«Nomadisch, und doch sesshaft!»

Was zieht Camping-Freunde Jahr für Jahr ins Freie? Eindrücke vom Camping Reussbrücke in Ottenbach

Kein Topf darf fehlen: Campen mit eigenem Garten.

Kein Topf darf fehlen: Campen mit eigenem Garten.

Harry (rechts) mit Benni und Roswita, seinen «Nachbarn». (Bilder Brigitte Reemts Flum)

Harry (rechts) mit Benni und Roswita, seinen «Nachbarn». (Bilder Brigitte Reemts Flum)

Tischtuch, Vase, Blumen: Alles ist da – wie zu Hause.

Tischtuch, Vase, Blumen: Alles ist da – wie zu Hause.

«Du kannst für dich sein, hast deinen Rückzugsort. Aber wenn dir danach ist, bist du sofort unter Leuten und fühlst dich nie einsam», sagt Isabelle. Damit bringt sie etwas auf den Punkt, das viele am Camping lieben. Besonders dann, wenn Camping nicht nur ein paar Wochen Auszeit bedeutet, sondern das Lebenskonzept für den ganzen ­Sommer ist.

Sommerleben auf Rädern

Isabelle weiss, wovon sie spricht. Sie lebt jetzt schon ihre sechste Saison auf dem Campingplatz an der Reussbrücke. Sobald der Platz im Frühling wieder öffnet, zieht sie in ihren Wohnwagen, der hier auch überwintern darf. Und wenn im Oktober die Saison endet, macht sie Auslandsreisen oder besucht Familie und Freunde.

Diese Ausschliesslichkeit ist eher selten, doch Dauercampen ist längst kein Einzelphänomen mehr. Immer mehr Menschen haben das Bedürfnis nach einem Rückzugsort in der Natur. «Camper-Naturen – nomadisch, und doch sesshaft», beschreibt Harry, ein anderer Camper, dieses Lebensgefühl. Die Nachfrage nach Dauerplätzen übersteigt mittlerweile das Angebot. Normalerweise wird direkt nach Saisonschluss für die nächste Saison reserviert – einer der Camper an der Reussbrücke bringt es angeblich auf 51 Saisons in Folge. Jährlich gibt es nur fünf bis zehn, meist altersbedingte Wechsel. Die Warteliste ist noch nicht ganz so lang wie die für einen Bootsplatz am Zürichsee, aber sie existiert.

Von Dauercampern bis zu Touristen

Wer sind also diese Menschen, die im Sommer einen Campingplatz bevölkern? Ich sitze am «Stammtisch» des Camping Reussbrücke in Ottenbach. Um mich herum: Isabelle, Harry, Tom und Simon – allesamt sogenannte Dauer­camper. Immer wieder kommt jemand vorbei, hört zu, redet mit, verschwindet wieder. Es ist ein Kommen und Gehen wie auf einem kleinen Dorfplatz.

Als Erstes lerne ich: Es gibt zwei Hauptgruppen auf dem Campingplatz: die Dauercamper und die Touristen. Dauercamper haben ihr Wohnmobil oder ihren Wohnwagen fest auf einem Stellplatz stehen. Touristen dagegen kommen für ein paar Tage, machen Ferien und reisen wieder ab.

Doch auch unter den Dauercampern gibt es Unterschiede. Da gibt es diejenigen, die wirklich den ganzen Sommer hier wohnen. Und dann gibt es die sogenannten «Schönwettercamper». Damit sind diejenigen gemeint, die zwar einen Saisonplatz haben, aber nur vorbeikommen, wenn die Sonne scheint. Sobald es regnet, bleiben sie lieber daheim. Am Stammtisch wird der Begriff «Schönwettercamper» ein bisschen ­despektierlich verwendet, «richtige» Camper halten auch einmal ein paar Regentage aus.

Der Campingplatz Reussbrücke hat 75 Dauerplätze und dazu 30 Plätze für durchreisende Touristinnen und Touristen. Doch nur ungefähr zehn der Dauercamper wohnen wie Isabelle wirklich den ganzen Sommer hier. Der Rest hat noch eine andere Bleibe, überraschenderweise meist gar nicht weit entfernt.

Die Sehnsucht nach Natur

So wie Harry, der neben mir am Tisch sitzt. Er arbeitet ganz bürgerlich als Buchhalter und lebt mit seiner Familie in Affoltern. Auch er hat seit sechs Jahren seinen festen Standplatz hier und ist doch mehr als nur ein gelegentlicher Schönwettercamper. Für ihn ist der Campingplatz an der Reussbrücke eine Familientradition. Er besuchte bereits als Kind seine Tante Lucie hier. «Meine Freizeitoase» nennt er den Campingplatz liebevoll.

Affoltern ist ja nun wirklich nicht weit, «aber es hat keinen Fluss», erklärt Harry. Der Fluss, die Reuss, ist für ihn das entscheidende Argument. Das Schwimmen dort löst Kindheitserinnerungen aus, das Treibenlassen im Wasser gehört für ihn zu den schönsten Dingen, die es gibt. Und auch heute noch als Erwachsener geht er jeden Tag ins Wasser und lässt sich beim Pontonierfahrverein wieder antreiben. Was gibt es Schöneres?

