Inspirierender Dichterwettstreit mit Tiefgang

Die 17. Poetry-Slam-Veranstaltung von «Kultur Affoltern» präsentierte starke Stimmen

Die drei Finalisten Kay Wieoimmer (von links), Gregor Stäheli und Jessica Brunner. (Bilder Brigitte Reemts Flum)

Die drei Finalisten Kay Wieoimmer (von links), Gregor Stäheli und Jessica Brunner. (Bilder Brigitte Reemts Flum)

Jeremy Chavez, neuer Moderator von Poetry-Slam Affoltern mit seiner Vorgängerin und aktuellen Vorgängerin Rhea Seleger.

Jeremy Chavez, neuer Moderator von Poetry-Slam Affoltern mit seiner Vorgängerin und aktuellen Vorgängerin Rhea Seleger.

Die 17. Poetry-Slam-Veranstaltung von «Kultur Affoltern» präsentierte starke Stimmen

Die «Galerie am Märtplatz» in Affoltern füllte sich Samstagabend und es entstand schnell eine Atmosphäre gespannter Erwartung. Einige Stuhlreihen, vorne eine schlichte Bühne mit einem Mikrofon. Schon nach wenigen Minuten war spürbar, dass dieser Poetry-Slam kein gewöhnlicher Abend werden würde. Am Samstag trafen sehr starke Stimmen auf ein Publikum, das bereit war, sich mitnehmen zu lassen.

Ein Moderatorenwechsel

Doch erst einmal ging es nicht um das Line-up der Künstler, sondern um den anstehenden Moderatorenwechsel. Seit nunmehr 17 Jahren ist «Kultur Affoltern», vor Ort vertreten durch Bea Herger, Veranstalterin des Poetry-Slams in Affoltern. «17 Mal – das ist wild!», kommentierte dann auch die Co-Moderatorin des Abends, Rhea Seleger. Von Anbeginn dabei und für den musikalischen Background zuständig war DJ Ironneck alias Vincent Aeberhard.

Die ersten zehn Jahre wurde der Wettstreit von Simon Chen moderiert, die letzten sieben Jahre von Rhea Seleger, die sich jetzt verstärkt auf ihre Soloauftritte konzentrieren möchte. Gerade hatte ihr Programm «Phönix» Premiere im «Millers» in Zürich. Den Stab von ihr übernimmt Jeremy Chavez, selbst Slam-Poet, ehemaliger U20-Poetry-Slam-Schweizer-Meister und dieses Jahr Nominee für den Swiss Comedy Award. Die samstägliche Co-Moderation mit Rhea Seleger machte jedenfalls klar, dass «Kultur Affoltern» hier einen echten Besetzungscoup gelandet hat. Auch wenn der neue Moderator noch ein wenig «Säuliamt-Stallgeruch» annehmen muss. Er selbst kommt aus Wohlen und zu Affoltern kommentiert er: «Man kennt Affoltern vage, aber es gibt ja zwei. Aber die Affoltemer kennen ja Wohlen.» So geht das natürlich gar nicht und deshalb nutzte er jede kleine Pause zwischen den Poetenauftritten, um sich seine Ortskenntnisse vom Publikum vertiefen zu lassen.

Der Begriff «Slam» stammt aus dem Amerikanischen und bedeutet «heftig schlagen» oder «(verbal) aufeinandertreffen». Er beschreibt den Wettkampfcharakter, bei dem die Dichterinnen und Dichter mit ihren Texten gegeneinander antreten. Erfunden wurde das Format Mitte der 80er-Jahre vom Poeten und Bauarbeiter Marc Kelly Smith. Er wollte den steifen Literaturlesungen etwas Nahbares und weniger Elitäres gegenüberstellen, bei dem das Publikum mitbestimmt und Teil der Perfomance ist. Und so sind dann auch die Regeln gestaltet, die Seleger und Chavez nochmals kurz zusammenfassen: Die Texte müssen selbstgeschrieben sein, es sind keine Requisiten oder Verkleidungen erlaubt, man erscheint in seinem Alltagsoutfit, nach sechs Minuten ist Schluss. Für das Publikum gilt: Es hört aufmerksam zu – «Respect the Poet» – und entscheidet durch die Intensität des Applauses, welcher von zwei Dichtern das jeweilige «Battle» gewinnt.

