Lebensspuren im Exil – in Form von Gedichten
Lyrik von Helena Aeschbacher-Sinecká

Helena Aeschbacher trieb als junge Frau intensiv Sport, studierte und widersetzte sich den politischen Zwängen des Regimes in Tschechien, nach dem Prager Frühling, der 1968 mit dem Einmarsch russischer Truppen ein Ende fand. «Damals hatte ich Hoffnungen, die aber zerschlagen wurden», erzählt sie. Sie betätigte sich im Widerstand, sagte ihre Meinung. Als Folge wurden ihre beruflichen Ziele und Wünsche zunichte gemacht. Am 13. August 1973 hatte sie die Möglichkeit, als Spitzensportlerin bei einem Wettkampf in Zürich zu fliehen.
50 Jahre lebt sie nun in der Schweiz, ab 1992 im Kloster Kappel, seit 2017 im Senevita Obstgarten in Affoltern.
Haiku
Die Sehnsucht nach Heimat prägte ihr Leben und ihr Schaffen in Form von Sprache, Darstellender Kunst und Fotografie. Mit zunehmendem Alter formuliert sie dichter und knapper: In der strengen Form des Haiku. Ein Haiku ist eine kurze Gedichtform aus Japan. Im Deutschen werden Haiku meist dreizeilig, mit insgesamt siebzehn Silben formuliert. Die erste Zeile hat fünf, die zweite sieben und die dritte fünf Silben. Haiku haben im Allgemeinen etwas mit der Natur zu tun. Ihre Schlichtheit spricht Menschen weltweit an.
Haiku sind konkret und stehen in Bezug zur Gegenwart. Typisch sind die nicht abgeschlossenen, offenen Texte, die sich erst im Erleben der Lesenden vervollständigen. Im Text wird nicht alles gesagt. Gefühle werden nur selten benannt. Sie sollen sich erst durch die aufgeführten konkreten Dinge und den Zusammenhang manifestieren.
Bereits die frühen Gedichte von Helena Aeschbacher-Sinecká fordern Zeit. Zeit, sich einzulassen, nachzufühlen, zu fragen, zu antworten, aus ihnen zu schöpfen. Haiku verlangen dem Lesenden noch mehr ab. Mit den engen Vorgaben auch dem Schreibenden. «Versteh mich nicht so schnell» war der Titel eines Buches zum Arbeiten mit Gedichten mit Kindern. Für die Gedichte von Helena Aeschbacher-Sinecká gilt dies auch, mit dem Zusatz: «Und lass dich darauf ein.» Colette Fehlmann, Bibliothekarin in der Regionalbibliothek Affoltern, schätzt die Lyrik von Helena Aeschbacher-Sinecká und meint: «Die Gedichte sind von hoher Qualität und Intensität, souverän in ihrer knappen Form.»
Blau
50 Lebensjahre im Exil sind eine lange Zeit. Mit ihren Werken legt Helena Aeschbacher-Sinecká Spuren. Persönliche Spuren, gesellschaftliche Spuren. Ihr erster Lyrikband «Am Rande der tiefen Schlucht» erschien 1987 mit einem sanft-gelben Cover – weitere neun Publikationen in Blau – oder graublau. Blau ist die Farbe des Wassers: Auch der Lebensstationen Elbe – Moldau – Limmat – Kappeler Klosterweiher.
«Eisbilder» lautet der Titel eines Buches, das neben Gedichten kunstvolle Fotos des gefrorenen Teiches beim Kloster Kappel zeigt, der eines anderen «Spiegelbilder». Die meist kurzen, reimlosen Texte sind Wort gewordene Bilder, die zur Meditation einladen. Blau erscheint auch der Bildband mit Gedichten, dessen Sujet ein kleines Häuschen ist: Einsiedelei. Farbe und Bilder implizieren Einsamkeit. Blau ist die Farbe der Tiefe, des Unbewussten, der Sehnsucht, der Kälte und der Klarheit. Blau ist auch die Farbe der Traurigkeit und der Melancholie. Auf Deutsch bedeutet der englische Ausdruck «feeling blue» «traurig sein». Diese Traurigkeit kommt in den Gedichten aber nicht bodenlos daher. Die Künstlerin stellt sich auf Brücken, zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Kulturen – doch auf Brücken ist es schwierig, Wurzeln zu schlagen.
Das Buch «Herbstzeit» erschien zweisprachig, deutsch und tschechisch, 1991 bei Polygon. Zuletzt erschienen ist 2021 das Werk «Träume» mit Gedichten und Aquarellen.
Anerkennung auch in Tschechien
Im Frühjahr 2005 präsentierte die Zentralbibliothek Zürich Fotos und Texte der Künstlerin, die sie von ihr als Schenkung angenommen hatte. Im November 2015 überreichte ihr der tschechische Botschafter Karel Boruvka im Kloster Kappel im Namen des tschechischen Kultusministers den Kulturpreis «Artis Bohemiae Amicis». «Helena Aeschbacher-Sinecká ist eine Frau mit mehreren Leben, mit vielen Fähigkeiten und viel Kraft», so beschrieb er die Künstlerin. In Prag wird ihr Werk im September 2023 mit einem Anlass geehrt. Parallel dazu werden in tschechischen Medien Berichte über ihr Leben und ihr Werk erscheinen.
Gedichte schreiben ist eine Herausforderung. Gedichte soll man weder zerreden noch zerschreiben. Sondern die Gedichte selbst zu Wort kommen lassen. Ein Gedicht kommt so vielfältig an, wie es von Personen gelesen wird. Man kann die Gedichte von Helena Aeschbacher-Sinecká nicht lesen, ohne berührt zu werden. Berührung, die bewegt, etwas Individuelles mit einem macht, emotional. In dem man sich wiederfindet. Klug ist der Satz: Ich wünsche dir ab und zu ein Gedicht, das dich versteht.
Alle Werke sind in der Regionalbibliothek Affoltern ausleihbar, einige in der Buchhandlung Scheidegger auch noch zu erwerben.