«Schau dort, der Farang»
Im Dezember ist das Ehepaar Ingold von Obfelden nach Thailand ausgewandert. Für Nong war es eine Rückkehr in ihr Heimatdorf, während Ivo das Land bisher nur als Tourist kannte. Wie geht es ihm nach den ersten zwei Monaten im neuen Zuhause?
Im Dezember letzten Jahres sind Nong (50) und Ivo Ingold (51) zu einem neuen Lebensabschnitt aufgebrochen. Nach 16 gemeinsamen Jahren in der Schweiz hatten sie sich entschieden, in Nongs Heimat zurückzukehren. Ivo, der eine kaufmännische Ausbildung absolviert und später im Marketing gearbeitet hatte, war in der Jobsuche seit Längerem erfolglos geblieben. So richtig wohl hatte er sich «in der kalten Schweiz» sowieso nie gefühlt, Das Klima und die Kultur in Thailand hatten immer schon mehr seinem Gusto entsprochen.
Nachdem sie im Sommer 2021 ihre Wohnung gekündigt und sich ihres Hausrats entledigt hatten, wohnten sie für einige Monate bei Ivos Onkel. Er war es auch, der die beiden am frühen Morgen des 11. Dezember 2021 an den Flughafen nach Kloten fuhr. Mit je 30 Kilogramm nahmen Ivo und Nong Ingold via Helsinki Kurs auf ihr neues Leben in Südostasien.
«Anzeiger»: Am 12. Dezember sind Sie gemeinsam mit Ihrer Frau Nong in Phuket gelandet – in Ihrem neuen Leben. Wie sind Sie in Thailand gestartet?
Ivo Ingold: Gut! Zuallererst haben wir einmal Ferien gemacht. Nach drei Nächten in Phuket sind wir weiter nach Krabi, wo wir ein paar Tage am Strand verbracht haben. Von dort sind wir am 24. Dezember nach Bangkok und schliesslich nach Chiang Rai geflogen. Unser neuer Wohnort Thoeng liegt etwa 60 Kilometer entfernt.
War es anders, dieses Mal nach Thailand zu reisen mit der Gewissheit, zu bleiben?
Als wir im Süden am Strand waren, habe ich es noch gar nicht realisiert. In den ersten Tagen habe ich ständig gedacht: «Die Tage vergehen, bald muss ich wieder nach Hause», obwohl das ja gar nicht stimmte. Ich brauchte etwa vier Wochen, um es wirklich zu kapieren.
Wie erklären Sie sich das? Sie hatten die Auswanderung ja seit Längerem geplant.
Die letzten Tage und Wochen vor der Abreise waren so stressig, dass ich mir gar nicht so richtig Gedanken machen konnte. Als wir abflogen, fühlte es sich an wie Ferien.
Erzählen Sie von Ihrem neuen Zuhause.
Wir leben im Dorf Thoeng, das nach Schweizer Begriffen wohl eine Stadt wäre (Thoeng ist ein Landkreis mit rund 84000 Einwohnern, Anm. d. Red.). Ein Grossteil von Nongs Familie lebt hier. Bis unser eigenes Haus gebaut ist, leben wir im Haus ihrer Schwester. Sie wohnt im Erdgeschoss, wir im ersten Stock.
Wie sieht Ihr neuer Tagesablauf aus?
Ich stehe so zwischen sieben und acht Uhr auf, gehe ins Fitness-Center, bin unterwegs, fahre mit dem Roller herum. Weil das Leben in Thailand so günstig ist, habe ich am Morgen frei; mein 50-Prozent-Pensum reicht zum Leben. Nachmittags arbeite ich dann meistens. Manchmal auch am Abend, durchschnittlich sind es zwei bis vier Stunden pro Tag.
Sie kümmern sich um die Werbung eines SMS-Flirtservices. Was genau machen Sie da?
Ich schreibe Texte für SMS-Werbung, die dann abends an die Kunden verschickt werden. Es sind Kontakt-Abos, Erwachsenenunterhaltung. (lacht)
Haben Sie keine Hemmungen, Leute in eine Abo-Falle zu locken…?
