«Ich hoffe, dass mir mein Abschied aus dem Berufsleben gelingt»
Nach 40 Jahren als Pfarrer, davon 32 in Hausen, wird Jürgen Schultz kommendes Jahr seinen Ruhestand antreten. Wie nur wenig andere Seelsorger hat er mit seinem Wirken immer wieder polarisiert. Ruhiger ist er mit fortschreitendem Alter nur äusserlich geworden.

Von Martin Platter
Darf ein Pfarrer ironisch sein? Darf ein Pfarrer provozieren? Darf ein Pfarrer unbequem sein und Grenzen verletzen? Jürgen Schultz gab die Antwort stets mit seinem Handeln, das klar signalisierte: Der Zweck heiligt die Mittel. Dass so einer aneckt – zumal in religiösen Kreisen – ist logisch. Zu gross ist der Spagat, der ein Pfarrer zwischen den Generationen, Erwartungen und Weltanschauungen vollführen muss. Das löst natürlich auch Selbstzweifel und zuweilen eine gewisse Resignation aus, die man aus den Worten von Schultz heraushört.
Habe ich alles richtig gemacht? Natürlich nicht! Geht gar nicht bei diesem Spektrum an Erwartungen, auch an sich selber. Da tritt nur derjenige nicht ins Fettnäpfchen, der gar nichts tut. Und das kann man Schultz Zeit seines Wirkens tatsächlich nicht vorwerfen. Vielleicht gerade weil ihm selber kein mustergültiges Leben gelungen ist, und er daraus nie einen Hehl gemacht hat, wirkte er authentisch und erreichte Leute, die sonst wenig bis nichts mit Religion am Hut hatten.
Zum ersten Mal Grosspapa geworden
Nach seiner Bilanz im ablaufenden Jahr gefragt, kommt eine fast normale Antwort mit leiser Ironie: «Ich bin zum ersten Mal Grosspapa geworden. Der kleine Leo ist ein so munteres Kerlchen. Es macht Freude, wie er auf meinen Oberschenkeln herumhopst, als wolle er in den Zirkus – wie sein Grossvater.» Es sei wundervoll, einen Teil von sich in den Armen zu halten: Leben, das noch weiter gehe als man selber.
Man spürt die leise Wehmut von Schultz, der sich bewusst ist, den Lebensabend erreicht zu haben. «Mein ganz persönlicher Wunsch fürs kommende Jahr ist, dass mir mein Abschied aus dem Berufsleben gelingt. Nach 40 Jahren ist das nicht ganz einfach. Zumal jeder Abschied mit Schmerzen verbunden ist, wie ich aus meiner Berufspraxis zur Genüge weiss.»
Jetzt werde er sich wohl selber an den Ohren nehmen müssen, sagt Schultz selbstironisch und doppelt mit einer Durchhalteparole an sich selber nach: «Du bist mehr als das, was du erleidest. Du bist mehr als das, was du gearbeitet hast.» Er werde bestimmt etwas Gescheites aus seiner neu gewonnen Unabhängigkeit machen. Dennoch kommen Zweifel auf, ob man alles im Leben richtig gemacht habe. Aber auch Freude und Erleichterung, nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen und allen gefallen zu müssen.
Die Öffentlichkeit etwas weniger gesucht
«Nein, vernachlässigt habe ich 2011 in meiner Wahrnehmung nichts – ausser, dass ich vielleicht die Öffentlichkeit etwas weniger gesucht habe», sagt der 65-Jährige rückblickend. Besonders in Erinnerung geblieben sei ihm das «Konstantin-Wecker-Konzert» in Zürich. Er möge die melancholischen, tiefgründigen Texte des deutschen Liedermachers.
Mit Spannung erwartet Schultz im kommenden Jahr das Treffen mit sich selber, dann wenn er nicht mehr in der Rolle des Pfarrers sei. Schon jetzt beschäftigt ihn die Frage, die er sich dann stellen werde: «Was bleibt dir noch und was ist dir geblieben?» Die Antwort klingt wie eine Metapher: «Endlich im Garten schaufeln und schuften ohne schlechtes Gewissen. Nur, ob das auf Dauer reicht, weiss ich nicht.» Von Gartenarbeit allein werde er sicher nicht glücklich. Er gehe aber davon aus, dass sein Auffangnetz und seine Lebenspartnerin Ursula genügend Rückhalt bieten werden, um nicht in eine Sinnkrise zu fallen. Das sei wohl die grösste Gefahr eines Pfarrers, der von Berufs wegen sinnstiftend gearbeitet habe. «Springen» werde er weiterhin, wenn andere in Not seien. In Zukunft müsse er das aber nicht mehr, sondern er könne.