immer einer sozialen Institution zugute. Begonnen hatte es mit Strassenmusik, dann kamen Anfragen für Solopartien und für Musik an 454 Hochzeiten. Was seine Karriere als Sänger anbelangt, da ist er offen. «Es gab in meinem Leben immer wieder Leute, die mir eine Chance gaben, die mir vertrauten und es sind viele Leute da, die mich unterstützen. Für mich ist Liebe geben einfacher als Liebe annehmen. Es kommt so viel Liebe zurück, jetzt ganz besonders, wegen The Voice of Switzerland.»

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