«Ich höre eine Sirene, das darf nicht wahr sein»

Die Brandserie hielt die Behörden während Wochen auf Trab – Gemeindepräsidentin Arianne Moser und Sicherheitsvorsteher Andres Bachofner erzählen

Wo früher eine Scheune stand, zeigt sich nun ein Bild der Zerstörung. (Bild Livia Häberling)

Wo früher eine Scheune stand, zeigt sich nun ein Bild der Zerstörung. (Bild Livia Häberling)

Das Regenwasser bahnt sich am Freitagnachmittag seinen Weg über den Asphalt. Vorbei am jüngsten Tatort und hinunter ins Dorf, wo zwei Tage zuvor die Handschellen geklickt haben und ein paar Gewissheiten unterspült worden sind. Etwa jene, dass ein Mensch in ein und demselben Verbrechen entweder Held oder Täter ist, gut oder böse. Aber nicht beides.

Ein junger Feuerwehrmann aus Bonstetten soll für den Scheunenbrand an der Oberdorfstrasse und eine Serie weiterer Anschläge (mit-)verantwortlich sein, die sich seit März ereignet haben. Der Mann, der an mindestens einem mutmasslich selbst verursachten Löscheinsatz teilgenommen hat, sitzt nun in Untersuchungshaft. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren.

Nach dem erwähnten Scheunenbrand in der Nacht auf Mittwoch vergangener Woche verschickte die Kantonspolizei Zürich am Morgen eine Medienmitteilung. Es war in der Brandserie Bonstetten nicht die erste Meldung. Die Kapo hatte auch informiert, als Anfang Mai im Rebacher eine andere Scheune in Flammen aufging. Damals machten die Medien daraus eine Kurzmeldung. Diesmal war es anders. «Geht in Bonstetten ein Feuerteufel um?», fragte der «Blick» am frühen Mittwochabend online, nachdem ein Reporter zum Tatort ausgeschwärmt war. Und TeleZüri servierte seinem Publikum pünktlich zum Abendessen Stimmen besorgter Anwohnerinnen und Anwohner.

Tatsächlich ging von den drei Burschen zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr mehr aus. Sie sassen bereits in Polizeihaft. Mit anderen Worten: Als die Geschichte zu dieser mehrmonatigen Brandserie medial Fahrt aufnahm, stand ihr Ende längst fest.

Nächtliches Hornen im Dorf

Gemeindepräsidentin Arianne Moser ist eine der wenigen Personen, die über die bevorstehenden Verhaftungen eingeweiht sind, als die Medien noch spekulieren. Am Tag danach, als sich abzeichnet, dass die Polizei die Richtigen erwischt hat, ist sie bereit zu einem Gespräch, um die vergangenen Tage und Wochen zu rekapitulieren. War die Brandserie in ihrer Amtszeit als Gemeindepräsidentin die bisher grösste Krise? «Definitiv», sagt Moser.

Von den Vorfällen, die sich im Lauf der Zeit als Serie entpuppen, nimmt sie Anfang April zum ersten Mal Notiz. Damals brennt in einem Waldstück zwischen Bonstetten und Stallikon zum zweiten Mal derselbe Holzstapel. «Einmal mehr wurden rund 20 Angehörige der Feuerwehr um ihren Schlaf gebracht, um einen grösseren Schaden zu verhindern», schreibt die Feuerwehr Unteramt damals auf ihrer Website über den Einsatz, «auch heute Nacht muss leider von Brandstiftung ausgegangen werden.» Offenbar haben die Täter Zündwürfel als Anfeuer­hilfen eingesetzt. «Als wir das erfuhren, begannen wir, die Angelegenheit genauer zu verfolgen», erzählt Arianne Moser.

Ab da habe sich die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde und der Kantonspolizei Zürich intensiviert. Zwar hatten sich die Brände bis dahin vor allem am Dorfrand und in kleinerem Umfang ereignet. «Doch die Kantonspolizei hat uns auch gesagt, dass die Schäden bei Brandstiftungen erfahrungsgemäss ein zunehmend grösseres Ausmass annehmen.» Moser sagt, die Polizei habe deshalb schon früh Massnahmen eingeleitet, diese seien für die Bevölkerung jedoch bewusst nicht wahrnehmbar gewesen.

