«Lamm - ein himmlischer Genuss»
Gedanken zum Karfreitag von Pfarrer Jürgen Schultz

Ob als ganze Keule, als Rollbraten oder Steaks, Lammgigot ist das klassische Ostergericht! «Das Fleisch von den jungen Milchlämmern ist besonders zart und schmeckt sowohl aus dem Ofen als auch vom Grill wunderbar aromatisch.» Solche und ähnliche Verlockungen wurden uns in dieser Woche in den Medien präsentiert. Kein Geschäft ohne Hase und ohne Küken, keine Werbung ohne den Hinweis auf einen saftigen Lammbraten.
Das Lamm: Ein Bild, das immer wieder einmal – vor allem in der Passionszeit – auftaucht. In den Kirchen ist es das Bild von Christus als Lamm. Da singen wir in unsern Gottesdiensten mit Abendmahl oder Eucharistie das «Agnus Dei»: «Christe Du Lamm Gottes, der Du trägst die Sünd’ der Welt, erbarme Dich unser!» – «Lamm Gottes», wie lässt sich das deuten?
Der Hintergrund
Der biblische Hintergrund dieses Bildes führt zurück in graue Vorzeiten, in die Frühzeit Israels, in der die Menschen ihre Angst vor allen möglichen Gefahren – auch vor der Strafe Gottes für Sünde und Schuld – mit Opfern bekämpften. Dann wurde ein Stier oder ein Kalb, ein Ziegenbock, ein Schaf, ein Lamm oder wenigstens eine Taube geschlachtet und auf dem Altar verbrannt: Das Leben eines wertvollen Tieres also war der Ersatz für das eigene Leben, das der Strafe verfallen war.
Im Passahopfer wurde ein Lamm geschlachtet und mit dem Blut des Lammes wurde der Eingang des Zeltes bestrichen. Ein uralter Brauch, der an den gefährlichen Zeitpunkt des Aufbruchs aus Ägypten Gefahren abwenden sollte. Das Passahlamm war ein Zeichen für die Befreiung aus der Gefangenschaft damals in Ägypten – und später aus allen weiteren Gefahren.
Ein Mensch im Dienste Gottes
Mit der Zeit keimte die Vorstellung, dass es vielleicht doch ungenügend ist, menschliches Leben durch das Leben eines Tieres zu ersetzen. Und es wuchs die Hoffnung auf einen Menschen wie ein Lamm, einen, der sich in den Dienst Gottes ganz und gar hingibt, unscheinbar und elend.
Beim Propheten Jesaja heisst die berühmte Vision über den Messias, der erwartet wurde: «Fürwahr, er lud auf sich unsere Schmerzen, er ist um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten (Jesaja 53). Im Neuen Testament – am Anfang des Johannesevangeliums – weist der Täufer auf Jesus hin und sagt: Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.
Jesus selbst nimmt bei der letzten Mahlzeit mit seinen Jüngern – die Reste des geschlachteten Lammes stehen wohl noch auf dem Tisch – einen Kelch mit Wein in die Hand und sagt: «Nehmt und trinkt alle daraus, dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch und viele vergossen wird zur Vergebung der Sünde.»
Jesu Tod – Preis unserer Erlösung?
Jesu Tod, sein Sterben am Kreuz, ist also der Preis unserer Erlösung, unserer Befreiung. So muss man wohl das alte Bild vom Opferlamm verstehen! Aber können wir es wirklich verstehen? Ich frage mich: Was ist das eigentlich für ein Gott, für den Blut fliessen muss?
Und wenn er nicht die Menschen straft für Sünde und Schuld, sondern den Einen für uns alle? Was ist das für ein schrecklicher Gott? Braucht Gott das Blut Jesu etwa, um uns reinwaschen zu können von unsern Sünden? Nein: Blut wäscht nicht rein, Blut beschmiert!
Oder soll der Tote am Kreuz den Preis für unsere Schuld bezahlen, damit Vergebung möglich wird? Ein Gott – voller Zorn auf die Menschen – muss mit einem blutigen Menschenopfer versöhnt und ruhiggestellt werden? Gott ist kein Seelenkrämer, kein Sündenkrämer, dessen Vergebung nur gegen hohen Blutpreis erhältlich ist. Auch kein Gesetzestüftler, der auf Genugtuung pocht, damit seine Vergebung formales Recht erfüllt. Nein, so kann der Gott nicht sein, der Mensch geworden ist!
Ein neues Gottesbild
Es liegt auf der Hand: Der Tod Jesu war für seine Freunde und Jünger ein schockierendes Ereignis. Und wer schockiert ist, sucht Erklärungen. So kam man nach seinem Tod auf den Gedanken: Jesus hat sich geopfert und damit Gott und Mensch versöhnt.
Nur, Gott war auch schon vor dem vermeintlichen Opfertod Jesu ein gnädiger Gott! Er hat ganz und gar keinen Gefallen am Tod Jesu. Im Gegenteil, er leidet, es schmerzt, es quält ihn. Und Er handelt! Am dritten Tag besiegt er den Tod und Leben wird stärker als das Opfer. Das ist für mich die tiefste Kraft des christlichen Glaubens!
Ich will Sie für das Gottesbild ermutigen, so wie Jesus vom himmlischen Vater und Seiner Vergebung etwa im Gleichnis von den zwei Söhnen redet: Voller Erbarmen, auch voller Freude, eilt da ein Vater seinem «verlorenen» Sohn entgegen. Er umarmt ihn, küsst ihn und bereitet dem Heimgekehrten ein freudiges Fest.
Kein Opferritus, kein Rechts- oder sonstiger Handel! Nein: Vergebung, schnörkellos, freudig! Gnade, gratia, grazie, gratis! Umkehr und Heimkehr genügen: Dir sind deine Sünden vergeben! Es scheint, auch ein Karfreitag hat nur 24 Stunden – und das ist nun wirklich ein himmlischer Genuss!