Mit dem Postauto ins Weltall

Wie Astrophysikerin Kathrin Altwegg in Knonau die Illusion über die Wichtigkeit des eigenen Seins schrumpfen liess

Die Männer hinter «Männersache Knonau», Peter Hergesell (links) und Mirko Windisch, machten das augenzwinkernde Referat von Kathrin Altwegg in Knonau möglich. (Bild Sandra Isabél Claus)

Am Abend vor dem Schmutzigen Donnerstag, also kurz vor dem alljährlich spektakulär inszenierten Urknall in Luzern, referierte Kathrin Altwegg, emeritierte Professorin und Astrophysikerin, unterhaltsam über den anderen Urknall – über nichts weniger als Beginn und Ende des Universums.

«Anregend, inspirierend, keine Verpflichtung, kein Grund zu Hause zu bleiben.» Dies das Motto des Vereins «Männersache Knonau». Und die Leute kamen denn auch völlig freiwillig und liessen sich auf anregende Weise inspirieren. Es wurden um die 120 Teilnehmende gezählt. Ein Rekord! Üblicherweise würden an ihren Veranstaltungen ein, zwei Dutzend Männer teilnehmen, meint Mirko Windisch, einer der zwei Organisatoren der Veranstaltungsreihe für Männer. Dieser Anlass war erstmals offen für beide Geschlechter. (Ganz) Jung und Alt folgten der Verlockung, von Kathrin Altwegg, Astrophysikerin und Kometenforscherin, in das Geheimnis des Weltalls eingeführt zu werden. Denn sie muss es wissen. Sie lehrt als Professorin an der Universität Bern. Nun fand sie den Weg nach Knonau in die Stampfi.

«Fake-Bilder» mit dem Teleskop

Kathrin Altwegg lud die Gäste auf eine Reise ins All ein, bis an die Grenze von Raum und Zeit. Der Kurztrip sollte nicht etwa mit einer herkömmlichen Rakete, auch nicht mit den SBB, sondern mit dem verlässlichen Postauto gelingen. Zu Beginn desillusionierte sie das Publikum, indem sie aufzeigte, dass die meist spektakulären Bilder von Planeten, Sternen und Galaxien, die beispielsweise vom James Webb Weltraumteleskop übermittelt werden, schlichtweg Fake seien. Denn dieses Teleskop beobachtet den Weltraum im Infrarotlicht. Damit werden zwar Details erkennbar, die sonst nicht sichtbar wären, aber sie erscheinen im Infrarotlicht anders als sie tatsächlich sind. «Es sind wunderschöne Bilder, doch sie sind alle falsch», erklärt Kathrin Altwegg. Richtig zu liegen, meint die Wissenschaft bei der Frage nach dem Alter des Universums. 13,8 Milliarden alt soll es sein. Sich dies gedanklich auszumalen, sprengt jedoch die Vorstellungskraft. Damit die zeitlichen Dimensionen für Laien besser verständlich werden, quetschte die Forscherin die 13,8 Milliarden Jahre zusammen auf ein einziges Kalenderjahr und veranschaulichte dies mithilfe einer Darstellung von Carl Sagan. Am 1. Januar, kurz nach Mitternacht: der Big Bang. Im Februar existierten die ersten Sterne. Und gemäss den neusten Erkenntnissen wurden dann auch bereits die ersten Galaxien gebildet. Im März wurde die Milchstrasse geboren. Dann passierte einige Monate nichts, zumindest weiss die Wissenschaft davon nichts. Erst Mitte August entstand das Sonnensystem mit den Planeten, Monden, Kometen und Asteroiden. Im September gab es Einzeller, die Mehrzeller im November. Der Dezember wurde aus der Sicht der Menschheit ereignisreich. Am 17. Dezember entstand das erste Wirbeltier, einen Tag später die erste Landpflanze und am 20. Dezember der erste Vierbeiner, eine Echse, gefolgt von den Insekten einen Tag darauf. Heiligabend begannen die Dinosaurier die Erde zu besiedeln, an Weihnachten die Säugetiere. Und am 27. Dezember lernte der erste Vogel fliegen. Am 29. Dezember starben die Dinosaurier wieder aus. Fünf Tage überlebten sie. Wie wird es dem Mensch wohl ergehen? Von dem gab es noch keine Spur. Am 31. Dezember treten um 10.15 Uhr die Affen in Erscheinung. Um 21.45 Uhr lernten sie, auf zwei Beinen aufrecht zu gehen. Das erste menschenähnliche Lebewesen erblickte um 22.48 Uhr die Welt, starb sogleich wieder aus. Sechs Minuten später – endlich! – der Homo sapiens, wir. Die wichtigsten Errungenschaften, wie das Schreiben, erlernten wir 15 Sekunden vor Mitternacht, fünf Sekunden später bauten wir Pyramiden und 1 Sekunde vor dem mitternächtlichen Glockenschlag entdeckte Kolumbus Amerika. «Jetzt» ist wieder Mitternacht, ein Jahr ist vergangen. Wir existieren gerade mal sechs Minuten. Mit dieser Vorstellung wird schnell klar, dass wir Menschen eine Fussnote der Geschichte sind.

