«Lilienberg»-Untersuchung: Mängel, aber keine groben Fehler

Frühere Missstände sind behoben, aber hohe Belegung ist geblieben

Wegen der grossen Zahl neuer Asylsuchender weiter stark belegt: das MNA-Zentrum Lilienberg in Affoltern. (Bild Daniel Vaia)

Eine deutliche Überbelegung mit Flüchtlingen, mangelhafte Betreuung, verlotterte Infrastruktur, organisatorische Missstände: Im Sommer 2022 geriet das kantonale Asylzentrum für Jugendliche «Lilienberg» in Affoltern schweizweit in die Schlagzeilen. Nach einer noch im selben Jahr erfolgten ausserordentlichen Betriebsprüfung und aufgrund von Sofortmassnahmen hat sich seither aber manches verbessert.

Fehler in den Führungsebenen

Doch wie konnte zu den damaligen Missständen kommen – in einer Einrichtung, die im Auftrag des Kantons Zürich von der Asylorganisation Zürich (AOZ) betrieben wird, welche der Stadt Zürich angegliedert ist? Wie konnte die Situation in dem auf minderjährige, unbegleitete Asylsuchende (Mineurs non accompagnés, MNA) spezialisierten Zentrum derart entgleisen? Gemäss einer vergangene Woche vom Zürcher Stadtrat veröffentlichten externen Untersuchung waren dafür in erster Linie Fehler auf den Führungsebenen ursächlich.

So stellt der mit der Untersuchung beauftragte Prof. Dr. Felix Uhlmann fest: «Im Rückblick muss festgehalten werden, dass sowohl die Geschäftsleitung wie auch der Verwaltungsrat die negative Dynamik im MNA-Bereich im Allgemeinen und auf dem ‹Lilienberg› im Speziellen unterschätzten.» Konkret, so Uhlmann, habe es an der Übersicht über die Probleme gefehlt: knappe Ressourcen, ungünstiger Vertrag und Haltung des Kantons, Unzufriedenheit der Mitarbeitenden und Abgänge. Dazu seien äussere, nicht beeinflussbare Faktoren gekommen, welche die Probleme verschärften: die stark steigenden Flüchtlingszahlen, die Covid-19-Pandemie, der Ukraine-Krieg.

Die Kritik von aussen an den Missständen im Zentrum Lilienberg hätte die negative Entwicklung schliesslich noch verschärft, so der Bericht weiter. Die Kritik nicht nur von der politisch rechten Seite, sondern auch von der linken habe das Selbstverständnis der AOZ infrage gestellt. Wegen des zunehmend schlechten Rufs des «Lilienbergs» sei die «ohnehin schwierige Suche nach qualifiziertem Personal noch schwieriger» geworden.

Personelle Massnahmen bleiben aus

Uhlmann empfiehlt im 176-seitigen Untersuchungsbericht, auf «personalrechtliche Massnahmen zu verzichten». Zudem rät er zu mehr Dialog zwischen den involvierten Stellen: der AOZ, dem Kanton Zürich, der Stadt Zürich und Dritten. Und: «Die AOZ muss ihre Fehlerkultur verbessern.» Zudem sollten Stadt und AOZ die Rolle (Mitverantwortung) des Sozialdepartements in der AOZ weiter klären. Uhlmann erwähnt in diesem Zusammenhang «Spannungen im Verwaltungsrat zwischen dem Präsidenten und dem Vorsteher des Sozialdepartements».

Die Stadt Zürich – als Eigentümerin der AOZ für die damaligen schwerwiegenden Mängel mitverantwortlich – betonte letzte Woche in einer Medienmitteilung zum Untersuchungsbericht: Es seien «kein grobes Fehlverhalten oder gar strafbare Handlungen» festgestellt worden, und genauso wenig seien «personalrechtliche Massnahmen» empfohlen worden.

Die Zürcher Stadträtin Simone Brander (SP), welche die Administrativuntersuchung leitete, unterstrich in der Medienmitteilung, dass die Untersuchung die Verhältnisse im Sommer 2022 beleuchtet habe. «Heute ist die Situation im Zentrum Lilienberg eine andere und die MNA können gemäss Aussage der verantwortlichen Personen entsprechend den massgeblichen Standards versorgt und betreut werden.»

Dazu beigetragen hat eine deutliche Aufstockung der Stellenprozente, von 2500 auf 3700 (entspricht 37 Vollzeitstellen), verteilt auf 45 Personen. Zudem wurden rund 200000 Franken in bauliche Massnahmen investiert (unter anderem in den Bereichen Küche und sanitäre Anlagen). Und es wurde Platz geschaffen, in dem die Jugendlichen seither nicht mehr vor Ort geschult werden, sondern neu mitten in Affoltern, im Westflügel der Schulanlage Ennetgraben. Dort unterrichten Lehrkräfte in sieben altersdurchmischten Aufnahmeklassen jeweils sieben bis acht Schüler.

Beruhigt hat sich die Situation auch aus polizeilicher Sicht. Die polizeilichen Interventionen hätten zuletzt abgenommen, teilt die Kantonspolizei Zürich mit. Im langjährigen Schnitt habe man rund zwei Einsätze pro Monat verzeichnet. In mehr als der Hälfte dieser Einsätze sei es dabei um Meldungen des Zentrums gegangen, dass «Bewohner abgängig» seien.

Immer mehr Minderjährige

Nichts geändert hat sich indes an der vor zwei Jahren hohen Belegung des «Lilienbergs». Nach wie vor leben im Zentrum 80 bis 90 Jugendliche, wie Martin Reichlin, Leiter Unternehmenskommunikation AOZ, auf Anfrage erklärt. Allerdings seien heute alle in Zwei- oder in Ausnahmefällen in Dreibettzimmern untergebracht, und nicht mehr in Viererzimmern. Die hohe Belegung, die weit entfernt ist vom Belegungsziel von 60 Personen, begründet Reichlin mit der anhaltend grossen Zahl von neuen Asylsuchenden. Selbst die Eröffnung mehrerer neuer Wohngruppen seit 2022 in der Stadt Zürich und der Ausbau der Unterbringungsplätze um 86 Prozent (Ende 2023: 437 Plätze) habe die Situation nicht entschärfen können. Und der Druck dürfte hoch bleiben. Aufgrund der Prognosen des Bundes rechne man bei der AOZ auch für dieses Jahr «mit einer hohen Zahl von jugendlichen Klienten», so Reichlin.

Wie angespannt die Situation ist, lassen auch die aktuellen, schweizweiten Zahlen zu den Asylgesuchen von unbegleiteten Minderjährigen (MNA) vermuten: Sie stiegen laut Staatssekretariat für Migration von 2022 bis 2023 erneut massiv an, um 33 Prozent. In Zahlen: von 2450 auf 3271 Personen. Mit grossem Abstand stammen die meisten Jugendlichen aus Afghanistan (2246), gefolgt von Guinea (130) und Somalia (128). Mittlerweile stammen fast 10,8 Prozent aller Asylgesuche von MNA; 2021 lag der Anteil noch bei 6,6 Prozent.

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