Kurzer Geschwindigkeitsrausch – langes Verfahren
Obergericht reduziert Strafen für Cannon-Run-Raser auf der A4

Sie rasen mit ihren teuren Boliden immer wieder quer durch Europa – auch jene 40 Briten, die sich im Juni 2017 am sogenannten «Cannon Run 3000» beteiligten, der von Grossbritannien nach Monaco führte. Den Zielort am Mittelmeer erreichten drei Männer, davon zwei mit ihren beiden Nissan-GT-R, nicht. Ihren «Ausflug» stoppte die Kantonspolizei auf der A4, nachdem sie durch den Islisbergtunnel rasten, danach auf bis 188 km/h beschleunigten, Abstandsvorschriften (eine Sekunde) und weitere Verkehrsregeln missachtet hatten. Zuvor überfuhren die Männer beim Brüttisellerkreuz eine Sperrfläche. Die Staatsanwaltschaft taxierte das als hochriskante Fahrweise, sprach von vorsätzlichem Handeln und forderte Freiheitsstrafen von jeweils 15 Monaten.
Die heute 56- und 52-jährigen Männer verbrachten hernach 89 Tage in U-Haft – eine Massnahme, die sie hart getroffen hat – wie sie im Frühjahr 2022 vor Bezirksgericht Affoltern offenbarten. Der eine, ein Direktor, sagte damals, sein Leben sei dadurch ruiniert. Der andere, ein selbstständiger Geschäftsmann, klagte unter Tränen über verlorene Aufträge sowie Schlafstörungen und psychische Probleme. Für den einen fiel sein Geburtstag in die Zeit der U-Haft und auch die Hochzeit seiner Tochter musste verschoben werden. Das Bezirksgericht verurteilte die beiden Männer wegen qualifiziert grober Verletzung von Verkehrsregeln im Mai 2022 zu zwölf Monaten Gefängnis auf Bewährung – bei einer Probezeit von zwei Jahren (der «Anzeiger» hat darüber berichtet). Der dritte Fahrer wurde in einem separaten Verfahren abgeurteilt. Die Verteidiger legten Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein.
«Völlig überrissenes Vorgehen»
Die beiden Briten wurden diese Woche von der Verhandlung am Obergericht dispensiert, weil das gemäss Verhandlungsleiter Beat Gut zu aufwendig gewesen wäre. Auch der Staatsanwalt war nicht im Saal. Die beiden Verteidiger verlangten Freisprüche vom Vorwurf der qualifiziert groben Verletzung von Verkehrsregeln und Genugtuung, für den einen 300 Franken pro U-Haft-Tag wegen massiver Rechtsverzögerung und zusätzlich 5000 Franken Genugtuung. Sie kritisierten die Staatsanwaltschaft scharf, sprachen einem unverhältnismässigen, völlig überrissenen Vorgehen – und sogar von Beugehaft, die dem Erpressen eines Geständnisses diene und eine schwere Rechtsverletzung darstelle. «Es sind zwei unbescholtene Bürger, die noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind», sagte der eine Anwalt. Er sprach in diesem Zusammenhang abermals von den immensen psychischen Belastungen – und davon, dass die Namen der Männer in der englischen Presse genannt wurden, mitsamt Fotos.
Mit Blick auf die mehrjährige Verfahrensdauer ist in den Augen der Verteidiger das Beschleunigungsgebot verletzt worden. So habe es allein drei Jahre gedauert, ehe die Staatsanwaltschaft Anklage erhob. «Man hätte das per Strafbefehl und Geldstrafe schnell erledigen können», so die Verteidigung. Die einen Vergehen – etwa die Sperrflächen-Befahrung am Brüttisellerkreuz – seien zudem verjährt. Ein illegales Rennen habe nicht stattgefunden. Es handle sich hier um «leichtere Verkehrsdelikte ohne Handlungseinheit», argumentierte die Verteidigung. Im Zentrum der Kritik stand auch das Gutachten des Forensischen Instituts, dazu der fehlende Zeitstempel. Die Geschwindigkeit von 188 km/h sei nie erreicht worden, sondern maximal 157 km/h – und das während kurzer Zeit. Dieses Gutachten, die Auslesung der Daten, sei von einem externen Nissan-Techniker erstellt worden, der von der Verteidigung nicht befragt werden konnte. Deshalb sei es nicht verwertbar, auch weil der Techniker nicht von den Strafverfolgungsbehörden eingesetzt worden sei. Das wertet die Verteidigung unter Berufung auf das Bundesgericht als Verstoss gegen das Delegationsverbot. «Es ist ein Potpourri an Faktoren, die nicht zutreffen», fasste ein Verteidiger zusammen.
Gutachten rechtens
Das Obergericht stellt das Verfahren, die Verletzung von Verkehrsregeln beim Brüttisellerkreuz wegen Verjährung ein. Die Männer sind aber schuldig wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln. Wegen Verletzung des Beschleunigungsgebots und weil das Verfahren so lange gedauert hat, wird die Gefängnisstrafe – bei zweijähriger Probezeit – um vier auf acht Monate reduziert. Entschädigungen erhalten die beiden Männer nicht.
Das Gutachten sei aber rechtens, die Videoaufnahmen verwertbar, beschied der Verhandlungsleiter. Das Auslesen der Daten sei eine einfache Sache, die eine «technische Hilfsperson» vornehmen könne und keiner besonderen Vorschriften bedürfe. Bei der langen U-Haft habe es zwar Bedenken gegeben, was aber für das Urteil keine Rolle gespielt habe. Auf die Beschuldigten sei – so gehe aus Vernehmungsprotokollen hervor – kein übermässiger Druck ausgeübt worden. Mit so stark übersetzter Geschwindigkeit im dichten Pfingstverkehr durch den Islisbergtunnel und auf nicht gerader Strecke rasen sei allerdings keine Bagatelle. Aber der Rasertatbestand liege im unteren Bereich, so der Verhandlungsleiter.
Urteil SB 220 646 und SB 220 647 vom 6. Februar 2024, noch nicht rechtskräftig
«Es ist ein Potpourrian Faktoren,die nicht zutreffen.»
Ein Verteidiger
Nach den Islisbergtunnel beschleunigten die Cannon-Run-Fahrer auf bis 188 km/h. Kurz danach wurden sie von der Polizei gestoppt. (Bild Werner Schneiter)