Nichts als Sternenstaub

Zurück zu Big Bang. Er war, wenn man ihn von aussen hätte betrachten können, dunkel und ganz still. Denn um Töne, Schallwellen zu übermitteln, braucht es Materie und die gab es noch nicht. Was war denn davor? Vor Einsteins aufsehenerregenden Einsichten hatte man geglaubt, wenn Dinge aus der Welt verschwinden, so blieben noch Raum und Zeit übrig. Gemäss seiner Relativitätstheorie war dem nicht so. Mit den Dingen würden auch Raum und Zeit verschwinden, also: Ohne Materie, keine Zeit und kein Raum.

Die erste Materie nach dem grossen Knall war fast ausschliesslich Wasserstoff, das leichteste bekannte Element. Umgekehrt bedeutet das, dass jedes Wasserstoffmolekül im gesamten heutigen Universum aus dem Urknall vor 13.8 Milliarden Jahren stammt. Eine zweite Quelle für Wasserstoff gibt es nicht! Die Materie dehnte sich aus, Raum und Zeit wurden geschaffen. Es dauerte nicht lange, da formten sich Sterne, eigentliche Bälle aus Gas. Durch das enorme Volumen entstand Anziehungskraft. Die Gasteilchen fusionierten untereinander und bildeten neue Elemente. Bis das ganze Periodensystem geboren war.

Aus welchen Elementen bestehen wir Menschen? Etwas mehr als 60 Prozent ist Sauerstoff, 20 Prozent Kohlenstoff, 10 Prozent Wasserstoff und der Rest machen übrige Elemente aus. Nichts als Sternenstaub also.

So weit so bekannt. Grosse Rätsel hingegen gibt die bislang unbekannte, dunkle Materieform auf, welche sich durch eine enorme Schwerkraft auszeichnet und damit das Universum zusammenhält. Gleichzeitig scheint eine unergründliche Kraft, die sogenannte dunkle Energie, das Universum immer schneller auseinanderzutreiben. Planeten, Sterne, Galaxien und alles bisher entdeckte machen nur einen Bruchteil des Kosmos aus, gerade mal 4,5 Prozent. Demnach weiss die Wissenschaft bis heute nicht, woraus der grösste Teil des Universums besteht. Wohl auch angesichts dessen, weist Kathrin Altwegg zum Schluss darauf hin: «Wir sind nichts weiter als ein Staubkorn in der Wüste oder ein Augenblick in der Ewigkeit.» Und für das Ego bleibt nach diesem Abend nichts als die Gewissheit, dass alles relativ ist – mit und ohne Einsteins Theorie.

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