Reger Austausch im virtuellen Dorfplatz
Wie sah der alte Lebensmittelladen in den 1950er-Jahren aus, wo man als junger Hedinger noch einkaufen ging? Dringend gesucht: junge Büsis. Suche Kartons zum Zügeln – wer hat welche abzugeben? Darüber und noch viel mehr tauscht sich die Säuliämtler Bevölkerung in Facebook-Gruppen aus.

Über 5700 Menschen sind es, die sich im Säuliamt nicht mehr auf dem Dorfplatz treffen, um gemeinsam in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen, sich über anstehende kulturelle Veranstaltungen zu informieren oder gebrauchte Waren verkaufen oder gratis zum Abholen anbieten. Nein, der Dorfplatz von heute heisst Facebook. In verschiedenen Facebook-Gruppen wird im Bezirk Affoltern der virtuelle Austausch gepflegt.
Der 2014 gegründeten Gruppe «Du bisch vo Affoltere am Albis wenn...» gehören 800 Mitglieder an. In ihr findet vor allem das Schwelgen in früheren Zeiten statt. Viele historische Fotos und alte Postkarten von Affoltern werden darin gepostet. Etwa vom alten Bahnhofplatz, als vor vielen Jahrzehnten Bäume und Wiesen das Bild dominierten. Eine Aufnahme von 1925 zeigt die Obere Bahnhofstrasse, in der sich Coiffeure und Drogerieleute stolz vor ihren Läden präsentieren, eine Postkarte von 1983 zeigt ein Affoltern, dessen Dorfansicht von oben noch nicht von modernen Bauten dominiert wird.
Nicht jeder kann dabei sein
In «Du bisch vo Affoltere am Albis...» kann man sich aber auch über den Ort schlau machen. Da will etwa jemand wissen, wo denn der Bach herkomme, der am McDonalds vorbeifliesst. Und eine neu nach Affoltern zugezogene Frau fragt in die Runde, wo sie denn jemanden finde, der schöne Gelnägel mache und wo ein guter Masseur oder eine gute Coiffeuse zu finden sei.
Auch Hedingen besitzt eine solche Gruppe. Der 2014 gestarteten Gruppe «Du bisch mit Hedige verbunde, wänn...» gehören an die 300 Mitglieder an. Die Plattform «für alle, die einen Bezug zu Hedingen haben» ist wie diejenige von Affoltern wesentlich von historischen Elementen geprägt. Neben vielen alten Dorfansichten finden sich in ihr Bilder des Hochwassers in Hedingen im Jahr 1942 oder von einer Klassenzusammenkunft des 49er-Jahrgangs. «Das Historische zu zeigen ist mir wichtig», sagt Theres Meili, die Administratorin und eine «Ureinwohnerin» von Hedingen, wie sie sich selber bezeichnet. Theres Meili ist selber als Familienforscherin tätig und kann vielen Menschen, die mehr über die Herkunft ihrer Familie wissen möchten, weiterhelfen. In die Gruppe nimmt sie nicht jeden auf. Anfragen erhält sie aus aller Welt, von den USA über ganz
Europa. Wenn sie das Gefühl habe, jemand, der um Aufnahme anfragt, habe gar nichts mit Hedingen zu tun oder wenn jemand in seiner Anfrage gar nichts von seiner Person bekannt gibt, dann erteilt sie ihm oder ihr eine Absage. Keine Chance hat auch, wer die Plattform für kommerzielle Angebote oder Gratiswerbung nutzen will; solche Beiträge werden ohne Rücksprache gelöscht.
Die weitaus grösste Gruppe ist «Pinnwand Säuliamt». Ihre Geburtsstunde hat diese auch im Frühling 2014 erlebt, Mittlerweile gehören ihr über 3400 Mitglieder an. Wie der Name schon sagt, funktioniert sie wie eine Pinnwand, an der man Merkzettel anheften kann – nur eben erfolgt das virtuell. Da sind dann Aufrufe zu finden wie: «Dringend gesucht: junge Büsis». Und die Sache funktioniert: Innerhalb von wenigen Stunden wird der Suchenden von mehreren Seiten mit wertvollen Tipps und Hinweisen geholfen, wo sie fündig werden kann. Aktuell werden für die Kleiderbörse in Bonstetten von Mitte März Helferinnen gesucht. Die Plattform funktioniert wie eine Art Gratis-Brockenhaus. Wer eine 10 Jahre alte Matratze will, kann diese in Ottenbach abholen, ein Ikea-Fernsehmöbel gibts gratis in Bonstetten, in Wettswil liegen Bücher zum Abholen bereit.
