Rücksicht gibt Wildtieren Raum

Bruno Schicker ist Obmann und Pächter des Jagdreviers Knonau. Gleichzeitig übernimmt er Arbeiten eines Wildhüters. Während seiner Streifzüge durch das Revier trifft er immer öfter auf Erholungssuchende. Diese auch der Pandemie geschuldete Entwicklung hat Folgen für die Wildtiere.

Um die Tiere im Dickicht zu orten, setzt Bruno Schicker ein Wärmesichtgerät ein. (Bild Angela Bernetta)
Um die Tiere im Dickicht zu orten, setzt Bruno Schicker ein Wärmesichtgerät ein. (Bild Angela Bernetta)

Im Wald fühlt er sich wohl. Seit seiner Pensionierung kümmert sich Bruno Schicker als Obmann um das Jagdrevier Knonau. Sein Aufgabengebiet ist vielfältig. Täglich zieht der 68-Jährige seine Runden, kennt jede Ecke, jeden Winkel und seine Wildtiere, überprüft, ob alles in Ordnung ist. «Im 650 Hektar grossen Wald- und Wiesland leben etwa 45 Rehe», ergänzt er. Schicker weiss um deren Alter und Befinden, zählt deren Bestand und meldet diesen regelmässig bei der kantonalen Jagdverwaltung. «Die Bestandszählungen sind die Grundlage für die Jagdplanung und legen die Abschussquote fest», erklärt er. Im Kanton Zürich kennt man die Revierjagd. Die 169 Pachtgesellschaften dürfen in ihren Gebieten gegen einen Pachtzins den Wildtierbestand nach Vorgabe kontrollieren. Wie in Knonau entspricht das Jagdrevier fast immer dem Gemeindegebiet. «Jäger sein ist eine Berufung», sagt Bruno Schicker. Gleichwohl gehöre die Hege, die Lebensgrundlage des Wilds zu erhalten, genauso zu seinen Aufgaben. Gemeinsam mit seinem Bruder Karl Schicker und Harald Frenademez bildet er die Jagdgesellschaft im Revier. Und ergänzt: «Als gelernter Metzger verar­beite ich das erlegte Wild selbst.»

Keine Feldhasen, mehr Hirsche

Für die Bestandszählungen im Wald nutzt Bruno Schicker ein Wärmesichtgerät. So behält er die Lebensräume und die Artenvielfalt der Wildtiere im Auge. Diese habe sich über die vergangenen Jahre verändert. «Im Gegensatz zu ­früher pflanzen die Landwirte mehr Mais an und schneiden die Wiesen zwei- bis dreimal häufiger als früher. Auch fehlen niedrige Feldgehölze wie Hecken, wo die kleinen Wildtiere tagsüber Schutz suchen können. Das hat in unserem Revier dazu geführt, dass es keine Feldhasen mehr gibt.» Krähen wiederum vermehren sich stark, da sie in und um die wachsenden Siedlungen ein reichhaltiges Nahrungsangebot vorfinden. Karl Schicker ergänzt: «Auch Hirsche, die man früher hier nicht haben wollte, oder Biber werden wieder heimisch.»

Wird Obmann Schicker zu Notsituationen (siehe Box) gerufen, nimmt er seine Jagdhunde mit. «Sie helfen, verletzte Tiere, etwa nach einem Wildunfall, aufzuspüren, damit wir diese schnell von ihrem Leiden erlösen können.» Leider komme es manchmal zu sehr dramatischen Szenen, wie etwa der Unfalltod eines trächtigen Rehs. «Das Tierleid geht einen schon sehr nahe.» 20 bis 30 Prozent des Wildtierbestands fallen jährlich Unfällen zum Opfer. «Während dieser Jagdperiode hatten wir zwei für Tiere tödliche Wildunfälle.»

Freizeitgesellschaft breitet sich aus

«Im Frühling braucht das Rehkitz unseren speziellen Schutz», sagt der Obmann. Damit das Jungtier im Gras liegend nicht von einer Mähmaschine erfasst werde, setze man zum Aufspüren Drohnen mit Wärmebildkameras ein. «Es versteht sich von selbst, dass wir mit den Landwirten, die ebenfalls mit und in der Natur arbeiten, ein gutes Verhältnis ­pflegen.»

Weniger Einfluss nehmen könne man auf die stark anschwellende Freizeitgesellschaft, die den Lebensraum der Wildtiere zunehmend beschneidet. «Seit Pandemiebeginn sind noch mehr Hündeler, Biker, Pilzsuchende oder Joggerinnen im Wald unterwegs.» Karl Schicker ergänzt: «Die Bevölkerung wächst, was den Druck auf die Natur, die Lebensräume und Wildtiere verstärkt.» Das veränderte Freizeitverhalten lasse sich nicht mehr aufhalten. «Gleichwohl benehmen sich die meisten rücksichtsvoll, bewegen sich auf den markierten Wegen, beachten die Wildruhezeiten und nehmen ihre Vierbeiner nicht nur ­während der Brut- und Setzzeit an die Leine.»

Trotzdem kommt es gelegentlich zu unguten Begegnungen. Sei es, dass freilaufende Hunde dem Wild nachstellten oder Sportler querfeldein oder gar nachts mit Stirnlampe durchs Unterholz stolperten. Der Obmann hat dafür kein Verständnis. «Das stört die Wildtiere und drängt sie immer mehr in den Wald zurück.» Stetig in Bewegung braucht das Wild mehr Energie, was Verbisse und Schälschäden an Schutzwald und Jungbäumen zur Folge hat. Studien belegen, dass diese Unruhe eine erhöhte Sterblichkeit und folglich negative Auswirkungen auf die Fortpflanzung begünstige. «Kommt hinzu, dass die Tiere ihren Tagesrhythmus ändern und den Wald seltener oder erst spät verlassen.» Folglich könne der Jäger kranke und schwache Tiere, die in die Abschussquote fallen, kaum mehr ausmachen. Rechtliche Mittel gegen unangemessenes Verhalten gibt es ausserhalb von Wildschutz- und Naturschutzgebieten keine. «Wir können nur an den Verstand der ­Menschen appellieren und im stetigen Austausch und mit der nötigen Präsenz auf ein ­angemessenes Verhalten hinweisen.»

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