Nach seinem Freispruch steht nun sie vor Gericht
35-Jährige wegen falscher Anschuldigung angeklagt – viereinhalb Jahre Gefängnis gefordert

Es ist ein vertrackter Fall, der – wie schon in der Verhandlung gegen den Mann – am Bezirksgericht Affoltern erneut zehn Verhandlungsstunden in Anspruch nahm. Er dreht sich um ein Ehepaar vom afrikanischen Kontinent. Der Mann, in seinem Heimatland zum diplomierten Elektroinstallateur ausgebildet, kam 2004 als Flüchtling in die Schweiz. Hier heiratete er eine Schweizerin, von der er geschieden ist. 2010 lernte er eine junge Frau in deren Heimat kennen, wo er sie 2015 heiratete. Im gleichen Jahr kam das Paar in die Schweiz – in ein für sie völlig fremdes Land.
Die Ehe geriet in Schieflage und gipfelte in einer Anklage gegen den Mann. Die Frau warf ihm vor, sie in der Wohnung in Affoltern zwischen 1. März 2016 und 31. Januar 2017 mindestens einmal pro Monat, aber manchmal auch dreimal wöchentlich vergewaltigt oder sexuell genötigt zu haben, insgesamt mindestens elf Mal. Dazu soll er ihr am 7. April 2017 viermal das Bügeleisen an den Kopf geschlagen, sie an einen Türrahmen gestossen (Nasenbeinbruch) und die Treppe hinuntergeschubst haben. Die Staatsanwaltschaft beantragte damals eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, einen Landesverweis von zehn Jahren, die Frau eine Genugtuung von 20000 Franken. Das Bezirksgericht sprach den Mann im November 2019 vollumfänglich frei mit der Begründung, es bestünden unüberwindbare Zweifel an den Aussagen der Frau, getreu dem Grundsatz «In dubio pro reo». Es bezog sich bei der Urteilsbegründung auch auf ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin (IRM), das die Kopfverletzung als «unspezifisch» bezeichnete und nicht auf eine Bügeleisen-Attacke hinweise.
Nun folgte die «Retourkutsche» des Mannes. «Mit dem Verfahren gegen sie will ich Gerechtigkeit», sagte er in der Verhandlung am Dienstag. Der Frau wird nun falsche Anschuldigung, mehrfache, teilweise versuchte Nötigung, Freiheitsberaubung und versuchter Betrug vorgeworfen.
Gemäss Anklage wird eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren beantragt. Für den Staatsanwalt ist erwiesen, dass die Frau nach der Trennung im Juni 2016 in der fraglichen Periode der angeblichen Taten (März und April 2017) nicht mehr bei ihm wohnte. Das belege auch der ausführliche Chatverlauf der beiden. Er monierte ferner ihre widersprüchlichen Aussagen bei den Einvernahmen. Unter dem Hinweis auf die Feststellungen des IRM könne sich der angebliche Angriff nicht wie geschildert zugetragen haben. Der Mann leide wegen dieser üblen Geschichte unter einer «rezidivierenden Störung», was zu Alkoholüberkonsum und medikamentöser Behandlung geführt habe. Neben der zu vollziehenden Gefängnisstrafe verlangt der Staatsanwalt eine Landesverweisung von zehn Jahren – dies, obschon die Frau inzwischen wieder verheiratet ist und mit dem Schweizer Ehemann zwei Kinder hat. Einen Härtefall sieht er gleichwohl nicht, weil die Frau Verwandtschaft in ihrem Heimatland hat.
«Plan, mein Leben zu zerstören»
Bei der Einvernahme vor Gericht zeichnete der Mann erneut das Bild einer von vielen Problemen belasteten Ehe, von einer Beziehung, die in der Schweiz nie funktioniert hat, davon auch, dass sie bei seinem Trennungswunsch «wild» reagiert habe – offensichtlich auch aus Angst, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren. Sie habe gegen den Rauswurf «randaliert», zweimal sei sie noch in der Wohnung gewesen. An diesem 7. April 2017 habe sie sich mit der Hand selber auf die Nase geschlagen und sich die Treppe hinuntergestürzt, nachdem sie zuvor die Polizei gerufen hatte – und dann behauptet habe, er habe sie geschubst. «Sie hatte einen Plan, mein Leben zu zerstören», sagte der Mann, der seit diesen Anschuldigungen nach eigenen Worten unter psychischen und physischen Problemen leidet. Wegen Erektionsstörungen habe er in der Schweiz nie Geschlechtsverkehr gehabt, führt er aus.
In der Befragung der Verhandlungsleiterin machte die Beschuldigte von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Sie beantwortete keine Frage – weder zu ihrer Person noch zur Sache. Die Vertreterin des Mannes nahm dies auf und erinnerte an frühere Aussagen bei Polizei und Staatsanwaltschaft, wo sie Aussagen jeweils «angepasst» und Widersprüchliches gesagt, ja gelogen habe. Die Anwältin stützt sich auf Zeugen, die Gewalt des Mannes verneinen, und spricht von oberflächlichen, unspezifischen Verletzungen, die nicht vom Bügeleisen stammen können. Sie sei erwiesenermassen zwischen Februar 2016 und April 2017 nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung gelebt. Ihr Mann sei für sie «Steigbügelhalter» gewesen, der ihr noch Weiterbildung finanziert habe. Ihre Forderung von 20000 Franken sei der Versuch einer Bereicherung, führte die Anwältin aus.
Der Anwalt der Frau forderte in seinem gut zweistündigen Plädoyer einen vollumfänglichen Freispruch. Er sprach von einem massiven Streit am besagten 7. April, von Verletzungen seiner Klientin, die ins Spital musste. Der Freispruch für den Mann sei zwar verbindlich, aber ein solcher gebiete sich auch für die Frau – unter dem Hinweis auf «Vier-Augen-Vorgänge». Er sprach von «formeller Wahrheit» und von «materieller Wahrheit», die anders sei – und von Vermutungen zum Nachteil seiner Mandantin, ja sogar von einer Verletzung des Anklageprinzips. Strafantrag habe der Mann erst nach seinem erfolgten Freispruch gestellt. «In dubio pro reo» gelte auch für sie. Auch machte der Anwalt Verfahrensmängel geltend, unter anderem, weil sie bei ihren ersten Aussagen keinen Verteidiger hatte und im Spital die Verletzungen nicht protokolliert wurden, sie seien zum Teil «übersehen» worden.
Dokumente ohne Beweiskraft
Bei der Auswertung der Telefonate habe Sorgfalt gefehlt, und bei Einvernahmen sei es wegen Sprachschwierigkeiten zu Missverständnissen gekommen. Unklarheiten bei Aussagen könnten nicht zum Schuldspruch führen, und ihr Mann habe sein Alkoholproblem bagatellisiert. Er sei nicht nur unter Alkoholeinfluss dominant gewesen, der die Erfüllung seiner (sexuellen) Wünsche erfüllt haben wollte. Das sei auch die wenigen Male, in denen sie sich in der besagten Zeit in der Wohnung aufgehalten habe, möglich gewesen. Viele Dokumente seien ohne Beweiskraft und oft Spekulation.
Das Bezirksgericht wird das Urteil später eröffnen