«Ich habe den Kopf verloren und einen Seich gemacht»
Diebstahl und andere Delikte: Polizeihauptmann vor Bezirksgericht Affoltern

Im Juni 2024 rückte der heute 50-jährige Polizeihauptmann nach Knonau aus, weil dort ein 80-Jähriger seine 78-jährige Ehefrau erschossen und sich danach selbst gerichtet hatte. Eine Dritteinwirkung wurde damals ausgeschlossen, das Haus mit polizeilichem Siegel versehen. Andere Ermittler übernahmen den Fall. Der Polizeioffizier hatte nichts mehr mit dem Fall zu tun. Was sich nach dem tragischen Vorfall eine Woche später ereignete, bezeichnete der Staatsanwalt vor Gericht als einen Fall, den er seit 21 Jahren nicht erlebt habe.
Bei einer Fahrt nach Luzern habe der Hauptmann beobachtet, wie sich beim Haus, wo sich der Suizid abgespielt hatte, zwei Männer aufhielten, mutmasslich aus dem Maghreb, sagte er bei der Befragung am Gericht. Diese hätten sich aus dem Staub gemacht und seien vermutlich in den nahen Wald geflüchtet. Er habe beim Haus ein Brecheisen gefunden – ein Beleg, dass sich am Haus ein Einbruch ereignet habe. Er lässt seinen parkierten Dienstwagen stehen, verfolgt die beiden Männer zu Fuss und wird dabei von einem Zeugen beobachtet, wie er beim Hochgehen immer wieder zurückschaut. Am Waldrand trifft er auf den einen und ruft «Police, Polizei». Einer der Männer habe ihm das Portemonnaie zugeworfen, der andere ein Messer gezückt. Deshalb habe er das aufgefundene Brecheisen gegen den Mann geworfen. «Ich dachte, die erwische ich», sagte der Beschuldigte und sprach vom Jagdtrieb, der ihn erfasst hatte. Aber die Aggression des einen und sein Messer hätten ihm Angst bereitet», sagte er bei der Befragung. Warum er keine Verstärkung angefordert habe und den Einbruch der Spurensicherung überlassen, wollte der Gerichtspräsident wissen. «Ich habe den Kopf verloren und einen Seich gemacht», gestand er ein.
Das Portemonnaie mit 1400 Franken nahm er mit, in Zürich entnahm er den Inhalt und entsorgte das Portemonnaie in einem Abfallkübel. Danach habe er sich zu einem falschen Eintrag im Polizei-Informationssystem (Polis) hinreissen lassen, einem beschönigenden, um die Blamage bei den Kollegen zu verhindern. Den Kopf verloren und «nichts studiert» habe er auch, als er das Geld an sich genommen habe. Dieses legte er in ein Couvert mit weiteren knapp 1800 Franken, die seiner ausserehelichen Affäre gehören, und er damit Rechnungen von ihr bezahlen wollte.
Eingebrochen und Geld gestohlen?
Dieser Version schenkt der Staatsanwalt keinen Glauben. Er ist überzeugt, dass der Beschuldigte an den Suizid-Tatort zurückgekehrt ist, mit einem Brecheisen die Türe aufgedrückt und das Haus – unter Brechung des amtlichen Siegels – betreten hat. Er habe sich des Portemonnaies des Verstorbenen behändigt, das 1400 Franken enthielt. Dabei wurde der Beschuldigte von einem Nachbarn beobachtet. Diesem fiel dessen BMW-Touring auf, auch wegen der offenen Heckklappe. Der Zeuge beobachtete den Polizeioffizier, wie sich dieser schnellen Schrittes Richtung Wald begab – dies, nachdem der Anwohner ein «knarzendes Geräusch» beim Haus wahrgenommen haben wollte. Und der Offizier hat dann später den verfälschten Eintrag im Polis verfasst, nachdem er das leere Portemonnaie entsorgt hat. Es waren laut Anklage auch keine DNA-Spuren von weiteren Beteiligten vorhanden. Zudem sehe das Brecheisen jenen ähnlich, die von der Polizei verwendet würden. Trifft diese Einbruchsversion zu, so hat sich der Offizier des Diebstahls, der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs, der Urkundenfälschung im Amt und des Siegelbruchs schuldig gemacht. Der Beschuldigte sass nach seiner Verhaftung Mitte Juni 2024 während 14 Tagen in Untersuchungshaft und wurde danach fristlos entlassen.
