Lesung, Gespräche und Austausch
Corinne Rufli fand in der Buchhandlung Scheidegger in Affoltern Worte mit und für Frauen.

Rund 70 Frauen und ein paar Männer folgten am vergangenen Mittwoch der Einladung der Buchhandlung Scheidegger zur Lesung von Corinne Rufli aus ihrem Buch «Seit dieser Nacht war ich wie verzaubert». Die Historikerin und freie Journalistin hat ihre Lizenziatsarbeit am Historischen Seminar der Universität Zürich zu einem Buch ausgeweitet. Sie gibt darin elf Frauen über 70 eine Stimme und ein Gesicht.
Im Zentrum das Gespräch
Der Anlass in der Buchhandlung lag ganz und gar in Frauenhand: Buchhändlerin Annette Markwalder präsentierte die Autorin nicht mit ein paar einführenden, lobenden Worten – wie gewöhnlich bei solchen Anlässen – sondern führte mit Corinne Rufli ein kurzes, informatives Gespräch – das die üblichen Fragen aus dem Publikum bereits zu Beginn beantwortete. Man wusste: Corinne Rufli lässt Frauen erzählen, wie sie ihre Beziehungen in der bürgerlichen Enge der Schweiz gestalteten, wie sie einen Mann heirateten oder sich in eine Frau verliebten und wie sie heute leben. Corinne Rufli las dann Texte aus ihrer Biografie-Sammlung. Sie setzte Blitzlichter auf das Leben von zwei sehr unterschiedlichen Frauen. Damit zeigte sie, wie leicht sie ihren Sprachstil den porträtierten Frauen anpassen kann.
Offen und diskret
Sehr authentisch konnten die Besucherinnen dann das selbstbewusste Paar Eva Schweizer und Karin Rüegg, zwei der elf porträtierten Frauen, erleben. Corinne Rufli gab ihnen achtsam und respektvoll Raum. Im Wechsel erzählten sie aus ihrem Leben vor und nach der Zeit, als sie sich lieben gelernt hatten. Die beiden Frauen fanden eine faszinierende Art, mit grosser Offenheit das preiszugeben, was sie wollten, aber auch, das nicht zu sagen, was ihr Geheimnis bleiben sollte. Beide können sich sprachlich extrem bewusst, treffend und auch emotional ausdrücken. Vielleicht könnte man einwenden, dass zu rosa berichtet wurde. Wer aber genau zuhörte, wie beispielsweise Eva Schweizer in einem Satz, so nebenbei erwähnte, dass es sehr schmerzhaft war, ihre Kinder bei ihrem Ex-Mann zu lassen, ahnte auch, dass ein Leben als «Frauen liebende Frau» vor allem im letzten Jahrhundert noch nicht einfach war. Oder wie sie mit echter Betroffenheit formulierte: «Mein Mann hat nie eine echte Chance gehabt», liess erahnen, dass auch lesbische Beziehungen in mehreren Systemen verankert sind – und dass genau das nicht einfach ist, oft für alle Betroffenen.
Toleranz für Vielfältigkeit
Warum setzt sich jemand dem aus, vor so vielen Zuhörern aus dem privaten Leben zu berichten? Corinne Rufli, Eva Schweizer und Karin Rüegg sind überzeugt, dass es noch immer notwendig ist, das Thema «gleichgeschlechtliche Liebe» auf den Tisch zu bringen und offen zu diskutieren. Damit wollen sie den Weg ebnen, dass sich junge Frauen in ihrer individuellen Geschlechtlichkeit bewusst wahrnehmen und dieser Selbstwahrnehmung vertrauen.
Die Geschichten der elf Frauen im Buch sind voller Lebenslust – berührend und manchmal ziemlich frechmutig in einem guten Sinn. Sie zeigen aber auch, wie Frauen ausgegrenzt wurden, die weder dem Ideal als Mutter noch als Ehefrau genügen konnten und wollten.
Der Anlass war nicht ein «Insideranlass für Lesben» – er war ein Plädoyer, dass möglichst alle Menschen mit der ganzen Palette von Lebenskonzepten ihre eigene Persönlichkeit leben können sollen. Dass Menschen in ihrer ganzen Vielfalt grundsätzlich in Ordnung sind – und keinesfalls mangelhaft oder defekt.