Kirche ist Gemeinschaft
Am letzten Wochenende eröffnete die Kirchgemeinde Hedingen das Jubiläumsjahr zu 500 Jahren Dorfkirche mit einer Feier in der Kirche, mit mittelalterlichem Essen und Musik und mit einem Festgottesdienst.
Am Abend des 19. Januar, während des Festessens zum 500-Jahr-Jubiläum der Kirche Hedingen, neigt sich der Kirchturm plötzlich langsam und müde ein bisschen nach vorne. Die meisten Gäste bemerken das. Doch sie erschrecken nicht. Sie plaudern weiter, lachen, scherzen. Einen Grund zur Aufregung gibt es tatsächlich nicht. Der müde Kirchturm ist aus Zucker, Rahm, Schokolade – das üppige Dessert nach einem mittelalterlichen Festschmaus.
Nicht ins Tischtuch schnäuzen
Fürs Jubiläumsessen sind auf einer pergamentähnlichen Papierrolle Tischregeln notiert: «Niemand soll sich während des Essens über die Schüssel legen und dabei wie ein Schwein schnaufen und schmatzen.» Oder: «Man schnäuze nicht in das Tischtuch, wische sich nicht die Hände an der Gewandung oder den Stiefeln ab.» Zum Glück dürfen die Festgäste den Pot-au-feu aus einem Teller mit Besteck essen und mussten nicht einen persönlichen Löffel mitbringen, um sich damit aus einer gemeinsamen Schüssel zu bedienen. Und mittelalterliche Gewandung mit Stiefeln tragen nur die Musikantinnen und Musikanten, die Tafelmusik aus der Renaissance spielen.
Organistin Anette Bodenhoefer ist eine der fünf Spielleute. Sie, die normalerweise die Kirche Hedingen mit geistlicher Musik erfüllt, hat sichtlich Spass an den weltlichen Klängen und meint mit leuchtenden Augen: «Ich stelle mir das Leben der Spielleute vor 500 Jahren abenteuerlich vor. Von Fest zu Fest zu ziehen, drauflos zu musizieren, fein zu essen und zu trinken ...»
Jubiläums-Emblem mit Symbolkraft
Bevor sich die Festgemeinde am Samstagabend im Chilehuus Hedingen den weltlichen Genüssen hingab, hatte sie sich in der Kirche Hedingen zur Geburtstagsfeier zusammengefunden. 500 Jahre Dorfkirche. Die ehemaligen «Läuterbuben», heute Männer über 60, läuteten von Hand die Kirchenglocken. Dann begrüsste Peter Ott, Präsident der Kirchenpflege, die Gemeinde. Anette Bodenhoefer, Corinna Meienberg, Jonas Gasmann, Matthias Kobi und Leonard Schwarz spielten Renaissance-Musik. Das Pfarrehepaar Walter und Renate Hauser erklärte die eindrückliche Symbolkraft des Jubiläum-Emblems von Hans Ruedi Zulauf. Die Scheibenskulptur schmückt die Kirche übers ganze Jahr.
Episoden – das Publikumschmunzelte
Die drei Autoren von «500 Jahre Kirche Hedingen 1513 bis 2013» – Peter Niederhäuser, Daniel Näf und Urs Boller – erzählten Episoden aus dem Jubiläumsbuch. Das Publikum schmunzelte, als Pfarrer Urs Boller berichtete, wie der ehemalige Priester und Hedinger Reformator Johannes Weber, genannt Textorius, 1524 die frühere Äbtissin des luzernischen Klosters Rathausen heiratete und im Lauf der Jahre Vater von 20 Kindern wurde.
20 Kinder hat heute niemand mehr in Hedingen. Aber immerhin gibt es im Dorf viele junge Familien mit Kindern. Das zeigte sich am Sonntagmorgen, 20. Januar, in der Kirche. Der grosse «Kolibri»-Kinderchor trat fröhlich im Festgottesdienst auf. Zudem begeisterte der Gesangverein Hedingen mit Dirigentin Meret Burkhard. Dewet Moser, Kirchenpflege-Präsident von 2002 bis 2010, begleitet von Gitarrist Daniel Zürcher, sang zwei alte Schlager. Und dann sang die ganze Gemeinde das von Anette Bodenhoefer im Renaissance-Stil komponierte Jubiläumslied und man fühlte sich warm verbunden in der Gemeinschaft.
Ein Grundpfeiler der Gemeinde
«Gemeinschaft.» Dieser Begriff wird am meisten genannt, wenn man in Hedingen Frauen und Männer danach fragt, was für sie Kirche bedeutet. Zum Beispiel Kirchenpflege-Präsident Peter Ott: «Kirche als Organisation ist nötig, aber erst die Menschen machen die Kirche wertvoll. Kirche ist Gemeinschaft.» Und Gemeindepräsident Paul Schneiter: «Obwohl heute viele Leute nicht mehr in den Gottesdienst gehen und es im Dorf auch andere Religionen gibt, ist die Kirche nach wie vor ein Grundpfeiler der Gemeinde und unserer Kultur.» Eine Funktion, welche auch das Pfarrehepaar Renate und Walter Hauser betont: «Die Kirche begleitet uns in allen Lebenslagen und verkündet uns durch ihr Bestehen die Gegenwart Gottes in der Welt, das Wirken der heiligen Geistkraft und den Glauben an eine Gemeinschaft, die nicht nur von Menschen abhängt.»