Kleider, Schuhe, Auto- und Velokindersitze, Lampen und ausgediente Möbelstücke – alles Erdenkliche wird auf «Pinnwand Säuliamt» gratis oder günstig abgegeben. Doch gehts nicht nur um Materielles. Gesucht werden auch Freundschaften. Eine Mutter in Obfelden mit Kindern und Hund fühlt sich oft einsam und sucht eine Freundin, um mit ihr und den Kindern mal spazieren zu gehen oder gemeinsam einen Kaffee oder auch mal ein Bier zu trinken. Auch hier funktioniert das «Pinnwand»-Netzwerk, gingen doch innerhalb innert kürzester Zeit nicht weniger als 46 Reaktionen darauf ein, viele davon mit konkreten Angeboten zur Kontaktaufnahme.
Administrator Niki Greco aus Mettmenstetten ist stolz auf «seine» Gruppe. Seit er im Sommer 2018 die Administration übernommen hat, ist der Mitgliederbestand von rund 1500 Mitgliedern auf über 3400 angewachsen. Und er kann weitere statistische Zahlen nennen. «11000 Beiträge gab es auf unserer Plattform seither, 35000 Kommentare und 31500 Reaktionen in Form von Smiley- oder Herzchen-Icons.» Greco, als Hausmann mit drei Kindern tätig, ist täglich live bei der «Pinnwand Säuliamt» dabei, um sie zu moderieren. «An sich ist die Plattform absolut frei und für alle Interessierten zugänglich», sagt Greco. Intervenieren muss er wenig. Doch kann es schon mal vorkommen, dass er illegale oder unmoralische Angebote ablehnen musste. Etwa, als vor einiger Zeit ein Mann junge Frauen suchte, um Fotos von ihnen zu machen, auf Nachfragen von Greco dann aber keine näheren Angaben machen wollte.
Auch als Schlichter muss Greco zuweilen auftreten. So griff jemand einmal eine Mutter, die nach einem Babysitter suchte, mit den Worten an «Warum stellst du Kinder auf die Welt, wenn du nicht auf sie schauen willst?»
Seit drei Jahren existiert die Gruppe «Verschenken/gratis im Säuliamt». «Hesch Sache dihei umäligge, wo no imne guete Zuestand sind und en neue Bsitzer sueched? Dänn loooos!!» ergeht die Aufforderung an die aktuell über 500 Mitglieder. Diese nehmen sich die Aufforderung zu Herzen und bieten alles Erdenkliche zur Abgabe an: Wer will, kann etwa in Rifferswil 1 kg Gemüse-Extrakt – «Neu und no verschlosse!» – abholen. Eine Frau bietet einen «Echt-Haar-Schnauz» sowie künstliche Wimpern an. Wer mehr auf Kochen steht, kann sich in Affoltern nicht mehr ganz taufrische Betty-Bossi-Zeitschriften aus den Jahren 1975 bis 2000 abholen. An dieselbe Klientel richtet sich das Angebot von zwei Gemüsebürsten (1x weich und 1x hart) sowie einem Gemüsehobel, der ein «bisschen verfärbt vom vielen Rüeblihobeln» und offenbar nicht ohne Tücken ist, wird doch gewarnt: «Aber Achtung – gefährliches Teil – es mussten schon einige Finger dran glauben.»
«Bitte schützed eu»
Die jüngste der Facebook-Plattformen ist «Säuliämtler helfen Säuliämtlern». Erst vor einem Monat gegründet, zählt sie bereits rund 640 Mitglieder. Alles, was in dieser Gruppe angeboten wird, sei kostenlos und unentgeltlich, heisst es. Und so werden denn auch eine Vielzahl nicht mehr benötigter Sachen, vom Bett über Ecksofas und Schreibtische bis hin zur Brotbackmaschine angeboten. Die Regel, die Seite dürfe nicht zu kommerziellen Zwecken missbraucht werden, wird jedoch zuweilen missachtet, wenn zum Beispiel Mieter für Wohnungen gesucht werden. Daneben gibt es auf «Säuliämtler helfen Säuliämtlern» auch ganz direkte Hilfe im Alltag. Eines der Mitglieder hat an der Kreuzung bei der Autobahnausfahrt in Affoltern zum wiederholten Mal Unfälle beobachtet und warnt nun in ihrem Post: «Bitte schützed eu und fahred vorsichtig a dere chrüzig und lueged, obs würkli rot bi andere isch wennr grüen hend.»