Kniffliger Entscheid um Mitbestimmung

In Mettmenstetten sorgt die Totalrevision der Gemeindeordnung für Diskussionen

Neben eidgenössischen und kantonalen Vorlagen stimmt das Mettmenstetter Stimmvolk am 28. September über die vieldiskutierte Totalrevision der Gemeindeordnung ab: Blick vom «Paradies» auf Mettmenstetten. (Archivbild Daniel Vaia)
Neben eidgenössischen und kantonalen Vorlagen stimmt das Mettmenstetter Stimmvolk am 28. September über die vieldiskutierte Totalrevision der Gemeindeordnung ab: Blick vom «Paradies» auf Mettmenstetten. (Archivbild Daniel Vaia)

Mehr Effizienz, dafür weniger Mitbestimmung? Mit dieser stark vereinfachten Frage könnte man die derzeitige politische Diskussion in Mettmenstetten über die geplante Totalrevision der Gemeindeordnung umschreiben. Während ähnliche Revisionen anderenorts oft als «Papiertiger» wahrgenommen werden und wenig Beachtung finden, wird in Mettmenstetten intensiv darüber debattiert (siehe auch das nebenstehende Interview mit der Mettmenstetter Gemeindepräsidentin Vreni Spinner).

Ob die neue Gemeindeordnung gutgeheissen wird, entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Mettmenstettens am Abstimmungssonntag vom 28. September an der Urne.

Die vom Gemeinderat vorgelegte Totalrevision basiert auf der bestehenden Gemeindeordnung aus dem Jahr 2018. Die neue Gemeindeordnung unterscheidet sich von der alten im Wesentlichen in acht Punkten. Drei davon sind besonders umstritten: die Anpassung der Finanzkompetenzen, der Ausschluss vom fakultativen Referendum bei Sonderbauvorschriften und Gestaltungsplänen und die Ernennung der Sozialbehörde durch den Gemeinderat.

Allen drei Punkten gemeinsam ist: Die bisherigen Entscheidungskompetenzen sollen verschoben werden. Mal ist es der Gemeinderat, der mehr Befugnisse erhalten soll, mal die Gemeindeversammlung. Auf der anderen Seite würden die Mitentscheidungsmöglichkeiten der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entweder eingeschränkt oder verschoben – Letzteres zu Ungunsten von Urnenabstimmungen.

Letztlich geht es bei den umstrittensten Punkten der Totalrevision um die Frage: Wie viel Mitbestimmung sollen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger künftig haben? Und wie effizient sollen Gemeinderat und Behörden arbeiten können?

Während eine Informationsveranstaltung zum Thema im November 2024 noch auf mässiges Interesse gestossen war, ist in den letzten Wochen durch mehrere Leserbriefe im «Anzeiger» sowie ein Flugblatt gehörig «Stimmung» in die Vorlage gekommen. Allen voran stemmt sich die örtliche SVP gegen die Vorlage. Louis Hafner, Präsident der SVP Bonstetten, schrieb dazu kürzlich in einem Leserbrief, die Revision habe mehr Bürokratie zur Folge und einen «klaren Abbau der Volksrechte und der Demokratie». Auch die SP empfiehlt ein Nein, im Grundsatz mit ähnlichen Bedenken wie die SVP.

Erhöhte Finanzkompetenzen

Der Gemeinderat begründet die Totalrevision in der Vorlage zur Abstimmung mit der Integration der Primarschule in die Strukturen der politischen Gemeinde, der neuen Gemeindeorganisation und «neuen Handlungsfeldern», die sich seit 2018 ergeben haben.

Zu den wichtigsten Änderungen zählen die angestrebte Erhöhung der Finanzkompetenzen für den Gemeinderat, die Primarschulpflege und für die Gemeindeversammlung. Dabei wird zwischen Beträgen innerhalb und ausserhalb des Budgets entschieden (Gemeinderat und Primarschulpflege) sowie zwischen einmaligen und wiederkehrenden Ausgaben. Um ein Beispiel zu nennen: Bisher konnte der Gemeinderat bei einmaligen Ausgaben innerhalb des Budgets über Beträge bis 150000 Franken alleine entscheiden, neu soll diese Grenze auf 250000 Franken angehoben werden.

