Ohne Mikroben gäbe es uns nicht

Florianne Koechlin erzählte aus ihrem Buch «verwoben & verflochten»

Die Biologin und Buchautorin Florianne Koechlin erzählt lebhaft interessante Geschichten und vermittelt so Ergebnisse weltweiter Forschungsarbeiten. (Bild rz)

Die Tickets für die Lesung vom vergangenen Donnerstag in der Buchhandlung Scheidegger waren schnell ausverkauft. Die Biologin und Autorin Florianne Koechlin ist bekannt durch ihre gleichzeitig engagierte, klare und doch ­humorvolle, natürliche Art der Wissensvermittlung von Themen rund um Fauna und Flora. Sie erklärte: «Ich habe ein Leben lang gegen mechanistische Weltbilder angeschrieben.»

«Wer in einen Apfel beisst, isst rund 100 Millionen Bakterien.» Sie macht Vergleiche, die sitzen, die man nicht so schnell vergisst. «Bakterien sind weit mehr als Krankheitserreger. Sie sind die Basis allen Lebens auf unserem Planeten. Sie verbinden alles.» Beispielsweise wählen Pflanzen ihre Mikroben aus, die unabdingbar sind für ihr Überleben und die Arterhaltung. Denn die Mikroben haben alles erfunden, was das Leben erst möglich macht: Zellatmung, Stoffwechsel, Kommunikation und vieles mehr.

Mikroben kommunizieren

Die Bücher von Florianne Koechlin erzählen von Begegnungen mit Forschern und Forscherinnen in der ganzen Welt. Sie vernetzt das Wissen der Wissenschaftler und kommuniziert es leicht verständlich. Denn Forschung und Entdeckungen bewirken meist erst etwas, wenn sie breit wahrgenommen werden, die Fachwelt verlassen und gedankliches Allgemeingut werden.

In ihrem Plädoyer für die Mikroben legt sie dar, dass bei Monokulturen logischerweise weniger verschiedene Mikroben vorkommen. Das schafft Raum für pathogene, schädliche Mikroben, die mit Pflanzenschutzmitteln bekämpft werden. Diese zerstören nicht nur die pathogenen Mikroben, sie töten die «guten» ab. Diese fehlen den Pflanzen, um gut gedeihen zu können.

Und wieder schlägt sie eine Brücke, diesmal zur Ernährung: «Sogenannte primitive Völker haben oft doppelt so viele Mikrobenarten im Körper als Menschen in Kalifornien, die sich mit Junkfood ernähren.» Neuste Forschungs­ergebnisse zeigen, dass sich Mikroben auf psychische und physische Krankheiten der Menschen auswirken. Dazu gehören beispielsweise Depression und Krebsarten.

Florianne Koechlin nimmt Bezug zur Forschung der Evolutionsbiologin Lynn Margulis, die sich gegen das von Darwin definierte Weltbild stellte: «Noch immer wird die Evolution des Lebens auf unserem Planeten einseitig auf die von Darwin beschriebenen Mechanismen von Mutation und Selektion im ‹Kampf ums Dasein› reduziert.» Im Buch «Der symbiotische Planet» zeigt Lynn Margulis die andere Seite der Evolution auf und belegt, dass mehrzelliges, «höheres» Leben einst vor Milliarden Jahren nicht im Krieg aller gegen alle, sondern nur durch Kooperation und Symbiose entstand.

Geschichten von Pflanzen und Tieren

Florianne Koechlin vermittelt Fachwissen und ihre Werte betreffend Ökologie mittels Geschichten. Es sind nicht die Stärksten, die überleben, es sind diejenigen, die Symbiosen nutzen. «Wir alle sind wandelnde Gemeinschaften.»

Sie erzählte von den Grünalgen, die vor 300 Millionen Jahren den Sprung vom Wasser aufs Land schafften. Sie hüpften nicht, sie bauten bereits im Wasser Symbiosen mit Pilzen auf. Sie erzählte von alten Eichen, die mit anderen Bäumen, aber auch mit Pilzen und Bakterien kommunizieren, meist über Duftstoffe. Bäume können aber auch hören. Mit einem 40 Meter hohen Kran beobachtete man Eichen und fand Kommunikationsmuster.

Die Biologin schwärmte von den Ameisen, nicht von deren Schwarmintelligenz, sondern von ihren individuellen Persönlichkeiten: «Es gibt mutige, faule, nervöse und innovative Ameisen.» Dazu zeigte sie ein Bild, worauf zwei Ameisen zu sehen sind, die mittels Hebelgesetzes ein verklemmtes Heuschreckenbein herausstemmen. «Keine Roböterli, sondern Lebewesen, die Lösungen kreativ suchen und finden.»

Sie erzählt von Fischen, die miteinander kommunizieren, Laute von sich geben, mit viel Spass spielen, und die schmerzempfindlich sind. «Warum haben wir mehr Mitgefühl für Säugetiere als für Fische», fragt sie und stimmt die Zuhörer nachdenklich.

Landwirtschaft

Florianne Koechlin nahm auch Bezug zur Landwirtschaft, erzählte von Bauern in Indien, die zu Bio wechselten und nun bessere Erträge haben. Für die Umstellung bekamen sie Unterstützung durch die Regierung.

Monokulturen sind Unsinn. Dies wussten schon die indigenen Völker Mittelamerikas. Man baute «drei Schwestern» an. Einen entsprechenden Versuch kann man im Garten oder auf dem Balkon machen: Einen grossen Topf mit Erde füllen. In die Mitte Maiskörner geben, darum herum Stangenbohnen setzen und am Rand des Topfes Kürbisse pflanzen. Die Maispflanzen bieten den rankenden Bohnen eine ­natürliche Rankhilfe, die es ihnen ermöglicht, mehr Ertrag abzuwerfen. Die Wurzelknöllchen der Bohnen binden Stickstoff im Boden, der nach ihrem Absterben von den stark zehrenden Mais- und Kürbispflanzen aufgenommen wird. Die in Bodennähe wachsenden Kürbispflanzen schützen das Erdreich vor dem Austrocknen und halten mit ihren Blättern CO2 in Bodennähe. Mehr Ertrag kann man auch in der Landwirtschaft erreichen, wenn Bohnen und Mais im selben Feld angepflanzt werden. Wer den Versuch mit den drei Schwestern gemacht hat, versteht, dass Biodiversität mehr bringt als Mengen von chemischem Dünger und Pestizide.

Es wurden zum Schluss viele Fragen gestellt, die Florianne Koechlin souverän beantwortete und auch mal sagte: «Das weiss ich nicht.» Es gibt noch viel zu tun, in der Forschung, im Garten und auf dem Feld. Dies vermittelte Florianne Koechlin mit viel Humor, in einer lebendigen Sprache und ohne Mahnfinger. Sie lebt die respektvolle Liebe zur Natur, zu der auch wir Menschen gehören.

Verwoben & verflochten, Florianne Koechlin, Lenos, 2024, 288 Seiten, illustriert. Informationen zur Autorin: www.floriannekoechlin.ch

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