Am Bezirksgericht Affoltern bekräftigt der Mann, dass er an diesem Tag nur die beiden Männer habe verhaften wollen. Warum er keine Meldung gemacht habe, als er das Brecheisen gefunden habe, wollte der Vorsitzende wissen. Weil er keinen falschen Alarm wegen dieser Kleinigkeit habe auslösen wollen, so die Antwort. Und er habe grosse Angst gehabt, dadurch «den Kopf verloren» und deshalb keine Meldung gemacht. Warum er den Geldbeutel in den Abfall geworfen habe? Darauf hatte er keine Antwort, gab aber zu, dass er für seine Freundin Rechnungen bezahlt hatte. «Das Geld hatte ich auch, falls es bei mir zu Hause Krach geben würde.» Als Polizeihauptmann hatte er ein monatliches Gehalt von 12 000 Franken, befehligte 70 Polizeibeamtinnen und -beamte sowie 35 Protokollführer.
Der Staatsanwalt nennt seine Angaben «widersprüchlich, abenteuerlich und voller Schutzbehauptungen», jene des Zeugen «detailliert, klar, sachlich und widerspruchsfrei». Er bemühte auch das Sprichwort «Gelegenheit macht Diebe» und verlangt eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten – mit zweijähriger Bewährung. «Sie haben ihre Vertrauensstellung krass missbraucht und kriminelle Energie an den Tag gelegt», so der Vorwurf des Anklägers. Weil er auch von verwerflichem und schwerwiegendem Handeln spricht, setzt er das Strafmass ausserordentlich hoch an. In der Alternativanklage – die Version ohne Einbruch des Polizeioffiziers – fordert der Staatsanwalt 14 Monate auf Bewährung.
Im Schockzustand kopflos gehandelt
Für die Verteidigerin ist ihr Mandant gemäss Alternativanklage schuldig. Sie fordert eine bedingte Gefängnisstrafe von höchstens neun Monaten. Ihr Mandant sei in einem Schockzustand gewesen, weil er sich in einer lebensbedrohlichen Situation gesehen habe. In diesem Schockzustand habe er kopflos gehandelt, auch als er das Geld eingesackt habe. Aufgewühlt habe er den beschönigenden Polis-Eintrag getätigt, um eine Blamage bei seinen Kollegen zu verhindern – nicht um sich zu begünstigen. Er selbst sage ja auch, falsch gehandelt zu haben. Er sei aber in dieser Situation nicht imstande gewesen, rational zu handeln, weil Angst und Schamgefühl überhandgenommen hätten. «Dass er eingebrochen und das Siegel gebrochen haben soll, basiert lediglich auf Mutmassungen. Es sei schliesslich helllichter Tag gewesen, und das Haus befindet sich an exponierter Lage», so die Verteidigerin. Nach 37 Jahren Polizeiarbeit als 50-Jähriger die Stelle und das kollegiale Umfeld zu verlieren, sei hart – und unfair der Umstand, dass die Einvernahmen an seinem ehemaligen Arbeitsort erfolgt seien und es sich bei der Protokollführerin um eine seiner ehemaligen Mitarbeiterinnen gehandelt habe.
«Es ist völlig klar, dass ich Mist gebaut habe. Das tut mir ausserordentlich leid. Ich war gerne Polizist und wollte Vorbild sein. Ich habe viele Leute enttäuscht. Das kann ich verstehen», sagte der heute 50-jährige Beschuldigte.
Bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Das Bezirksgericht Affoltern wird das Urteil nächste Woche eröffnen.