Sinkendes politisches Engagement
Die etablierten Parteien im Bezirk Affoltern nehmen Stellung zur Situation im Säuliamt

Da wird in einer politischen Gemeinde in jenem Gremium mindestens ein Sitz frei. Dort sucht ein Zweckverband Engagierte, die sich für Amtszeiten zur Verfügung stellen. Auch in Vereinen gibt es in den Vorständen immer mehr Vakanzen. Überall scheint das gleiche Problem zu bestehen: Die Schwierigkeit, Personen zu finden, die sich in einem öffentlichen Amt engagieren möchten.
Gerade jetzt ist dies vor allem in der Politik hochaktuell, wo es für die Knonauer Parteien an der Zeit ist, ihre Kandidaturen für die Erneuerungswahlen am 8. März 2026 bekannt zu geben. So einfach, geeignete Kandidaten zu finden, ist es nicht, wie unter anderem die Berichterstattung im «Anzeiger» zeigte.
Ausschlaggebender Impuls, um bei den Parteien im Bezirk nachzufragen, was für Gründe dieser scheinbare Mangel an Motivation für ein Engagement in der Politik haben könnte. Und was dagegen unternommen werden könnte und wird.
Parteien zeigen Werte einer Person
Als mit Abstand grösste Partei mit über 400 Mitgliedern im Bezirk sei man hier natürlich in einer komfortableren Situation als die anderen Parteien, stellt David Vogelsanger, Präsident SVP Bezirk Affoltern, klar. Er bemängelt vielmehr, dass die stärksten Parteien verhältnismässig schlecht in den Gemeindeexekutiven vertreten seien. Dies aufgrund der Dominanz der Parteilosen. «Das ist unabhängig von der Partei eine unbefriedigende Situation», so Vogelsanger. Er verweist auf die SP und die GLP, die sich in einer ähnlichen Situation befänden.
Aber nicht nur für die Parteien, auch für die Stimmbürger sei dies unbefriedigend, da diese die parteilosen Kandidierenden gar nicht richtig einordnen könnten. «Wenn jemand in einer Partei ist, so wissen die Leute, für welche Werte diese Person steht. Bei einem parteilosen Kandidaten kauft man die Katze im Sack», findet Vogelsanger. Generell seien Leute eher dafür zu motivieren, sich für Sachfragen und Kampagnen zu engagieren, wenn es beispielsweise um die Windradturbinen im Säuliamt gehe, aber: «Sobald es jedoch darum geht, wer das Amt des Sektionspräsidenten oder des Kassiers übernimmt, wird es auch bei der SVP gelegentlich schwierig.»
Keine Lust auf Basisarbeit?
Bei der GLP kann man positiv auf die kommenden Erneuerungswahlen blicken, konnten doch bereits zehn Kandidaturen definitiv bestätigt werden. «Von diesen zehn konnten wir zwei neue für eine Kandidatur gewinnen», sagt Nicole Beck-Taubenest, Co-Präsidentin GLP Knonaueramt. Es würden aber auch Gespräche mit Parteilosen, deren Engagement man in Betracht zöge, geführt, denn in der GLP zähle vor allem eines: «Miteinander, statt nebeneinander oder gegeneinander», so Fabian Kraxner. «Wir möchten insbesondere in polarisierten Gremien eine Zusammenarbeit ermöglichen. Vorwärts gehen, statt links oder rechts», so der Co-Präsident der GLP. Milizpolitik lebe von Leuten, die Lust hätten, etwas zu bewegen, und die nicht nur interessiert an einem Titel seien. «Bei uns sollte auch Basisarbeit geleistet werden, wie beispielsweise beim Aufbauen des Chlausmärt-Stands helfen oder Unterschriften sammeln.» So wird bei jedem neuen Mitglied beim «Onboarding» während eines Kaffees im Amt geklärt, für welche Themen oder Ämter es sich interessiert. Platz sei jedoch von kleinen Meinungsäusserungen bis hin zum grossen Engagement für alle, die teamfähig und konsensorientiert seien.
Angst vor Gegenwind?
Remo Perret, Präsident SP Bezirk Affoltern, sieht den Grund für den Mangel an politischem Engagement darin, dass gerade jüngere Menschen andere Prioritäten hätten, wie Studium, Berufsleben oder die Familienplanung. Spezifisch im Bezirk Affoltern liege es bei der SP auch daran, dass diese vor allem in den Städten stark sei. «Dafür gibt es auf dem Land umso mehr Möglichkeiten, sich in der SP zu engagieren, und das Potenzial, viel machen zu können», so Perret. Bestes Beispiel ist wohl er selbst, der in Hedingen wohnhaft ist.
Auch Lisette Müller-Jaag, Präsidentin EVP Bezirk Affoltern, findet, dass das Problem bei den schwierigen Rahmenbedingungen zu verorten sei, denn Interesse sei durchwegs vorhanden. Manchen sei es schlichtweg nicht möglich, das berufliche Pensum zu reduzieren, um den zeitlichen Anforderungen eines politischen Amtes gerecht werden zu können. Sie begann ihre politische Karriere übrigens als Parteilose und trat erst später der EVP bei. Schwierig, Leute zu finden, könne es auch noch sein, weil zu wenig davon erzählt werde, was es einem selbst bringe. «Dabei ist es spannend, lehrreich und schön, wenn man miteinander etwas bewirken kann», so Müller-Jaag. Noch heute freut sie sich, dass sie mit einem Postulat massgeblich an der Schaffung der Buslinie 200 von Affoltern in die Enge beteiligt war, die heute die meistfrequentierte Linie im Säuliamt ist.
