Leben mit einem Schmetterlingskind
Pflegealltag am Limit – wenn sich Familien alleingelassen fühlen

Amir kam am 1. Dezember 2022 zur Welt, zu früh und per Kaiserschnitt. Er erhielt die Diagnose Epidermolysis bullosa dystrophica. Von diesem Moment an war alles anders im Leben der dreifachen, berufstätigen Mutter Pamela Painda. Die seltene Erbkrankheit Epidermolysis bullosa ist eine angeborene, folgenschwere und zurzeit unheilbare Hauterkrankung. Umgangssprachlich werden die Betroffenen «Schmetterlingskinder» genannt, weil die Haut sinnbildlich so verletzlich ist wie die Flügel eines Schmetterlings. Diese Kinder brauchen sieben Tage pro Woche stete Pflege und Aufmerksamkeit.
Pamela Painda hat ihre Arbeit verloren, ihre Ehe ist zerbrochen und sie steht oft am Ende ihrer Kräfte. Sie ist eine starke Frau. Sie hat alles in Bewegung gesetzt, um professionelle Hilfe zu bekommen. Und sie hat es geschafft, weitere engagierte Fachpersonen für einen Informationsanlass zu Schmetterlingskindern am vergangenen Mittwochnachmittag in der Kinder-Reha in Affoltern zu gewinnen.
Vortrag der Präsidentin von Debra Schweiz
Den Anlass eröffnete das Referat der Präsidentin von Debra Schweiz und Mutter eines EB-Kindes, Tatjana Jurkic. Debra Schweiz ist die Patientenorganisation für Menschen, die mit Epidermolysis bullosa leben. Mit ihrem Vortrag «Stimme der Schmetterlingskinder: Lücken erkennen – Lösungen schaffen» sensibilisierte sie die Zuhörenden für die verschiedenen Formen der Krankheit und die Wirkungen auf die ganze Familie.
Epidermolysis bullosa, kurz EB, ist ein angeborener Gendefekt. Rund 200 Menschen leben mit der unheilbaren Krankheit in der Schweiz. Leicht verständlich beschrieb sie Auswirkungen der Krankheit. Die Haut von Menschen mit EB ist sehr verletzlich und schon geringste mechanische Belastungen führen zu Blasenbildung und grossen, schmerzhaften Wunden. Bei EB sind häufig auch die Schleimhäute oder andere Organe betroffen. So können Wunden in den Augen, im Mund, in der Speiseröhre oder im Magen-Darm-Trakt auftreten. Mögliche Folgen bei Epidermolysis bullosa dystrophica: Versteifung der Gelenke, Zusammenwachsen von Fingern und Zehen, Zusammenziehen der Mundschleimhäute, Verengung der Speiseröhre und Blasenbildung in den Augen. Tatjana Jurkic sprach über die tägliche Behandlung: «Blasen müssen entleert und Wunden fachgerecht verbunden werden, um die Haut vor Reibung und Wunden zu schützen. In schweren Fällen dauert das tägliche Verbinden Stunden und ist sehr schmerzhaft.»
Auch die Mutter von Amir kam zu Wort
Bereits die Ausführungen von Tatjana Jurkic machten die Zuhörerschaft betroffen. Zu Herzen ging auch die grosse Liebe, welche die Mutter Pamela Painda mit dem Kind mit der schweren Krankheit verbindet. Die Betroffenheit verstärkte sich mit dem Referat von Pamela Painda, die im Knonauer Amt lebt. Unter dem Titel «Unsichtbare Arbeit – sichtbare Folgen: (Pflege-)Alltag zwischen Fürsorge und Ungerechtigkeit» erzählte sie von den ersten drei Lebensjahren von Amir, von ihrer verzweifelten, endlosen Suche nach Hilfe und Unterstützung. Sie fühlte sich oft alleingelassen, von Institutionen weitergeschoben, unverstanden. Sie erzählte von der Care-Arbeit, die sie weitgehend allein erledigte. Da die Krankheit so selten ist, wird beispielsweise Pflegefachpersonen das Verbinden von Verletzungen bei Epidermolysis bullosa, das hohe fachliche Anforderungen stellt, in der Ausbildung nicht vermittelt. Pamela Painda sah sich im Kontakt mit Pflegenden selbst bald als Expertin. Sie fühlte sich «durchs System gefallen». Hilfe fand Pamela Painda schliesslich bei der Familienspitex. «Begleiten, entlasten, stärken», darin sieht die Juristin Marisa Steiner die Hauptaufgabe ihrer Organisation. «Pflegende Angehörige brauchen Lohn für ihre Care-Arbeit, Anerkennung, Pflegeberatung und Rechtsberatung.» Neben der pflegerischen Arbeit kommen auf betroffene Eltern unter anderen folgende Herausforderungen zu: IV-Anmeldung, Anträge auf Hilflosenentschädigung, Assistenzbeiträge und Ergänzungsleistungen. Es braucht Hilfe bei den Ansprüchen gegenüber der Krankenkasse. Die Liste ist lang. Weitere Themen sind die Finanzierung der Betreuung und Rechte gegenüber Vermietern und Arbeitgebern. Zusammenfassend meint sie: «Es gibt bereits viele Anlaufstellen, Hilfswerke und -gefässe … Aber die Relevanten zu finden, ist eine Kunst.» Marisa Steiner erläuterte die Begleitung von Pamela Painda durch den leidvollen Prozess des Findens von Unterstützung. Die Familienspitex ist aus jahrelanger beruflicher und persönlicher Erfahrung in der Betreuung von Familienmitgliedern entstanden. Das Team, bestehend aus medizinischen, pflegerischen und juristischen Fachpersonen, ist umfassend für Angehörige da. Die Organisation engagiert sich auch für Familien mit autistischen Kindern.
Optimale Autonomie und bestmögliche Unterstützung
In ihrem Vortrag «Familiäre Autonomie und fachliche Begleitung: Ein Erfahrungsbericht aus der Physiotherapie bei einem Kind mit Epidermolysis bullosa» zeigte Petra Marsico das Spannungsfeld zwischen optimaler Autonomie von betroffenen Familien und bestmöglicher Unterstützung durch Fachpersonen auf.
Sie erzählte liebevoll von ihrer persönlichen Betroffenheit in ihrer Arbeit mit Amir. Besonders viel Spass macht ihr und Amir das Bewegen im warmen Wasser im Schwimmbad. Jede Zeit, die der Kleine trotz seiner Krankheit glücklich erleben kann, ist wunderbar. Auch für Mutter Pamela Painda, die sich in der Zeit, in der Amir fachkundig betreut wird, ihren beiden anderen Kindern widmen – oder sich auch mal kurz erholen kann.
Die Vorträge der vier Frauen zeigten feinfühlig auf, was es für kleine Patienten und ihre Familien bedeutet, wenn sie in ihrer manchmal hoffnungslos scheinenden Lage kompetente Hilfe erhalten. Pamela Painda hat Hilfe bei Institutionen, vor allem bei hochkompetenten Fachpersonen mit viel Feingefühl, gefunden. Auch wenn der Weg lang und schwierig war, hat sie nicht aufgegeben und ist den Referentinnen von Debra Schweiz, der Familienspitex und der Rehaklinik Schweiz sehr dankbar. Es ist ihr ein Anliegen, dass auch die Öffentlichkeit die Situation von Eltern mit Kindern, die viel Pflege benötigen, wahrnimmt und versteht.
Informationen: www.schmetterlingskinder.ch, www.familienspitex.ch, www.kispi.uzh.ch/kinder-reha