Gleichzeitig soll die Entscheidungskompetenz der Gemeindeversammlung erhöht werden. Beispiel: Während die Gemeindeversammlung bisher bei einmaligen Ausgaben über Beträge zwischen 150 000 und 2 Millionen Franken entscheiden konnte, soll diese Möglichkeit neu auf 3 Millionen ausgeweitet werden. Gleichzeitig sollen – um beim Beispiel zu bleiben – neu erst Beträge ab 3 Millionen Franken (bisher 2 Millionen) zur Abstimmung an die Urne kommen.

Mit der Verschiebung der Limiten von Urnenabstimmungen hin zu Gemeindeversammlungen beabsichtigt der Gemeinderat, gemäss Abstimmungsvorlage, «eine Aufwertung dieser wichtigen Säule unserer Demokratie, welche in den letzten Jahrzehnten einen bedauerlichen Bedeutungsverlust erfahren hat».

Der Gemeinderat begründet seinen selber als «angemessen» eingestuften Vorschlag mit der Teuerung von 8 Prozentpunkten seit 2018 sowie mit der Zunahme der Bevölkerungszahl um 13 Prozentpunkte. Zwar hätten im Bezirk Affoltern nur die Gemeinderäte von Bonstetten und Affoltern (je 300000 Franken) noch höhere Kompetenzen für einmalige Ausgaben innerhalb des Budgets, im Verhältnis zur Einwohnerzahl befinde sich Mettmenstetten aber im Mittelfeld.

«Abläufe beschleunigen»

Eine zusätzliche Verschiebung von der Urne hin zur Gemeindeversammlung möchte der Gemeinderat mit dem Ausschluss des fakultativen Referendums bei Sonderbauvorschriften und Gestaltungsplänen erreichen.

Das fakultative Referendum erlaubt es derzeit einem Drittel der Anwesenden an einer Gemeindeversammlung, dass ein Geschäft an die Urne gebracht wird. Es ist ein mächtiges Instrument, mit dem relativ kleine Gruppen von Stimmberechtigten Projekte blockieren oder verzögern können – oft zum Missfallen der Exekutive. Ohne dieses fakultative Referendum, heisst es in der Abstimmungsvorlage, könnte der Gemeinderat «Abläufe beschleunigen, die Gemeindeversammlung stärken, Kosten sparen und die Planungssicherheit für Gemeinde in Investoren erhöhen». Dem hielt vor Kurzem alt Gemeinderat Marino Marchetto in einem Leserbrief entgegen, dass oft nur wenige Stimmbürgerinnen und Stimmbürger an Gemeindeversammlungen anwesend sind. Die manchmal nur 50, 60 Personen an einer Gemeindeversammlung entsprächen nur einem Prozent der bald 6000 Einwohnerinnen und Einwohner. Daher lehne er die Vorlage ab: «Die jetzige – lasche – Regelung zusätzlich zu verwässern, dem sollte Einhalt geboten werden».

Bedenken werden auch in Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Ernennung der Sozialbehörde durch den Gemeinderat geäussert; bisher wurden die Behördenmitglieder an der Urne gewählt. Auch die geplante Abschaffung der Energie- und Verkehrskommissionen wird kritisiert. So werde die «direkte Demokratie immer mehr ausgehöhlt», schrieb die Präsidentin der SP-Ortspartei, Franziska Sykora, kürzlich in einem Leserbrief. Kommissionen seien überdies ein gutes Übungsfeld: «Die Arbeit in Kommissionen (...) ist eine exzellente Möglichkeit, in die Politik einzusteigen und zu erleben, wie Kompromissfindung in der Politik gehen kann.»

Mehr Effizienz, dafür weniger Mitbestimmung? Die Mettmenstetterinnen und Mettmenstetter haben am 28. September einen schwierigen Entscheid zu fällen.

 

 

Die Mettmenstetter Gemeindepräsidentin Vreni Spinner über die Totalrevision der Gemeindeordnung.

«Anzeiger»: Frau Spinner, die vom Gemeinderat geplante Totalrevision der Gemeindeordnung wird in einem Flugblatt und in Leserbriefen im «Anzeiger» in mehreren Punkten kritisiert und zur Ablehnung empfohlen. Der Hauptvorwurf: Die Mitsprache der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger werde eingeschränkt, es finde ein Demokratieabbau statt. Was sagen Sie dazu?