Line-up der «Crème de la Crème»

Der samstägliche Poetry-Slam bot, weil als Jubiläumsveranstaltung deklariert, eine Teilnehmerliste der Extraklasse. Nicht stotternde Anfänger, sondern spürbar bühnenerfahrene Slammer enterten das Mikrofon in der «Galerie am Märtplatz». Insgesamt sechs Teilnehmer traten in Zweiergruppen gegeneinander an, die jeweiligen Sieger fanden sich dann mit einem zweiten Text im Finale. Die erste Gruppe war Jessica Brunner mit einem Slam zum Thema ADHS versus Remo Zumstein mit dem Titel «No go’s». In der zweiten Gruppe trat Gregor Stäheli mit «I wott schlägle» gegen die amtierende Schweizer Meisterin Annika Biedermann mit «Was ist eigentlich mein Scheissproblem?» an. In der dritten Gruppe mass sich Manuel Diener mit «Tiger» an Kay Wieoimmer mit «Dinos».

Breite Themenvielfalt

Die Themenvielfalt über die gesamten Beiträge war breit und vielfältig. Da wechselten sich sehr ernsthafte und betroffen machende Texte mit absurden Betrachtungen und witzigen Wortspielen ab. Manche Beiträge wurden ganz ruhig und in gesetztem Hochdeutsch vorgetragen, andere lebten vom Schweizerdeutsch, manche trugen ruhig vor, andere wurden immer schneller, sehr rhythmisch, es wurde fast zum «Beatboxen», manche Texte waren stringent, andere rutschten ins Surreale und Absurde. Poetry-Slam hat einen besonderen Reiz, weil er Sprache lebendig macht. Ebenso wie um geschriebene Worte geht es hier um Stimme, Haltung, Präsenz, Rhythmus. Wer auf der Bühne steht, zeigt sich humorvoll, wütend, verletzlich, ratlos. Die Vielfalt der Themen und Formen machte den Abend zu einer Reise durch unterschiedliche, sehr persönliche Gefühlswelten. Das sehr bekannte, aber nicht eindeutig zuordenbare Zitat «Wenn du es nicht verstehst, dann fühle es» appelliert daran, Poesie nicht nur intellektuell, sondern vor allem emotional zu erleben. Und Poetry-Slam ist ein Format, das genau diesen Zugang sehr leicht macht. Entsprechend reagiert das Publikum direkt, lacht, applaudiert, bewertet und ist nicht nur Beobachter.

Das grosse Finale

In der ersten Runde setzten sich Jessica Brunner, Gregor Stäheli und Kay Wieoimmer gegen ihre Kontrahenten durch. Im Finale traten sie jetzt gegeneinander an. Jessica Brunner trug einen sehr wütenden Text über eine Weiterbildungsmassnahme des Kantons vor, Gregor Stäheli slammte zum Thema «Schlussmachen» und Kay Wieoimmers Thema war die «Superkraft der Mehrsprachigkeit» und «Alltagsrassismus». Den dritten Platz belegte Jessica Brunner, den zweiten Kay Wieoimmer und Sieger des Abends wurde Gregor Stäheli. Gregor Stäheli ist in der Comedy- und Slam-Poet-Szene kein Unbekannter. Derzeit ist er mit seinem ersten Solo-Programm «Out of Office» über die Absurditäten des Arbeitsalltags auf Schweiztournee. Aufgrund der Kostproben beim Poetry-Slam in Affoltern lohnt sich ein Besuch ganz sicher.

Am Samstag gewann er neben Ruhm und Ehre, die Herzen der Zuschauer und eine Flasche Whisky. Den grössten Gewinn trug aber das Publikum davon, das den Raum wacher, inspirierter und sehr gut unterhalten verliess.

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