Der Campingplatz liegt mitten im weitläufigen Naturschutzgebiet mit Vogelbeobachtungsplätzen und kilometerlangen Wander- und Radwegen. Eine Wanderung auf dem Flussuferweg zwischen Obfelden und Ottenbach ist ein «Natur pur»-Erlebnis: «Da fühlt man sich wie am Amazonas», schwärmt Harry.

Der Reiz der Einfachheit

Aber es ist nicht nur die Nähe zur Natur, die die Menschen auf den Campingplatz zieht. Es ist auch die Einfachheit, das Reduzierte, der Minimalismus des Campingalltags. «Man merkt schnell, es braucht nicht mehr!», sagt Tom, der auch den ganzen Sommer hier lebt. Sein fester Wohnsitz ist in Cham, dort hat er ein Zimmer gemietet. Aber sein Leben als Bald-Pensionierter spielt sich im Sommer an der Reuss ab. Isabelle bestätigt: «Früher hatte ich ein Haus, aber ein Wohnwagen macht viel weniger Arbeit.» Und auch Harry findet: «Die Alltagsroutine gestaltet sich hier komplett anders und das gibt sofort ein Feriengefühl.»

Nachbarschaft auf dem Campingplatz

Natürlich stellt sich auch die Frage: Wie ist es, mit so vielen Menschen auf relativ kleinem Raum zu wohnen? Die Antwort darauf: Es ist ähnlich wie in einem Dorf: «Jeder schnurrt ein bisschen über jeden», sagt Simon, Maler aus Zug. Aber es bleibt freundlich. «Man geht nett distanziert miteinander um», meint Isabelle. Es gibt Rückzugsmöglichkeiten, aber auch ein soziales Netz, das trägt.

Das merkt man sofort, wenn man über den Platz läuft. Harry führt mich ein bisschen herum und zeigt mir sein «Quartier». Die Herzlichkeit, mit der er andere Camperinnen und Camper begrüsst, zeigt: Hier kennen sich alle.

Der Campingplatz ist in «Strassen» aufgeteilt. Harry wohnt an der «Flussstrasse», nur durch eine Hecke von der Reuss getrennt. Seine Nachbarn, Benni und Roswita, begrüssen ihn mit einer Umarmung. Ein paar Schritte weiter kommt die «Bahnhofstrasse», das ist der Weg, der mitten durch die Anlage führt. Hier treffen wir Uschi und Urs aus Solothurn, beide pensioniert und, wie sie selbst sagen, typische Schönwettercamper. Und dann gibt es noch den «Zürichberg» – so nennen die Camper die kleine Anhöhe gegenüber dem Verwaltungsgebäude mit Einkaufsladen und Foodtruck. Es ist wirklich wie ein Dorf, nur eben auf Rädern.

Nachtruhe und Rasenpflege

Natürlich ist nicht immer alles so friedlich. Wie in jeder Nachbarschaft gibt es auch auf dem Campingplatz gelegentlich Reibereien. Zum Beispiel um den Rasen. Die Dauermieter sind selbstverantwortlich für die Pflege ihrer Parzelle. Wenn der Nachbar seinen Rasen nicht ordentlich mäht, bleibt das nicht unkommentiert: «Die Dominanz Einzelner ist nicht zu unterschätzen», meint Isabelle augenzwinkernd. Und die Nachtruhe um zehn Uhr abends ist einzuhalten!

Auch Generationenkonflikte gibt es. Früher hatte Camping noch viel stärker einen Vereinscharakter mit strengen Regeln. Für ältere Camper, die dieses Regime noch kennen, wirkt das Leben auf dem Campingplatz heute sehr bunt und unordentlich.

Letzte Instanz – der Platzchef

Der Herr über das Reglement ist übrigens der Geschäftsführer Nicolas Stalder. Er leitet den Platz, der der Familie auch gehört, seit drei Jahren gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Lebensgefährtin. Und manchmal muss er auch durchgreifen. Wenn sich zwei Nachbarn so gar nicht verstehen wollen, dann muss im Ernstfall auch mal die Parzellenverteilung überdacht werden.

Trotz kleiner Konflikte sind sich Betreiber und Gäste einig. Es ist genau diese Vielfalt der Menschen, die das Leben auf dem Campingplatz im Allgemeinen und auf dem Camping Reussbrücke im Besonderen so bereichernd macht. «Jeder Tag ist unerwartet, jeder Tag ist abwechslungsreich!», fasst es Nicolas Stalder zusammen.

Und vielleicht ist genau das der Reiz. Zwischen Natur, Menschen und Wohnwagen entsteht eine kleine Welt, in der das Leben ein bisschen anders tickt. Einfacher, naturnaher, bunter und manchmal auch aufregender – aber nie langweilig.

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