«Ich habe für Christoph Blocher gepfadet»

Derweil morgen Mittwoch die Bundesrats-Ersatzwahlen über die Bühne gehen, werfen wir einen Blick zurück: Vor genau 20 Jahren versuchte die SVP, mit Toni Bortoluzzi einen zweiten Sitz zu erobern. Gewählt wurde die offizielle SP-Kandidatin Micheline Calmy-Rey.

Politik ist am Stammtisch – hier im Restaurant Krone in Affoltern – natürlich immer ein Thema: Toni Bortoluzzi (2. v. r.) mit den Kollegen Theo Fischer, Hans-Ulrich Noser und André Ruchti (von links). (Bild Werner Schneiter)

Politik ist am Stammtisch – hier im Restaurant Krone in Affoltern – natürlich immer ein Thema: Toni Bortoluzzi (2. v. r.) mit den Kollegen Theo Fischer, Hans-Ulrich Noser und André Ruchti (von links). (Bild Werner Schneiter)

Ihren Anspruch auf zwei Sitze in der Landesregierung erhob die SVP nach den Wahlen von 1999, als sie – mit einem Wähleranteil von 22,6 Prozent – ihre Sitzzahl im Nationalrat von 29 auf 44 steigern konnte. «Rechnerisch hatten wir also Anrecht auf diesen zweiten Sitz; die SP kam damals auf 22,5 Prozent», erinnert sich Toni Bortoluzzi.

Im aargauischen Lupfig kürte ihn die Partei zum Bundesratskandidaten – im Rahmen einer turbulenten Delegierten­versammlung, weil sich ­einige über einen derben Song von ­Nationalrat Oskar Freysinger echauffierten. Bortoluzzi wurde jedoch per Akklamation auf den Schild gehoben, am 4. Dezember 2002 den zweiten SVP-Sitz zu holen – eigentlich ein chancenloses Unterfangen, weil die SP mit Micheline Calmy-Rey und der Freiburger Staatsrätin Ruth Lüthi der Bundesversammlung zwei Kandidatinnen für die Nachfolge von Ruth Dreifuss präsentierte. Und das war ausserhalb der SVP nicht bestritten, auch bei den anderen bürgerlichen Parteien nicht.

Keine Jux-Kandidatur

«Aber uns war es damals ernst, weil wir Anspruch hatten auf diesen zweiten Sitz. Eine solche Übung veranstaltet man nicht aus Spass», sagt Toni Bortoluzzi, zu dieser Zeit Präsident Sozial- und Gesundheitskommission des National­rates und Inhaber einer Schreinerei in Affoltern. Den Ernst seiner ­Kandidatur unterstrich auch die Tat­sache, dass er vor dem Wahlgang bei zwei Fraktionen antraben musste. ­Heute sagt er: «Ich habe 2002 für Christoph Blocher gepfadet». Dieser wurde ja bekanntlich 2003 in die Landesregierung gewählt, wenngleich für nur vier Jahre.

Am Wahltag dann das grosse ­Gewusel im Bundeshaus: eine volle ­Tribüne und mindestens doppelt so ­viele Medienschaffende wie gewöhnlich. Fahrlässig verzichtete der Schreibende damals auf eine offizielle Akkreditierung. Hätte ihm beim Eingang nicht der (inzwischen verstorbene) Thurgauer Nationalrat J. Alexander Baumann ­geholfen, ja dann wäre der «Anzeiger» bei diesem aus Ämtler Sicht historischen Ereignis vor der Türe geblieben.

Nach vier Wahlgängen in die «Bären»-Bar

Die Hoffnung der SVP blieb dann im Wahlprozedere während immerhin vier Wahlgängen aufrecht. Micheline Calmy-Rey war im ersten Umgang mit 80 Stimmen knapp vorne, gefolgt von Toni Bortoluzzi (69) und Ruth Lüthi (61). In den weiteren drei Wahlgängen kam dann der Ämtler nicht mehr auf 60 Stimmen; am Schluss triumphierte Calmy-Rey mit 131 Stimmen. Nach dem Wahlprozedere kritisierte Ueli Maurer, damals noch Parteipräsident: «Heute ist der Bundesrat nicht nach Wählerstärke, sondern nach rein politischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Alle, die an der Urne gegen die EU oder gegen die Asyl-Initiative votiert haben, sind im Bundesrat nach wie vor nicht vertreten. Und das ist knapp die Hälfte der Bevölkerung».

Zu diesem Zeitpunkt wusste man noch nicht, dass sich das mit Blochers Wahl schon bald ändern sollte. Nach dem Wahlprozedere traf Toni ­Bortoluzzi in der Bar des Hotels Bären unter anderen auf seine «Snuuphasen»-Kollegen, um den Wahlstress mit einem Schluck Weissen abzustreifen – im ­Wissen, dass Jakob Dubs aus Affoltern einziger ­Ämtler Bundesrat bleibt. Dieser gehörte der Landesregierung von 1861 bis 1872 an. Toni Bortoluzzi trat 2015 nach 24 Jahren aus dem Nationalrat zurück. Für seine Partei hat er nicht nur bei den Bundesratswahlen vorgespurt. Er war mit seinen (erfolglosen) Kandidaturen als Regierungs- und Ständerat auch eine Art SVP-Winkelried.

In loser Folge beleuchtet der ­«Anzeiger» in dieser Serie ­besondere Ereignisse, die 10, 20, 25, 30 oder mehr Jahre zurückliegen.

Zuletzt erschienen: Als Umfahrungen in zwei Jahren realisiert werden konnten (4. November); Als Bundesrat Delamuraz in Affoltern leidenschaftlich für den EWR-Beitritt warb (18. November).

 

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