Mehr familienrechtliche Streitigkeiten – mehr Zwangsmassnahmen
Mehr familienrechtliche Streitigkeiten bedeuten eine höhere Belastung bei Zwangsmassnahmen im strafrechtlichen Bereich: Die Arbeitsbelastung am Bezirksgericht Affoltern ist auch nach Erhöhung der Richterpensen anhaltend hoch.

19 Juristinnen und Juristen sowie neun Mitarbeitende in der Kanzlei (überwiegend im Teilpensum) sind am Bezirksgericht Affoltern beschäftigt. Davon urteilen sechs Richterinnen und Richter über zivil- und strafrechtliche Fälle, unterstützt vom Leitenden Gerichtsschreiber, sieben Gerichtsschreiberinnen und -schreiber sowie von fünf Auditoren.
«Die Zahl der Mitarbeitenden ist bei uns knapp bemessen. Wir haben entsprechende Anträge nach einer Erhöhung gestellt und bekamen im letzten Jahr positiven Bescheid: Bei den Richterstellen konnten wir von 340 auf 400 Stellenprozente und bei den Gerichtsschreiberinnen und -schreibern von 550 auf 650 Stellenprozente erhöhen», sagt Reto Barblan, seit 2018 Leitender Gerichtsschreiber in Affoltern. Laut seinen Angaben sind am Bezirksgericht Affoltern im vergangenen Jahr 1422 Fälle eingegangen. 1334 Fälle betreffen den zivilrechtlichen und 88 den strafrechtlichen Bereich. 1490 Fälle, zum Teil aus vorherigen Jahren stammend, konnten 2022 erledigt werden. Ende Jahr waren gut 200 Verfahren pendent.
2022 hat sich das Gericht mit rund 600 Erbschaftsfällen (Erbscheine, Testamentseröffnungen usw.) beschäftigt, von denen die überwiegende Mehrheit schnell erledigt werden konnten. Es waren rund 60 Verfahren weniger als in den Vorjahren. «Wegen Übersterblichkeit während der Pandemie waren es damals wesentlich mehr», so Reto Barblan. Eine deutliche Zunahme verzeichnete das Bezirksgericht bei familienrechtlichen Streitigkeiten. Diese Zahl ist seit 2011 im Steigen begriffen. Es geht hier um Scheidungen (110 im vergangenen Jahr) und auch um Eheschutzverfahren, wo man 2022 eine Zunahme um 20 auf mehr als 50 Fälle verzeichnete.
100-seitige Entscheide
«Das belastet uns überdurchschnittlich, auch deshalb, weil die Verfahren von zwei bis drei Monaten bis über ein Jahr dauern können. Und Entscheide, die mehr als 100 Seiten aufweisen, sind keine Seltenheit. In sämtlichen familienrechtlichen Prozessen wird zunehmend hartnäckiger gestritten, die Verhandlungsdauer ist entsprechend länger», berichtet der Leitende Gerichtsschreiber. Seit der Revision des Unterhaltsrechts sei es zudem allgemein komplexer geworden, namentlich bei der Frage, wer wem wie viel zu zahlen habe.
Bei aller Belastung gilt es aber zu erwähnen, dass in über 90 Prozent der familienrechtlichen Verfahren eine Vereinbarung erzielt werden kann; im Bereich des Eheschutzes und bei vorsorglichen Massnahmen kommt es weniger zur gütlichen Einigung; die Zahl, mit der sich schliesslich das Obergericht beschäftigen muss, ist hier höher als bei Scheidungen.
Im zivilrechtlichen Bereich ist die Zahl der Forderungsprozesse beim Arbeitsgericht stabil; 2022 waren es gerade mal 11 Fälle, die ans Gericht gelangt sind. «Die Friedensrichter und -richterinnen als Vorinstanz sind hier im Säuliamt erfolgreich und entlasten damit auch das Gericht», lobt Reto Barblan. Auch die Zahl der Mietfälle ist tief. Hier ist das Bezirksgericht die Schlichtungsstelle (paritätische Stelle) und Vorinstanz, bei der jährlich im Schnitt 100 Fälle eingehen. Über 90 Prozent davon können mittels Vergleich erledigt werden. Die Zahlen bei den Konkurs- und Rechtsöffnungsverfahren liegen mit gut 300 Eingängen im Schnitt der Vorjahre. Bemerkenswert, dass die Zahl der Konkurse in Pandemiezeiten nicht gestiegen ist. Als marginal bezeichnet Reto Barblan die Arbeitslast im Bereich der übrigen Summarverfahren, wie zum Beispiel des Rechtsschutzes in klaren Fällen, vor allem bei sogenannten Mieterausweisungen. Es sind 30 bis 40 Fälle im summarischen Verfahren. Unvorhersehbar sind hingegen fürsorgerische Unterbringungen. Jährlich sind es knapp unter 10 solcher Fälle, über die das Gericht entscheiden muss.
Strafrecht: Stabile Zahlen
2020 waren es 119, 2021 99 und im vergangenen Jahr 88 strafrechtliche Fälle, über die das Bezirksgericht richten musste. Von diesen 88 Fällen gehen 50 auf das Konto des Zwangsmassnahmengerichts, was gegenüber den Vorjahren fast eine Verdoppelung bedeutet. Diese Zwangsmassnahmen kommen zur Anwendung, wenn ein dringender Tatverdacht vorliegt, der eine Untersuchungshaft rechtfertigt: zum Beispiel bei Kollusionsgefahr, das heisst, wenn Gefahr besteht, dass der potenzielle Täter Beweismittel vernichtet oder Zeugen beeinflusst. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft können Verdächtige 48 Stunden in Gewahrsam nehmen. Spätestens dann müssen Verdächtige entweder freigelassen oder es muss beim Zwangsmassnahmengericht Untersuchungshaft beantragt werden. Dieses muss dann ebenfalls innert 48 Stunden entscheiden, ob der mögliche Täter in U-Haft bleibt oder freikommt. Wichtig ist zu erwähnen, dass der Zwangsmassnahmen-Richter oder die -Richterin bei der späteren Gerichtsverhandlung weder als Kollegial- noch als Einzelrichter(in) dabei sein darf. Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet auch über Gewaltschutzmassnahmen. Das ist häufiger der Fall als in früheren Zeiten.