Nach David Reindl, Präsident der FDP Bezirk Affoltern, helfen zwei Faktoren nicht dabei, neue Mitglieder zu finden oder solche, die sich für ein politisches Amt bewerben würden: «Es entspricht heute nicht dem Zeitgeist, sich zu einer Haltung zu bekennen – womöglich aus Angst vor Gegenwind?» Dabei könnten nur durch die Konfrontation der verschiedenen Meinungen gute Gespräche entstehen und schliesslich Lösungen gefunden werden, die für alle stimmen. Hier bemängelt Reindl als zweiten Punkt, wie die Politik in den Medien dargestellt werde und die Polarisierung, die vorherrsche. In den Gremien würden nämlich durchaus Kompromisse gefunden und es werde versucht, sachlich zu diskutieren, aber: «Sobald die Kamera an ist, vertreten die Politiker wieder ihre Extremposition», so Reindl.
Diese Unehrlichkeit schrecke ab. Viele würden auch nicht Mitglied einer Partei werden, weil sie das Gefühl hätten, sie könnten dann nicht mehr sagen, was sie wollen. So komme auch an Partei-Veranstaltungen kaum jemand, der nicht bereits Mitglied sei. Das Positive auf regionaler Ebene sei jedoch, dass die Bevölkerung sich gerade bei kontroversen Themen durchaus involvieren lasse, wie gerade die Debatte um den Lochenweiher in Bonstetten zeige. «Das ist aber mehr zufällig und lässt sich nicht provozieren», so der Präsident der FDP Bezirk Affoltern. Negativ sei wiederum, dass, solange alles gut funktioniere, es viele schlichtweg auch als nicht notwendig ansähen, Zeit für Politik zu investieren.
Parlamentsgründung als Lösung?
Um an die Leute heranzukommen und politisches Interesse zu wecken, organisieren die SP und die Grünen seit Sommer den «Polit-Stamm» im «aff». Gemeinsam, um einerseits die Kräfte zu bündeln, aber andererseits eben auch, um Interessierten, die keiner Partei angehören, die Möglichkeit zu geben, «politische Luft zu schnuppern», so Remo Perret von der SP.
Auf diesen Polit-Stamm verweist auch Thomas Schweizer, Präsident Grüne Bezirk Affoltern, als er nach den Massnahmen seiner Partei gegen das abnehmende politisch Engagement gefragt wird. Er findet zudem, dass die Bindung an eine Partei nicht mehr so stark sei wie früher. Durch die Einführung eines Parlaments in Affoltern könnte dem partiell entgegengewirkt werden. Denn um in ein Parlament gewählt zu werden, braucht es die Zugehörigkeit zu einer Partei. «Die Einführung eines Gemeindeparlaments ist natürlich aber vor allem aus Sicht der Demokratie und der breiten Mitwirkung der Bevölkerung wichtig», so Schweizer. Denn mit einem Parlament würden Vorlagen früher bekannt werden, Entscheide könnten vorbesprochen und abgeändert werden und Ideen könnten einfacher eingebracht werden als über Einzelinitiativen.
Auch bei der Mitte-Partei wird das politische Engagement als rückläufig empfunden. «Viele gehen die Verpflichtung, einer Partei zugeordnet werden zu können, ungern ein», sagt Simon Böhlen-Schmid, Präsident die Mitte Bezirk Affoltern. Gerade Jüngere würden sich weniger auf ein Parteiprogramm fixieren wollen, sondern engagierten sich lieber punktuell, beispielsweise für eine Veranstaltung, wo ein Anfang und ein Ende absehbar seien, statt sich eines Amtes über einen längeren Zeitraum anzunehmen. Die Mitte arbeite an einer Strategie und einem Konzept, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Künftig müsse aber vor allem auch überparteilich versucht werden, transparent aufzuzeigen, was es bedeutet, Mitglied in einer Partei zu sein, und was man alles bewirken kann. «Dass man beispielsweise sogar Einfluss auf das Parteiprogramm nehmen kann», so Böhlen-Schmid, denn womöglich liege die Ursache der Abnahme des politischen Engagements auch darin, dass gar nicht mehr klar sei, wie das Parteiensystem eigentlich funktioniere.
Situation der kleineren Parteien
Ganz anders vorgehen müssen die kleineren Parteien, wie die EDU oder Aufrecht. «Wir agieren als kleine Partei punktuell. Wenn wir jemanden im Ort als passend für ein Amt betrachten, dann gehen wir direkt auf diese Person zu», erklärt Matthias Nufer, Vorstandsmitglied EDU Bezirk Affoltern. Er sieht das beste Mittel, Leute für die Kandidatur um ein Amt zu gewinnen, in der direkten Ansprache. Das scheint tatsächlich wirkungsvoll zu sein. So bestätigte beispielsweise Lisette Müller-Jaag, dass sie für jedes Amt – sei dies als Friedensrichterin, als Schulpräsidentin und auch als Kantonsrätin – direkt angefragt worden sei.
Für die noch junge Partei Aufrecht sei es momentan nicht einfach, neue Mitglieder zu finden, da man noch wenig bekannt sei und keine polarisierenden Leute an der Front habe, wie andere Bewegungen, die ähnliche politische Themen hätten, so John Appenzeller, Präsident Aufrecht Bezirk Affoltern. Junge für die Politik zu begeistern sei generell schwierig, weil da andere Hobbys im Vordergrund stünden. «Momentan wird Aufrecht nur bekannter durch Mund-zu-Mund-Propaganda, wobei ich leider eine gewisse politische Verdrossenheit feststelle», meint Appenzeller abschliessend. Womöglich ist diese Politikverdrossenheit auch eine Ursache für das abnehmende politische Engagement im Säuliamt. Jedenfalls sind viele der Parteien mit einem Stand am Chlausmärt vertreten. Die beste Gelegenheit zum persönlichen Kennenlernen.


