Unia: «Häufig fehlt den Hotels eine solide Liquiditätsplanung»
Nicole Niedermüller, Mediensprecherin bei der Gewerkschaft Unia, zeigt sich von den Zuständen im «Prizeotel» wenig überrascht

Es seien Arbeitsbedingungen, wie sie in der Reinigungs- und Hotelleriebranche von Betroffenen regelmässig geschildert würden. «Oft bewegen sich die Bedingungen in einer juristischen Grauzone, was die Betroffenen vor grosse Herausforderungen stellt.» Ein solches Beispiel seien Arbeitsverträge, die bekanntlich formlos, also auch mündlich gültig sind: Nicole Niedermüller sind aus der Praxis zahllose Fälle bekannt, in denen neue Mitarbeitende statt eines schriftlichen Vertrags eine mündliche Zusicherung erhielten. Etwa, was den wöchentlichen Mindestumfang der Arbeit betrifft. Häufig würden diese Versprechen hinterher nicht eingehalten. Sinke die Auslastung der Zimmer, sinke sofort auch die Anzahl zu leistender Stunden.
Für die Hotels sei dies eine komfortable Ausgangslage: Die Angestellten halten sich die Zeit frei und verdienen währenddessen nichts, während die Betriebe nur die effektiv geleisteten Stunden vergüten müssen. «Wir raten den Leuten, sich nicht auf mündliche Zusicherungen zu verlassen und die Bedingungen möglichst bald schriftlich festzuhalten», sagt Nicole Niedermüller.
«Prizeotel»: Verfehlungen naheliegend
In anderen Bereichen des Arbeitsrechts vermutet Nicole Niedermüller aufgrund der Schilderungen der drei Ex-Angestellten, dass der juristische Spielraum im «Prizeotel» nicht nur ausgereizt, sondern womöglich überschritten wurde: «Auch bei mündlichen Verträgen gilt gemäss Gesamtarbeitsvertrag in der Reinigungsbranche eine Obergrenze von 50 Arbeitsstunden pro Woche. Geleistete Überstunden müssen entschädigt werden.»
Dasselbe gelte für die Arbeitszeit: «In der Schweiz sind alle Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. Wie das geschehe – etwa elektronisch oder von Hand – sei nicht vorgeschrieben. Aber dass es geschehe, liege in der Verantwortung des Arbeitgebers.
Klare Vorgaben gibt es auch, was die Anzahl nacheinander geleisteter Arbeitstage betrifft: «Arbeitnehmende dürfen maximal sechs Tage am Stück arbeiten, in der Gastrobranche sind es sieben. Sollte die Mitarbeitende im vorliegenden Fall effektiv 16 Tage am Stück gearbeitet haben, läge eine klare Verfehlung des Hotels vor.»
Dasselbe gilt für Kündigungen bei vorliegendem Arztzeugnis. «Im ersten Jahr beträgt die Sperrfrist bei Krankheit 30 Tage, danach 90. Missbräuchliche Kündigungen sind dennoch ein häufiges Problem», sagt Nicole Niedermüller. Der Kündigungsschutz ist aus Sicht der Gewerkschaft ungenügend: Um eine missbräuchliche Kündigung anzufechten, müsste die Arbeitnehmerin aus eigener Initiative vor Gericht gehen. Das erfordert allerdings einen Kostenvorschuss. Und selbst wenn das Gericht ihr später eine Entschädigung zuspricht, werde diese bestenfalls ausreichen, um die Anwaltskosten zu decken. «Die Bedingungen führen dazu, dass sich viele Betroffene nicht zur Wehr setzen.»
Lohn wäre am Monatsende fällig
Die Lohnauszahlung ist im «Prizeotel» in den Verträgen jeweils bis spätestens am 15. des Folgemonats versprochen. Dieses Vorgehen ist zwar erlaubt, «grundsätzlich wäre die Lohnzahlung gemäss Obligationenrecht jedoch am Ende des Monats vorgesehen», sagt Niedermüller. In der Praxis erweisen sich diese Vorgaben auch in der Hotellerie mitunter als utopisch: «Dass sich Hotels nicht an die Zahlungsfristen halten, passiert leider sehr oft.» Für die Betroffenen, die auf ihr Geld warten, könne das fatale Auswirkungen haben: «In einer Niederlohnbranche, wie es die Reinigungsbranche ist, leben Beschäftigte häufig von der Hand in den Mund.» Sie könnten kaum etwas zur Seite legen und in der Not nicht einfach mit Ersparnissen überbrücken. Rechnungen können nicht mehr bezahlt werden, Mahnungen und Betreibungen sind dann oft nicht mehr weit. «Diese Mitarbeitenden stehen bei einem Lohnverzug sofort vor existenziellen Problemen.»
Die Ursachen für die mangelhafte Zahlungsmoral ortet Nicole Niedermüller in zwei Bereichen: Einerseits sei der Kostendruck in der Branche sehr hoch, gleichzeitig stünden viele Betriebe finanziell auf wackeligen Beinen: «Häufig fehlt den Hotels eine solide Liquiditätsplanung.» Hier spielen auch veränderte Kundenbedürfnisse mit hinein: Früher wurden Hotels häufig Monate im Voraus gebucht, was den Betrieben Planungssicherheit gab. Heute verreisen die Menschen spontaner. Wenn dann keine finanziellen Polster vorhanden seien, fehle das Geld umgehend, sobald die Gästeauslastung sinke. (lhä)