Hör- oder sichtbar ist dagegen, dass die Feuerwehr Unteramt spätabends weiterhin auffällig oft zu Brand­einsätzen ausrücken muss:

13. April, 00.33 Uhr: An der Aumülistrasse brennt ein Holzstapel (zum dritten Mal).

14. April, 1.51 Uhr: An der Alten Stationsstrasse brennen Bücher in einem Grüngutcontainer.

29. April, 23.05 Uhr: An der Grundstrasse steht in einer Schrebergartenanlage ein Gartenschopf in Vollbrand.

30. April, 06.13 Uhr: In derselben Schrebergartenanlage brennt es erneut.

Als am 3. Mai, kurz nach Mitternacht, im Rebacher eine Scheune in Flammen aufgeht, verdeutlicht sich das Ausmass des Falls. Die Abstände zwischen den Bränden werden kleiner, die Objekte werden grösser und sie befinden sich näher am Dorfkern. «Da mussten wir feststellen, dass auf der prophezeiten Eskalationsskala offenbar die nächste Stufe erreicht ist.»

Am späten Sonntagabend des 5. Mai hornt es in Bonstetten von Neuem: «Ich hoffe, die Sirene vergangene Nacht war nicht schon wieder die Feuerwehr», schreibt Arianne Moser ihren Gemeinderatskollegen am Morgen danach. Die Feuerwehr Unteramt muss in jener Nacht zwar nicht ausrücken – dafür brennen am 9., 10. und 11. Mai ein E-Trottinett und je ein Abfallcontainer. Am 18. Mai brennt ein Geräteschuppen ab, am 20. Mai wiederum ein Holzstapel.

«Richtig wind und weh» wird es Arianne Moser aber ein paar Tage später, als sie erfährt, dass die Brandstifter am Samstagabend des 25. Mai versucht haben, die Zimmerei von Emil Schnider anzuzünden. Damit war die Brandserie geografisch in der Mitte der Bevölkerung angekommen.

Gab es Momente, in denen Moser sich als Gemeindepräsidentin hilflos fühlte? «Ja», sagt sie: Es sei schmerzhaft gewesen, zusehen zu müssen, wie sich die Situation im eigenen Dorf hochgeschaukelt, die Unsicherheit zugenommen habe. Das sei vor allem nach der Brandstiftung in der Zimmerei der Fall gewesen. «Ich war in engem Austausch und wusste, dass die Ermittlungen der Polizei weit fortgeschritten waren. Das hätte ich der Bevölkerung gerne mitgeteilt. Leider war das nicht möglich. Das auszuhalten, war nicht einfach.»

Und sehen zu müssen, dass Menschen auf unnötige Weise einen so grossen Schrecken erlebt und einige sogar einen Teil ihres Hab und Gutes verloren hätten, stimme sie traurig. «Zum grossen Glück ist niemand verletzt worden.»

Die Polizei ist zu diesem Zeitpunkt fast am Ziel. Aber eben nur fast. Und so kommt es, dass Arianne Moser am Dienstag, 28. Mai, kurz vor Mitternacht folgende Zeilen in ihr Handy tippen muss: «Ich höre eine Sirene. Das darf nicht wahr sein.»

Steilstart für den neuen Gemeinderat

Die Nachricht erhält Andres Bachofner. Erst wenige Wochen zuvor hatten ihn die Stimmberechtigten in den Gemeinderat gewählt. Sein Versprechen im Wahlkampf: Das Beste dafür tun, dass Bonstetten auch bezüglich Kriminalität sicher ist und sicher bleibt. Nun war er als frischgebackener Sicherheitsvorsteher in einer Krisensituation plötzlich an vorderster Front gefragt. «Es ist eine neue Rolle», sagt Bachofner über das Amt, «doch ich habe mich rasch eingefunden.» Nicht zuletzt die Unterstützung der anderen Ratskolleginnen und -kollegen habe den Einstieg für ihn sehr angenehm gemacht. Was die Brände betrifft, hat Bachofner am Anfang noch geglaubt, es mit jugendlichen «Zeuslern» zu tun zu haben. Als sich die Vorfälle häufen und die Objekte grösser werden, ahnte Bachofner, selbst Polizist, was Sache ist.

Nach dem SMS-Kontakt mit Arianne Moser suchen die beiden gemeinsam mit einem weiteren Mitglied aus dem Gemeinderat den Brandort auf. Evakuieren, Lagebesprechungen mit dem Führungszirkel, Hilfe bieten, informieren – von Mitternacht bis halb vier Uhr ­morgens. Um sechs Uhr beginnt für Bachofner wieder die Frühschicht auf dem Polizeiposten. «Es war eine sehr kurze Nacht», sagt er – und huldigt bei dieser Gelegenheit den Mitgliedern der Feuerwehr Unteramt, die Nacht für Nacht für das Gemeinwohl im Einsatz standen und stehen.

Etwas mehr als eine Woche ist seit den Verhaftungen vergangen. Im Dorf ist Ruhe eingekehrt. Bachofner sagt: «Wir sind unglaublich dankbar, dass es ‹nur› Sachschaden gegeben hat. Und: Wir sind froh, dass es endlich vorbei ist.»

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