Vreni Spinner: Die Behauptung ist überzogen. Wenn die Kritiker den Vorschlag gleichzeitig auch ablehnen, weil er vielen Menschen aus der Bevölkerung die Möglichkeit zur Mitwirkung in den wichtigen Kommissionen der Gemeinde gibt, und sie stattdessen die Auflösung fast aller Kommissionen verlangen, dann ist das zumindest widersprüchlich.

Der Vorwurf des Demokratieabbaus bezieht sich auf die Wahl der Sozialbehörde durch den Gemeinderat, statt wie bisher an der Urne. Dazu muss man wissen, dass die Sozialbehörde fachliche Aufgaben wahrzunehmen hat, die sie streng vertraulich halten muss, um ihre Klienten zu schützen. Die Stimmberechtigten wissen also nicht, wer in der Sozialbehörde was leistet. Die politischen Parteien hingegen verlieren an Einfluss, um das Fachgremium nach parteipolitischen Kriterien zusammenzusetzen, das ist richtig.»

Wer als Politiker Mitsprache-Rechte ändern will, begibt sich erfahrungsgemäss auf dünnes Eis. Hat der Gemeinderat die Brisanz der Vorlage unterschätzt?

«Der Gemeinderat fühlt sich selbstverständlich dem Grundsatz der Mitsprache unserer Bevölkerung verpflichtet und will diese mit der Vorlage ausbauen. Es ist ihm deshalb ein Anliegen, mit der neuen Gemeindeordnung die Bedeutung der Gemeindeversammlung als urdemokratische Form der Debatte und Entscheidfindung zu stärken. Die Erhöhung der Finanzkompetenz kommt in erster Linie der Gemeindeversammlung zugute, sie soll von heute 2 Millionen auf 3 Millionen Franken erweitert werden.

Wir wollen auch, dass Entscheide der Gemeindeversammlung verbindlich sind, und zusätzliche Referendumsmöglichkeiten gegen ihre Entscheide beschränken. Etwa wenn wir von Privatpersonen verlangen, dass sie ihren Gestaltungsplan der Gemeindeversammlung zum Beschluss vorlegen, dann soll der Entscheid auch gelten.

Haben wir die Brisanz unterschätzt? Möglicherweise haben wir zu wenig berücksichtigt, wie viel Erklärungsbedarf die Vorlage hat. Da die Gemeindeordnung an der Urne entschieden wird, gibt es wenig Gelegenheit, diese direkt mit der Bevölkerung zu besprechen.»

Von der Allgemeinheit wird erwartet, dass Gemeinderäte und Verwaltung möglichst effizient – und natürlich auch kompetent – arbeiten. Gleichzeitig wird aber auch möglichst viel Mitsprache durch die Bürgerinnen und Bürger gewünscht. Ein Widerspruch. Wie gehen Sie damit um?

«Gerade deshalb ist eine funktionierende Gemeindeordnung auch so wichtig. Mettmenstetten hat die politische und die Schulgemeinde in einer Einheitsgemeinde zusammengelegt, aber einiges eben nur halbherzig, vielleicht aus falsch verstandener Rücksicht auf Besitzstände und «Gärtchen». Das wurde zu Recht kritisiert. Wenn wir etwa den Hausdienst der Schule und denjenigen der übrigen Gemeindeliegenschaften in der neuen Gemeindeordnung zusammenlegen, erhöht das nicht nur die Effizienz und Kompetenz der Verwaltung. Es gibt den Bürgerinnen und Bürgern auch die Gewissheit, dass den Behörden eine professionelle Verwaltungsführung am Herzen liegt. Die Mitsprache der Bevölkerung sehe ich nicht im Widerspruch dazu: So etwa führen wir regelmässig Infoanlässe oder Online-Umfragen durch, um allen Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben. Und deshalb auch die Bedeutung der Kommissionen – wir wollen, dass diese auf Augenhöhe mitreden können. Reine Pro-forma-Gremien ohne klare Aufgaben haben wir gestrichen.»

Angenommen, die Teilrevision der Gemeindeordnung wird am 28. September an der Urne abgelehnt, wie geht es dann weiter?

«Dann gilt die bisherige Gemeindeordnung weiterhin. Bis zum Ende der Legislatur nächsten Sommer wird der Gemeinderat keine neue Vorlage ausarbeiten. Der Reformbedarf wird aber nicht verschwinden. Man wird halt von Fall zu Fall eine Lösung finden müssen.»

Interview Daniel Vaia

Das Interview wurde schriftlich geführt

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