Eine Falle würde ich das nicht nennen, es steht ja auf der Website, wie viel der Service kostet.
Niemand liest die AGB.
Stimmt, das machen tatsächlich die wenigsten. Das Geschäft ist allerdings auch schon besser gelaufen als heute. Doch es reicht noch, um in Thailand davon zu leben.
Momentan leben Sie mit Ihrer Frau bei deren Schwester. Nun sind Sie der «Farang», der Ausländer. Wie ist das für Sie als einziger Nicht-Thai?
Jetzt bin ich derjenige, der dasitzt und nichts versteht (lacht). Ich kann zwar ein bisschen Thai, doch der Nord-Dialekt, den sie hier sprechen, ist total anders als das Thai, das in der Schule gelehrt wird.
Dieses Problem kommt einem in der Schweiz bekannt vor. Wie ist das, am Tisch zu sitzen und nichts zu verstehen?
Meine Frau und ihre Schwester reden Englisch mit mir, ansonsten sitze ich einfach da und höre zu. Wenn ich fertig gegessen habe, schaue ich einen Film oder arbeite noch ein bisschen, während die anderen sitzen bleiben und weiterreden.
Klingt, ein bisschen nach Parallelwelt. Die fehlenden Sprachkenntnisse scheinen Sie zu isolieren…
Ja, schon ein bisschen. Manchmal haben wir Besuch, und alle versuchen, mit mir zu reden. Aber zum Diskutieren spreche ich noch zu wenig gut Thai. Ich hoffe, dass ich bald mitreden kann.
Wo stehen Sie denn mit dem Lernen?
Ich bin daran, das Alphabet zu üben, drei Buchstaben kann ich bis jetzt (lacht). Momentan übe ich mit einem Schulbuch, zudem suche ich zurzeit eine Lehrerin.
Wie wurden Sie als Europäer in Ihrer neuen Heimat aufgenommen? Erleben Sie Vorbehalte?
Wenn ich durch den Markt spaziere, höre ich die Einheimischen manchmal tuscheln. Sie sagen dann: «Schau dort, der Farang», oder «das ist der Mann von Nong». So viel Thai verstehe selbst ich (lacht). Viele stellen sich den klassischen Europäer eher gross und dick vor. Manchmal sagen sie zu mir: «Du siehst gar nicht so aus, wie wir gedacht haben.»
Also kommen Sie trotz holpriger Sprachkenntnisse gut mit Einheimischen ins Gespräch?
Ja, aber manchmal muss ich improvisieren. Einmal, als ich unterwegs war, fragte mich eine Frau, was ich gerade mache. Da fiel mir das Wort «spazieren» nicht ein, also hab ich einfach gesagt: «Ich gehe nach Hause».
Mit der Auswanderung geht für Sie auch der Traum eines eigenen Hauses in Erfüllung. Wo stehen die Bauarbeiten?
Sie sind am 28. Januar gestartet. Wenn alles gut läuft, können wir im Oktober einziehen.
Ursprünglich sagten Sie, das Haus stehe in drei Monaten.
Habe ich auch gedacht (lacht). So hatte ich das mal in irgendeinem Forum gelesen. Das war allerdings ein einstöckiges Haus. Unseres ist zweistöckig, deshalb braucht es etwas länger.
Bisher war Thailand für Sie eine Feriendestination. Jetzt muss das Land im Alltag bestehen. Gibt es etwas, das Ihnen nicht mehr ganz so rosig erscheint wie damals als Feriengast?
Das Wasser, das aus dem Hahn kommt, ist kalt. Warmes Wasser gibt es nur zum Duschen. Und es ist nicht trinkbar. Das vermisse ich: einfach mal einen Schluck vom Hahn zu trinken.Zudem war der Linksverkehr am Anfang gewöhnungsbedürftig. Aber ansonsten... habe ich von der Schweiz bisher noch nichts vermisst.